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Ist das noch Protest oder schon ernst?

Illustration: Daniela Rudolf

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Vielleicht muss man bei der AfD als erstes über die Angst sprechen. Ich habe Angst vor der AfD. Weil ich es vorher noch nie erlebt habe, dass ein erfahrener Kollege vor einem Termin sagt: "Sie gehen da aber nicht alleine hin, oder?" Weil ich natürlich die Videos kenne, in denen Menschenmassen "Lügenpresse" brüllen, Deutschlandfahnen schwenken, Videos, in denen Asylbewerberheime brennen. Und weil ich keine Erfahrungen habe, mit denen ich diese Bilder abgleichen kann. Ich bin Jahrgang 1988, mir hilft es nicht, wenn jemand sagt "Rostock-Lichtenhagen haben wir ja auch überstanden" oder "Das mit der DVU, das ging ja auch vorbei". Zum einen, weil ich nicht weiß, ob man das vergleichen kann. Und zum anderen, weil es sich gerade nicht so anfühlt, als würde die AfD bald wieder gehen.

Aber Angst ist bekanntermaßen nie hilfreich. Sie macht das Gegenüber übergroß und einen selbst unverhältnismäßig klein. In Sachsen-Anhalt ist dieses Wochenende Landtagswahl, einer Umfrage von Infratest Dimap zufolge könnten dabei 30 Prozent der jungen Menschen unter 30 AfD wählen. In dieser Altersgruppe wäre die AfD damit die stärkste Partei, vor der CDU. Und mit diesen Menschen will ich sprechen. Sie fragen, warum sie AfD wählen. Es versuchen zumindest ein bisschen zu verstehen. Denn diese jungen Wähler werden noch sehr lange in unserer Demokratie mitentscheiden und ich denke, es ist wichtig, sie nicht zu ignorieren.

Also überwinde ich meine Angst und stehe am Freitagabend bei sehr kalten vier Grad mit einem Kollegen und ungefähr 130 AfD-Sympathisanten auf der Kliaplatte in Merseburg, eine 37.000-Einwohner-Stadt nahe Halle an der Saale. Von der Platte weg führt die "Hölle" und diesen Namen habe ich nicht erfunden, das Areal heißt wirklich so. Später soll hier Björn Höcke sprechen, Fraktionsvorsitzender der AfD-Thüringen und berühmt, seit er bei Günther Jauch eine Deutschlandflagge auspackte. Danach Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Direktkandidat in Merseburg.

Die Menschen um mich herum schwenken Deutschlandflaggen, andere halten Plakate, auf denen "Rücktritt Merkel sofort!" steht oder "Ich sage ja zu deutschen Helden". Erster Eindruck: Die wenigen jungen Zuhörer hier fallen auf. Viele von ihnen haben gefärbte Haare, Tattoos und Tunnel in den Ohren. Stünde bei manchen nicht "Thor Steinar" auf dem Kapuzenpullover, man könnte sie leicht auf die andere Seite der Polizeiabsperrung verordnen, wo die Teilnehmer einer Gegendemonstration ihre Plakate hochhalten. Später werden Autonome mit Sturmmasken noch ein Plakat entrollen, auf dem "AfD - Wir sind Rassisten" steht. Zweiter Eindruck: Wer mit der AfD sympathisiert, muss sich ziemlich viele Beschimpfungen anhören und von der Polizei beschützt werden. Nicht gerade ideale Grundlagen, um einen Dialog in Gang zu bringen.

„Ich werde Sonntag nur die AfD wählen, wenn die NPD nicht zur Wahl steht“

Mein Begleiter und ich versuchen es trotzdem bei einer Gruppe Jungs, die etwas abseits von der Bühne stehen. Nicht alle sehen vom Alter her wahlberechtigt aus, aber einen Versuch ist es wert.

Tatsächlich reagieren sie auf das Stichwort "Presse" nicht feindlich, sondern eher unsicher. "Sag du was dazu!" - "Nein, du!". Schließlich wird ein 17-Jähriger Auszubildender mit Brille und Bürstenhaarschnitt vorgeschickt. Natürlich will er seinen Namen nicht nennen. Er sagt aber direkt, dass er, wäre er schon wahlberechtigt, auf jeden Fall AfD wählen würde. "Warum?", frage ich.

"Weil sie die einzige Oppositionspartei ist, bei der auch schlaue Köpfe arbeiten. Und weil dort, im Gegensatz zu den Altparteien, nicht nur Deutschlandhasser sind", sagt er. Einer seiner volljährigen Freunde mischt sich ein: "Ich werde Sonntag nur die AfD wählen, wenn die NPD nicht zur Wahl steht", sagt er. Ich überlege kurz, ob ich ihm sagen soll, dass sie das tut, entscheide mich dann aber dagegen. Ist das undemokratisch von mir? Die Jungs sind da allerdings eh schon tief in die Diskussion eingestiegen: "Nee, bei der NPD sind nur Dummköpfe", sagt der 17-Jährige. "Die AfD tut hingegen wirklich was für unsere Sicherheit, Bildung und gegen die Flüchtlinge", erklärt er seinem Freund. Wir fragen nach, was die AfD denn da genau täte, und er sagt: "Na, zum Beispiel was gegen den Lehrermangel hier in Sachsen-Anhalt." Er scheint sich tatsächlich tiefer mit dem Wahlprogramm auseinandergesetzt zu haben.

Ich will noch genauer nachfragen, aber ein dritter aus der Runde mischt sich ein: "Das mit den Ausländern ist mir auch wichtig. Ich habe eine Zeit lang in einer betreuten Einrichtung gewohnt, zusammen mit denen. Irgendwann musste ich da raus, weil die alle kriminell waren und Drogen genommen haben", sagt. Der 17-jährige Redeführer schaut mich triumphierend an: "Siehst du? Er muss es wissen!". Mein Kollege fragt noch, woher er das mit den Drogen denn wisse? "Na, ich hab das an den Pupillen gesehen. Die waren ganz komisch."

Vorne auf der Bühne steht mittlerweile Björn Höcke, wie immer wie aus dem Ei gepellt. Schicker schwarzer Mantel, dröhnende Stimme. Er muss später noch nach Magdeburg, also redet er im Schnelldurchlauf über alle irgendwie relevanten AfD-Themen. Sagt, dass nur ein Prozent der Asylbewerber zurecht hier sei und dass für sie Geld da sei, für todkranke Kinder aber nicht. Er sagt, dass die „Springerpresse“ gegen ihn, Höcke, nach seinem Auftritt bei Jauch eine Kampagne gefahren habe, dabei hätte er doch nur "stolz unser zentrales Staatssymbol" gezeigt. Er sagt, wenn die Grüne Jugend hingegen auf Flaggen uriniere, würde das niemanden interessieren. Und der Euro, der sei gar kein echtes Geld, weil echtes Geld müsse man nicht retten.

Höcke hat ein gutes Timing. Nach jedem Themenblock macht er eine kurze Pause, in der die Leute jeweils applaudieren oder "Buh" oder "Weg mit Merkel" rufen können. Ich google diese Grüne-Jugend-Geschichte. Finde nur eine von 2008, zu der es auf Google aber immerhin 58.000 Treffer gibt, viele Links führen zu den großen Nachrichtenseiten. Aus dem Augenwinkel sehe ich ein junges Paar den Platz verlassen. Wir holen sie gerade noch ein. Auch sie wollen reden: "Bisher habe ich nicht gewählt, aber er hat mich dazu gebracht, mir das jetzt mal anzuschauen", sagt die junge Frau und zeigt auf ihren Freund. Der hat bisher die CDU gewählt und jetzt halt mal die AfD - wohl primär aus Protest. Sie selbst ist 23, geht zur Abendschule. "Dort sind jetzt auch Asylanten, zum Deutsch lernen. Die tun mir leid, die haben wirklich Scheiße gefressen", sagt sie und zündet sich eine Zigarette an. Und dann sagt sie noch, dass wir ja auch daran schuld seien, dass die nun hier sind, "an dem Krieg und so".

Sie sagt, dass „die Asylanten jetzt ja viel mehr als wir“ seien. Als ich sie frage, woran sie das festmacht, fängt sie an zu lachen.  

Ich frage sie, ob das nicht ein Widerspruch ist – zu sagen, dass man mit denen Mitleid hat, aber gleichzeitig Menschen wie Höcke zu wählen, der auf der Bühne gerade eine Migration von "minus 200.000" fordert? Sie überlegt kurz. Sagt dann, so richtig sicher sei sie ja auch nicht. Aber, dass "die Asylanten jetzt ja viel mehr als wir" seien. Als ich sie frage, woran sie das festmacht, fängt sie an zu lachen. "Ich kenne keine Zahlen, aber das merke ich ja. Vor dem Bahnhof Merseburg hängen jetzt zum Beispiel viel mehr ab", sagt sie. Tatsächlich gibt es in Merseburg zwei Flüchtlingsunterkünfte, Ende Dezember schätzte das Innenministerium Sachsen-Anhalts, dass sich noch 28.000 Flüchtlinge im Land befänden – auf die 2,2 Millionen Einwohner des Bundeslandes gerechnet ist das nicht die Mehrheit. Von der Kliaplatte rufen sie im Hintergrund laut "Höcke! Höcke! Höcke!".

Ich muss an den Grünen-Abgeordneten Sebastian Striegel denken, in dessen Büro ich kurz vor der Kundgebung war, nur wenige Meter von der Kliaplatte entfernt. Striegel erzählte, dass die Anzahl der rechten Gewalttaten in Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr um hundert Prozent gestiegen sei. Er muss es wissen: Sein Büro wurde bereits zehn Mal beschädigt, die Täter konnten nie ermittelt werden, kommen laut Polizei aber "aus dem rechten Milieu". Striegel selbst bezeichnet sich als so etwas wie "Die Hassfigur der Rechten". Interessanterweise würde er trotzdem in Sachsen-Anhalt nicht von einem "Rechtsruck" sprechen. "Wir wissen durch empirische Untersuchungen, dass es in ostdeutschen Bundesländern schon lange ein rechtsextremistisches Potenzial von rund 30 Prozent gibt. Ich glaube nicht, dass das mehr geworden ist – sondern nur sagbarer – und dafür tragen AfD und Pegida Verantwortung", sagte er vorhin in seinem Büro. Jetzt steht er, während ich mit den AfD-Wählern spreche, auf der anderen Seite des Absperrbandes – bei den Gegendemonstranten.

„Für junge Wähler ist vor allem wichtig, dass Perspektiven in Sachsen-Anhalt geschaffen werden", sagt der Vorsitzende der JA. Auf der Kliaplatte spricht davon allerdings niemand.

Tatsächlich sind die Gespräche in Merseburg erst der Abschluss meiner Recherche. In den Wochen zuvor habe ich versucht, mit möglichst verschiedenen Leuten darüber zu sprechen, was die AfD für junge Leute so interessant macht. Von Seiten der Partei wurde ich dabei allerdings oft - wenn auch stets sehr - höflich, abgewiesen. Die Compact-Redaktion, ein AfD-nahes "Nachrichtenmagazin" lud mich von ihrer Veranstaltung aus, die Pressestelle des AfD Landesverbandes war ebenfalls nicht sehr gesprächig. Oft wird dabei auf "schlechte Erfahrungen" mit Medien verwiesen. Herauszufinden, wie diese Partei und ihre Wähler nun wirklich sind, macht das nicht leichter.

Einzig Jan Schmidt, Sprecher der Junge Alternative Sachen-Anhalt, war hilfreich. "Für junge Wähler ist vor allem wichtig, dass Perspektiven in Sachsen-Anhalt geschaffen werden. Viele Menschen hier sind heimatorientiert und wollen bleiben, haben aber keine Aussicht auf einen Job. Außerdem wollen viele gerne eine Familie gründen, sind sich allerdings nicht sicher, ob das finanziell für sie überhaupt tragbar ist", hatte mir der Jungunternehmer erzählt. Die AfD sei dabei die einzige Partei, die diese Perspektiven wirklich schaffe. Der starke Zuspruch der Wähler ist für Schmidt deshalb vor allem inhaltlich begründet und kein Zeichen des Protests. Er räumte aber auch ein, dass das Asylthema verstärkend hinzukäme.

Mir fällt auf, dass bis auf den jungen Mann mit dem Lehrermangel sich keiner meiner Gesprächspartner in Merseburg zu den anderen AfD-Themen geäußert hat. Niemand schimpft auf den Euro oder über zu teure Kita-Plätze. Primär ging es um Flüchtlinge und das vage Gefühl, wegen ihnen schlechter dran zu sein. Ich überlege, ob man über dieses Gefühl nicht auch mit anderen Parteien sprechen kann. Aber vielleicht ist es dafür auch schon zu spät - immerhin fühlen sich ja fast alle Gesprächspartner automatisch in die "Naziecke" gestellt.

Wir versuchen es noch ein bisschen weiter mit den Gesprächen auf der Kliaplatte, die sich allmählich leert. Auf der Bühne steht mittlerweile Hans-Thomas Tillschneider. Die nächsten jungen Leute, die wir ansprechen, wollen alle nicht mit der Presse reden. Sie sagen das höflich und zurückhaltend, nur eine junge Frau sagt, man dürfe „in der Presse ja eh nicht frei sagen, was man denkt“. Dass sie jetzt dazu die Chance hätte, glaubt sie nicht.

Letzter Versuch bei einer junge Frau mit rotgefärbten Haaren und roten Strickstiefeln, die rein optisch auch auf einer Comic-Messe abhängen könnte. Die 21-Jährige arbeitet als Köchin und hat ebenfalls Lust zu reden – weil sie das, was heute über Migranten auf der Bühne gesagt wurde, sie persönlich betreffe: "Der Ex-Freund meiner Mutter und Vater meines Halbbruders ist Ausländer", sagt sie, und kurz denke ich, dass sie hier vielleicht gar nicht als AfD-Sympathisantin ist. Dann sagt sie allerdings: "Und sogar der sagt, ich müsse als Frau in Deutschland jetzt aufpassen und dass die Moslems uns nichts Gutes wollen." Dazu macht sie eine Kopf-ab-Geste.

Als ich nach persönlichen schlechten Erfahrungen frage, erzählt sie, wie ihr im Schwimmbad ausländische Männer hinterhergelaufen seien und dass sie auch am Bahnhof schon Sprüche bekommen hätte. Seitdem würde sie sich dort nicht mehr hintrauen. Das kann ich irgendwie verstehen – ich habe auch lange abends die Haltestelle gemieden, an der sich ein Typ vor mir einen runtergeholt hat. Aber die Schlussfolgerung, dass deshalb alle Männer so sind, ist falsch. Ich will ihr das so gerne sagen. Doch dann sagt auch sie: "Ich bin kein Nazi und ich liebe meinen Bruder. Aber wir müssen uns immer mehr anpassen und das ist zum Kotzen. Und die, die jetzt kommen, das sind doch Urmenschen". Sie erzählt noch irgendetwas, dass die "neuen Moslems" sich an kleine Kinder ranmachen würden, aber ich höre ihr schon gar nicht mehr zu. Weil ich merke, wie ratlos es mich macht, dass diese junge Frau eine Partei wählen will, bei deren Politik, mal konsequent zu Ende gedacht, Menschen wie ihr eigener Bruder gar nicht existieren würden. Und wie sehr es mich deprimiert.

Auf dem Weg zurück nach Berlin steige ich in Halle um. Im Bahnhofscafé macht mir eine dunkelhäutige Frau einen Tee. Sie entschuldigt sich, dass sie noch nicht so gut Deutsch spricht, sie würde es noch lernen. Ich schaue sie an und denke, dass es manchmal vielleicht auch gut sein kann, nicht alles zu verstehen.

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