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Pendler vs. Ausflügler

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Die Situation:
Ein Pendler tritt seinen routinierten Weg zur Arbeit an. Jeder Schritt, jeder Handgriff ist Dank monatelanger, meist sogar jahrelanger Erfahrung optimiert: Letzter Waggon – da ist meist nicht so viel los. Fensterplatz – da kann das Sakko knitterfrei aufgehängt werden. Bis zum dritten Stopp blättert er noch ein wenig im Wirtschaftsteil der FAZ. Dann klappt er den Laptop auf klickt konzentriert in Exeltabellen herum. Bis ein lärmendes Rudel Ausflügler in Funktionsjacken in das Abteil einfällt. Nach kurzem Nicken in Richtung des Pendlers und einem rhetorischen "Hier ist noch frei, oder?", wird sich lautstark auf die umliegenden Sitze verteilt und mehrfach wieder umgesetzt, weil die Vroni der Ulla doch noch die letzten Urlaubsbilder auf der Digicam zeigen wollte und dem Max immer schlecht wird, wenn er entgegen der Fahrtrichtung sitzt. Anschließend werden Rucksäcke, Wanderstöcke und hart gekochte Eier von links nach rechts und wieder zurückgereicht, wobei kein Handgriff unkommentiert bleibt. Der Pendler versucht derweil krampfhaft, das bunte Treiben um sich herum zu ignorieren, scheitert aber und starrt daraufhin für den Rest der Fahrt grimmig auf seine Zeitung.

Dort treffen sie aufeinander:
Hauptsächlich in Regionalbahnen, die von der Peripherie in Richtung größerer Ballungszentren zockeln. Zug ist nämlich nicht gleich Zug. Der Kosmopolit unter den Pendlern, mit Wohnsitz in Berlin und Job in Hamburg, wird auf seiner Fahrt mit dem ICE wohl eher selten mit Wandergruppen konfrontiert.

Darum hassen diese beiden einander:
Die Zugfahrt ist zu einem wichtigen Morgen-Ritual für den Pendler geworden. Egal ob er hierbei versäumten Schlaf nachholt oder sich mit Bürokram beschäftigt – der Ausflügler stört ihn dabei. Mit seiner penetranten guten Laune und dem munteren Geplapper. Mit seiner leuchtenden Windjacke, bei der jede einzelne Wasser abweisende Mikrofaser nach Freizeit schreit. Der Pendler würde auch viel lieber um den Tegernsee wandern, als den ganzen Tag am Schreibtisch zu hocken. Weil er das aber nicht kann, will er wenigstens nicht aus seinem "Und-täglich-grüßt-das-Murmeltier"-Trott herausgerissen werden. Schließlich ist der Zug um diese Uhrzeit normalerweise sein Revier! Der Ausflügler hegt da schon weniger direkten Groll gegen den Pendler. Er hat höchstens einen mitleidigen Blick über und amüsiert sich im Stillen über seinen missmutigen Gesichtsausdruck. Wenn allerdings Laptop und ausgebreitete Tageszeitung den ganzen Tisch belegen und beim Skat-Spielen stören, kann diese Übergriffigkeit durchaus zu Unmut und einem gezischten "Spießer!" in Richtung des nächstsitzenden Ausflüglers führen.

Das ist die besondere Schönheit dieses Konflikts: Eine kleine Veränderung der Parameter genügt manchmal, um einen Konflikt gänzlich zu entschärfen. In diesem Falle reicht es aus, wenn sich die Protagonisten zu einer anderen Tageszeit begegnen. Reagieren Pendler und Ausflügler am Morgen noch gereizt aufeinander, können sie bereits am Abend bei der Heimreise, geschafft vom Tag, friedlich nebeneinander in den Sitzen schlummern oder sogar miteinander plaudern.

Das können wir von ihnen lernen: Kleider machen Leute. Steckt man den Pendler beim Betriebsausflug in Bergstiefel, wird er augenblicklich in den ausgelassen Freizeit-Modus umschalten. Umgekehrt funktioniert es natürlich genauso. 

Text: paulina-hoffmann - Foto: picture-alliance /dpa / ddp

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