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Wer knapp bei Kasse ist, trinkt gratis!

Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol. 

Stell dir vor, dein Konto ist gähnend leer. Du ernährst dich deswegen schon seit Tagen heimlich von den Haferflocken deines Mitbewohners. Und Thomas, ein Kumpel aus Schulzeiten, will ausgerechnet heute mit dir in einer Bar trinken. Das kannst du dir nicht leisten, aber mitkommen kannst du ja mal. Genauso ging es mir neulich – und trotzdem hatte ich am Schluss einen Saurausch. 

Der Grund dafür ist eine unausgesprochene Regel unter Trinkfreunden, die sich in einem Satz zusammenfassen lässt: „Wer knapp bei Kasse ist, trinkt gratis!“ 

Damit während des Abends zwischen Pleitegeier und Gönner dieses ganz spezielle Gleichgewicht aus Nehmen und Geben entstehen kann und der Traum vom Gratis-Rausch Wirklichkeit wird, braucht es diese fünf immer gleichen Schritte:  

1. Das Geständnis

Ich habe Thomas vorher gestanden, dass ich sparen muss. „Ein Bier kannst du dir doch leisten!“, hat er gemeint. Fehlanzeige! Aber vorab zu jammern bringt nichts, deshalb bin ich still. Das führt nur „live vor Ort“ zum Erfolg, denn dann hört er unmittelbar die Enttäuschung in meiner zittrigen Stimme und hat hoffentlich Mitleid. Und das funktioniert dann so:

In der Bar habe ich keinen Cent dabei. Mein letztes Geld ist zu Hause und überlebensnotwendig. Irgendwann wird mein Mitbewohner nämlich den Haferflockendiebstahl bemerken. Dann muss ich die vom restlichen Geld nachkaufen und mir zusätzlich jeden Tag eigenes Essen holen.

 „Wie, du hast gar kein Geld? Du lügst doch“, sagt Thomas in der Studentenbar mit dem gedimmten Licht. „Doch. Guck!“, sage ich und zeige ihm meinen leeren Geldbeutel – und hoffe auf Thomas, den Volkswirtschaftler mit Brille und Lederjacke, der gerade einen Werkstudentenjob bei einer Unternehmensberatung angenommen hat und daher für Studentenverhältnisse „im Geld schwimmen“ sollte.

2. Das erste Bier

Das erste Bier ist entscheidend. Ist mein Freund in Spendierlaune? Das hängt von seiner Stimmung ab. Gemütliche Stimmung ist schlecht. Dann quatschen wir zum Beispiel über die CSU oder den neuen Sushi-Laden. Politik und Essen sind unsere „nüchternen“ Lieblingsthemen. Da haben wir denselben Geschmack. Für solch „ernste“ Gespräche braucht es aber eben auch keinen Alkohol. Wieso sollte er mir also ein Bier ausgeben, wenn es für den Abend keinen Unterschied macht? 

Doch vielleicht will er feiern? Schon kommt die Kellnerin und fragt uns, was wir trinken wollen. Ich antworte mit schmerzverzerrtem Blick: „Für mich nichts. Ich habe kein Geld.“ Thomas wird schwach, bestellt mir ein Bier mit und sagt, er hätte „ohne Scheiß“ in der Statistikklausur eine 1,0 geschrieben. Alle seine Freunde seien durchgefallen. Die Pauken jetzt wieder.

Perfekt! Thomas ist in Feierstimmung, betrinkt sich ungern alleine und erträgt es nicht, wenn ich nüchtern daneben sitze

3. Ein Gratis-Bier kommt selten allein

Ich strahle Thomas unendlich dankbar an wie ein Teenie, der von Papa einen Porsche geschenkt bekommt. Eigentlich ist es ja in seinem eigenen Interesse, mir einen auszugeben, denn er will ja mit mir feiern. Aber er tut jetzt so, als wäre es richtig krass für ihn, weil es nicht so aussehen soll, als würde er mich zum Feiern „bezahlen“.  Und ich ziehe nach und behaupte aus Anstand, dass ich jetzt dann auch nach Hause gehe, denn ich wolle ihn ja nicht ausnehmen. In Wirklichkeit gefällt mir Freibier natürlich ganz gut.

Immer, wenn die Kellnerin kommt, zeigt sich dann, was Thomas und ich in Wirklichkeit wollen: Er zieht mich brav auf sein Promilleniveau und meint gönnerhaft, das sei zwar schon extrem  großzügig von ihm, aber passe schon. Und nach der vierten Runde habe ich schon zu viel auf seine Kosten getrunken, als dass ich jetzt einfach so nach Hause gehen will.

4. Die Eskalation

Doch mein Wille zum Feiern alleine macht meinen Geldbeutel auch nicht voller. Thomas muss mir also den Clubeintritt bezahlen und bringt jetzt unaufgefordert im Halbstundentakt Bierflaschen. Wir liegen uns selig in den Armen. Dann geht's mit Schnaps weiter. Er will Tequila trinken, um auf die bestandene Klausur anzustoßen. Ich lüge, dass ich Tequila hasse. Denn schön langsam ist es schon arg übertrieben, wie viel Geld Thomas für mich raushaut. Dass das so eskaliert, wollte ich dann auch nicht. Doch Thomas lässt sich nicht umstimmen, verschwindet und kommt mit vier bezahlten Tequila zurück. Wir trinken und ein paar Minuten später steht schon wieder die nächste Runde an. So geht das stundenlang weiter. Der Vollzug der  Regel „Wer knapp bei Kasse ist, trinkt gratis“ ist nicht mehr aufzuhalten.

5. Das Begleichen der Rechnung

Wir verlassen um sechs Uhr den Club. Thomas Geldbeutel ist nun genau so leer wie meiner. Nur habe ich heute Abend keinen einzigen Cent ausgegeben. Ein schlechtes Gewissen habe ich trotzdem nicht. Denn wir beide wissen genau, dass wir unsere Rollen irgendwann tauschen. Dann will ich feiern und Thomas ist knapp bei Kasse, weil der Werkstudentenjob doch „nicht so das Wahre war“. Dann wird die Rechnung beglichen und weil wir befreundet sind, ist es auch nicht so wichtig, ob auf den Euro genau. Denn am Ende hat die Regel „Wer knapp bei Kasse ist, trinkt gratis“ auch einen romantischen Charakter, der für beide Seiten gilt: Beim Feiern wird niemand zurückgelassen! 

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