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Bleich wie der Tod?

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Ich schminke mich nicht. Fast nicht. Nur Rouge. Manchmal Lippenstift. Alles andere hab ich hinter mir gelassen. Die farbigen Relikte meiner Jugend liegen im Badezimmer meiner Eltern, hinten in der Schublade, die Glitzerpartikel funkeln noch: die hellblauen und lilafarbenen Lidschatten, die falschen Wimpern, schwarz und regenbogenfarben, der flüssige Eyeliner und das Make-Up mit ägyptischer Erde, das ich meiner Mutter geklaut hatte. Aus mir machte es keine Nofretete. Viel zu dunkel und fleckig bildete es unter meinem Kinn ein orange verkrustetes Rinnsal. Wenigstens leistete sich der Junge, der mir später meinen ersten Kuss geben sollte, einen ähnlichen Fauxpas: Selbstbräuner und behaarte Fußballerbeine vertragen sich nicht. Auch die Ohren hatte er vergessen. Wir waren quitt.  

Je besser ich mich fühle, desto weniger schminke ich mich. Denn Schminke ist auch Schutz. An schlechten Tagen kommt Translucent Powder auf die Stirn. Es ist durchsichtig und in seiner Nichtsnutzigkeit nützlich, wenn es nur ums Auftragen geht. Um die Schicht, die einen vor der Nacktheit bewahrt. An guten Tagen vergesse ich den Griff ins Schminktäschchen komplett. Oder falle ins andere Extrem, fühle mich ganz frech und frei und fahre den alten Partylook mit Glitzer am Lid und schwarzer Tusche. Für Menschen, die mir nahe stehen, scheint das befremdlich zu sein. Als signalisiere es ein Vorhaben. Andersrum kriegen Frauen, die immer geschminkt sind bei morgendlicher Faulheit ebenfalls einen Spruch gedrückt: so etwas wie Oh Gott, ist was passiert?, ist da noch harmlos.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Schminke ist Maskierung, aber nicht immer Maskerade. Sie unterstreicht einen Anlass, lässt uns in Rollen schlüpfen, eine andere Idee von Ich ausprobieren, aber sie bietet auch Schutz. Vor allem denen, die schutzlos ausgeliefert sind. Dann kann Schminke trösten. Denn die ungeschminkte Wahrheit schmerzt besonders, wenn sie zur letzten Erinnerung wird. Wenn Menschen sterben und die Natur den Körper verfallen lässt, will man vieles, nur keine Natürlichkeit. Dann helfen Puder und Pinsel, damit sie, naja, nicht bleich sind wie der Tod.

Aber weil Oma zu oft nach Disco und Opa mit Rouge nach Karneval aussieht, hat sich die japanische Make-Up-Artistin Koko Uhl diese Grauzone zum Beruf gemacht. Uhls Vater, Professor für forensische Medizin in Tokio, brachte sie auf die Idee als sie ihm Bilder von ihrer Arbeit zeigte. Sie hatte Schauspielern klaffende Wunden aufgeklebt, ihnen das Leben aus dem Gesicht gepudert, sie totgeschminkt. Daraufhin fragte sie ihr Vater: Wenn Du die Lebenden tot aussehen lassen kannst, kannst Du auch die Toten wieder lebendig aussehen lassen? Seitdem schminkt sie Tote und dreht mit speziell entwickelten Produkten die Zeit nur um wenige Tage zurück. Um den Angehörigen den Abschied von einem gewohnten Gesicht zu ermöglichen. Ihre Farbtupfer trösten sie.  

Die Stunden nach dem Tod eines Angehörigen sind überfordernd, schrecklich lang und dann doch viel zu schnell vorbei. Pastor huscht rein, Gebet, wieder raus. Dann liegt er da, der Opa, Blume in der Hand, Kinnstütze, im Krankenhemd. Und schon verschwindet die Farbe aus seinem Gesicht. Keine Zeit zu trauern. Zuhause muss alles so schnell gehen: Anrufe erledigen, Beerdigung organisieren, das Krankenzimmer ausräumen. Entscheidungen, Entscheidungen: Sarg, Karten, Gottesdienst, Blumen. Oma sucht seine Kleidung und lässt sich plötzlich Zeit. Durch die alten Schränke. Nadelstreifenanzug. Alles geht zack zack, aber die Krawatte wird in Ruhe besprochen. Welche hätte er gemocht? Die seidene: rot-blau-weiß-gestreift. Der Akt des Einkleidens beseelt.

In der Leichenhalle sieht er besser aus als im Krankenhaus, rasiert und gekämmt. "Friedlich", murmeln Großtanten im Hintergrund. Das sagt man wohl so. Die Farbe in seinem Gesicht tröstet. Mein Opa geht in Nadelstreifen. 

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