Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Weil sie München liebt

Foto: Angelika Warmuth/dpa

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Hajer Dhahris Stimme ist klar. „Allah, beschütze diese schöne Stadt“, hallen ihre Worte durch die Kirche. In der Münchner Frauenkirche stehen Katholiken und Muslime, Juden, Orthodoxe und Protestanten nebeneinander. In den Bänken hinter ihr, die Hände gefaltet, Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck. Außerdem Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, Bundesinnenminister Thomas De Maizière und weitere Spitzenpolitiker. Es ist der Gedenkgottesdienst für die Opfer des Amoklaufs am Münchener Olympia Zentrum. Und Dhahri spürt die Anspannung.

Dann sieht sie die Gesichter der Angehörigen und die Nervosität weicht der Trauer. "Für mich war es nur eine Rede, aber für sie ging es um so viel mehr." Für jedes der neun Opfer brennen weiße Kerzen. Sieben der Getöteten waren Muslime. Aber Dhahri vom Münchener Muslimverband spricht für alle. Für Betroffene und Bürger, Sanitäter und Polizisten, die in Dienstkleidung anwesend sind. Daraus gewinnen ihre Worte diese Kraft. Man spürt das. Selbst in einer so großen Kirche dringt das bis zu den letzten Bänken.

Ein 18-Jähriger hatte am 22. Juli vor dem Olympia Einkaufszentrum neun Menschen erschossen. Danach tötete er sich selbst. Dhari spricht von der Angst und der Trauer, die alle nach der Bluttat gefühlt haben. Vom Schmerz und der Wut. "Welcher Religion man angehört, spielt keine Rolle. Es spielt eine Rolle, dass wir Menschen sind und dass wir alle dasselbe durchgemacht haben", erklärt die Studentin später.

Und deshalb klingelt Dhahris Telefon seit gestern quasi ununterbrochen. Menschen rufen an, schreiben ihr Nachrichten – Familie, Freunde, Fremde. Alle wollen sich bedanken für ihre Ansprache. Alle wollen mit der Frau sprechen, die die bewegendsten Worte der Trauerfeier gefunden hat. "Ich hätte mir nie erträumt, dass die Rede so gut ankommt", sagt Dhahri.

Nach einer Stunde ist die Rede fertig: "Wenn man aus dem Herzen schreibt, braucht man nicht viel Zeit."

Ursprünglich kommt Dhahri aus Tunesien. Ihr Vater war Flüchtling. Fünf Jahre hatte er in Deutschland gearbeitet, um seine Familie nachholen zu können. Ein Jahr war Dhahria selbst auf der Flucht. Dann erreicht sie München. Übergangsklasse, Hauptschule, Realschule, Gymnasium. Abitur. Aktuell studiert sie Jura. "Lange brauche ich nicht mehr." Zu viel Persönliches möchte sie nicht über sich verraten. Ihr Alter, zum Beispiel, behält sie für sich. "Mein Alter spielt keine große Rolle. Ich will nicht, dass Menschen sagen, ich wäre vielleicht zu jung für solch eine Rede."

Nur einen Tag vor dem Gottesdienst hatte sie den Anruf vom Vorsitzenden des Muslimrats, Sokol Lamaj, bekommen: "Hajer, kannst du die Rede halten?" Dhahri willigt ein, klappt ihren Laptop auf und tippt los. Nach einer Stunde ist die Rede fertig: "Wenn man aus dem Herzen schreibt, braucht man nicht viel Zeit. Ich habe es einfach runtergeschrieben ohne darüber nachzudenken."

Dhahri konnte das auch, weil sie München liebt. Die Offenheit und Vielfältigkeit ihrer Heimat. "Das hat man in der Flüchtlingsarbeit gesehen. Die Hilfsbereitschaft war unglaublich bewegend. Aus allen Schichten der Gesellschaft haben Menschen geholfen. Haben uns daran erinnert: Egal wie anders der Andere ist, er ist immer noch ein Mensch. Das reicht, dass ich ihn akzeptiere, respektiere und toleriere."

Ihr war in ihrer Rede wichtig, dass die Menschen das "Big Picture", wie Dhahri es nennt, nicht aus dem Blick verlieren. Es ginge nicht darum, ob die Messe in einer Kirche oder einer Moschee stattfindet, sondern um das große Ganze. "Für mich ist ein Gotteshaus ein Gotteshaus."

Auch wenn Dhahri ihre Rede mit einem Amen schließt – ihre Worte will die Münchnerin nicht als reines Bittgebet verstehen, sondern auch als Appell. "Die Politiker haben in ihren Reden auf mehr Sicherheit gepocht. Aber wir müssen das Miteinander verbessern. Dann wird auch keine Verstärkung der Polizei gebraucht." Im Liebfrauen Dom stehen Katholiken, Muslime, Juden, Orthodoxe und Protestanten nebeneinander. Die Kirchenglocke läutet.

Mehr Besonnenheit im Wahnsinn gibt's hier:

  • teilen
  • schließen