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Pack die Badehose ein

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Logisch, dass man in Paris nicht einfach ohne Mietvertrag ins Schwimmbad geht. Das wäre naiv in dieser Stadt, wo man offizielle Papiere für alles Erdenkliche braucht. Und sei es nur, um kurz ins Becken zu springen. Man muss das verstehen: Schließlich könnte man ja ein heimtückischer Vorstädter sein, der sich zum Schwimmen verbotenerweise den günstigen Einwohnertarif erschleichen will. Auf dem Weg ins Wasser sind noch weitere Hürden aufgebaut, und eine davon scheint schier unüberwindbar. Diese Hürde ist nicht menschlich. Sie ist ein Automat. Für den erforderlichen Dresscode sind zwei Reihen des Automaten mit ausnahmslos engen Badehosen gefüllt. Um es nicht unnötig hinauszuzögern, wählt man die erste Badehose, die man im Automaten sieht. Die fälligen zehn Euro würde man gern mit einem passenden Schein bezahlen. Der aber schmeckt dem Automaten nicht. Wie ein störrisches kleines Kind den vorgekauten Kartoffelbrei, spuckt er den sorgfältig geplätteten Geldschein immer wieder aus. Nach ein paar Minuten fängt man das innerliche Schimpfen mit dem Automaten an, nach einer Viertelstunde tritt man ihn, erst leicht, dann heftig. Das bleibt natürlich nicht unbemerkt. Gäste kommen, Schwimmbadangestellte, alle bieten ihre Scheine an, und stecken sie, einer nach dem anderen, in den Schlitz. „Wie, der nimmt die Scheine nicht?“ fragen sie erstaunt, und auf ihren von Hilfsbereitschaft geprägten Gesichtszügen macht sich Enttäuschung breit. Das tut einem schon leid, schließlich wollte man ja einfach nur ein paar Bahnen schwimmen, nicht den Betrieb aufhalten. Ein bisschen Sport machen. Sonst nichts. Doch darum geht es, nach etwa zwanzig Minuten, schon längst nicht mehr. Es geht darum, den Automaten Geld fressen zu lassen, koste es, was es wolle. Darum, dass ein Mensch der Maschine immer seinen Willen aufzwingen kann, sei sie auch noch so unberechenbar. Didier, ein Schwimmbadangestellter mit dickem Schnauzer, versucht es dann mit Münzen. In regelmäßigen Abständen füttert er den Automaten einfühlsam, der alles brav und widerstandslos schluckt- bis auf die letzten 50 Cent. Austauschen der Münzen hilft nichts. Hier beginnt man, wirklich Hass auf den Automaten zu entwickeln. Didier aber ist keiner, der unbesonnen auf ihn einschlagen würde deswegen; das wäre überhaupt nicht seine Art. Didier zieht den Schnauzer im Verbund mit der Nase nach oben. Er denkt nach. Dann verschwindet er in einer Rumpelkammer, es dauert ein bisschen, man hört ihn werkeln, dann kommt er wieder, einen grauen, unscheinbaren Stofffetzen in der Hand. Eine beinlose Badehose, die wie ein Schraubstock das männliche Gemächt umschließt. Man traut sich nicht zu fragen, ob sie Didier selbst gehört. Aber klar ist auch: Nach all dem Aufwand, nach all der Hilfe- dieses großzügige Angebot abzulehnen kommt nicht in Frage. Allen Gebrauchsspuren zum Trotz, die man bei näherem Hinsehen in der Badehose entdeckt. Einmal im Becken, ist sowieso alles vorbei. Endlich das, wofür man gekommen ist; das beklemmende Gefühl im Intimbereich, das krault man einfach weg. Meter für Meter, Bahn für Bahn. Die ausgeliehene Badehose gibt man am Infoschalter zurück, einige Angestellte stehen da herum. Einer murmelt nur versonnen: „Ach ja, Didier...“, und eine Dame fragt verschmitzt, ob man die Hose nicht auch nächstes Mal noch verwenden wolle. Man denkt gar nicht weiter darüber nach, sondern geht einfach hinaus. Ins alltägliche Paris, wo man einen Mietvertrag braucht, um billig schwimmen zu dürfen. Ins Leben, wo man manchmal in eine Sache hineingerät- und sei es eine Badehose- in die man nicht hineingeraten will.

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