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Schöner gammeln

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In fast jedem Modeblog gibt es hin und wieder einen Post, auf dem die Hauptdarstellerin krank ist – oder behauptet, heute „einfach nur mal faul rumzuliegen.“ Während andere Menschen in so einem Modus fettige Haare haben, in irgendeiner löchrigen Büchse und übergroßem Giraffen-T-Shirt durch den Tag latschen, könnte bei diesen Mädchen stets ein unangekündigter „Homewear“-Editorialshoot stattfinden: In ihren„Gammel“-Klamotten sehen sie aus wie einer Nivea-Soft-Werbung enthoben. Sie sitzen im Schneidersitz auf gestärkter Leinenbettwäsche, sind in hauchdünne Lagen pastellfarbener Baumwollfummel gehüllt und ihre Haut ist weich und eben. Sie sind dafür verantwortlich, dass ich neuerdings erwäge, mir für teures Geld echte Schlafanzüge und sonstigen nudefarbenen Zuhausebedarf zu kaufen. Denn dass Gammeln bei mir meistens nicht so natürlich-schön aussieht, stimmt mich leicht depressiv. 

Ich bleibe neuerdings also nicht nur in den Schlafanzugecken von COS und Konsorten stehen, ich gerate auch in Geschäfte mit Namen wie „Sunday in bed“. Ich streiche dort lange und mit milchigem Blick über Ganzkörperstrampler, Schlafshorts mit Ich-bin-eine-Tischdecke-in-der-Provence-Muster und stelle mir dabei vor, was für eine wunderbare Editorial-Gammlerin ich abgeben könnte. Es ertönt dann ein sanfter Singsang in meinem Kopf, so was wie: Kaaaaauf eeees, es wird dich glücklich machen“ oder „Wie man sich bettet, so schläft man“.

Spätestens wenn ich dann den Kaufentschlussrechner in meinem Kopf anwerfe, der die Faktoren „Wann würde ich es überhaupt anziehen?“ und „Wie viel ist mir das wert?“ zusammenrechnet, verlasse ich den Laden wieder. Um dem Preis dieser Stücke gerecht zu werden, müsste ich mindestens einmal wöchentlich eine große Pyjama-Party geben, oder in einem großen, weißen Haus an einem Waldsee wohnen. Weil: Natürlich kann man jetzt das große Zieht-immer-Argument „Das tue ich nur für mich allein, weil ich es mir wert bin“ vorbringen. Aber in Wahrheit würde ich doch herzeigen wollen, was für eine schöne Gammlerin ich bin, wenn ich mir schon solche Mühe gegeben habe. Mindestens jedenfalls würde ich genug Strecke zur Verfügung haben wollen, um meine „Homewear“ dann auch im eigenen Home auszuführen. Ich bräuchte lange Flure mit großen Spiegeln, an denen ich auf dem Weg zu meiner großen Wohnküche vorbeischlendern und mich bewundern könnte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Das Tragische an der modischen Kultivierung des Zuhausegefühls liegt aber abseits vom Quadratmeterproblem: Besteht der Reiz von Gammeltagen nicht eigentlich darin, eben nicht gut aussehen zu wollen? Alle Eitelkeit abzulegen und einfach in aller Ruhe ungeduscht rumzuliegen, während niemand dabei zuguckt? Und selbst wenn doch jemand zuguckt: Sollte man sich wirklich um das interessant-schöne Gefühl bringen wollen, mit fettigen Haaren und zelthaftem Giraffen-T-Shirt an der Tengelmann-Kasse zu stehen und stolz darauf zu sein, hier und heute für eine ungeschminkte Wahrheit zu stehen?

Ist es nicht eigentlich ein sehr gesunder Reflex, manchmal gleich nach dem Aufstehen wieder ins Bett zu gehen? Es dann nur zu verlassen, um schlurfig herumzueiern und sich was zu essen zu besorgen? In aller Ruhe darauf zu warten, dass sich der große, kaltfüßige Rappel von selbst meldet und danach verlangt, den ganzen Siff endlich in der heißen Wanne zu ertränken?

Schade wäre die Aufgabe von total egalen Gammeloutfits auch deshalb, weil man konsequenterweise nie wieder „Ich? Ach ich schimmel’ heute nur“ sagen dürfte. Man müsste sagen: „Ich bin heute eine katalogreife Zuhauseperson.“ Will man das? Ein bisschen Nachlässigkeit braucht der Mensch hin und wieder. Schon allein, um nie zu vergessen, dass ein heißes Bad sich so unfassbar gut anfühlen kann wie sonst nur noch das Durstlöschen nach einem langen, schwitzigen Katertraum.

Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Katharina Bitzl

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