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Zur Langeweile gezwungen

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Gibt es eine gute Foto-Ausstellung, fahre ich sofort nach Hamburg. Über gelungene Buchcover kann ich mich endlos auslassen und darüber, ob ein bestimmter Strich nun waldgrün, dunkelgrün oder nicht grün sein muss. Ich mag Design und schöne Dinge, bloß sieht man mir das nicht an. Das, was ich anhabe, ist nämlich zum Gähnen: Es sind Bleistiftrock und graue Kleider, wenn ich arbeite, und Jeans plus Pulli, wenn nicht. Alles Klamotten, die zeigen, dass mir zwar nicht komplett alles egal ist, die aber auch kein gesteigertes Interesse an Anziehsachen vermuten lassen. Tatsächlich, fürchte ich, bin ich ziemlich raus bin aus der Mode. Aber nicht, weil ich das will. Sondern weil ich dick bin.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Meine Figur steht mir offensichtlich im Weg, dabei ist sie gar nicht so ungewöhnlich: eindeutig, aber nicht krass auffällig dick. „Weich gepolstert“, würden nette Menschen sagen. Viele Frauen sehen so aus. Es gibt Tage, an denen ich meine Speckschicht mag, an anderen hätte ich gern etwas weniger Körper. So oder so muss ich irgendwas anziehen. Am besten natürlich etwas Schönes, das zu mir passt und mich gut aussehen lässt. Leider wird es hier schon kompliziert.

Die Aussichten, etwas Passendes zu finden, sind nämlich nicht besonders groß. Nicht, dass ich es nicht probiert hätte! Oft genug bin ich in dem festen Vorsatz ausgezogen, an der Vervollkommnung meiner Garderobe zu arbeiten. Erst einmal fand ich alles interessant: Hängekleidchen, Capri-Hosen, Faltenröcke, Ringelzeug. Human Empire, Mango, Promod – toll, das alles! Doch leider blieb es nicht so; es funktionierte nämlich nicht. Ich passte in die ganzen Sachen nicht rein, sie blieben an meinem Oberschenkel hängen oder wurden in meiner Größe schlicht nicht hergestellt! Immer wieder war das so. Nicht einmal das T-Shirt mit dem Glitzerreh drauf ging sich aus.

Die sackartigen, schlammfarbigen Tuniken und blauen Büroblusen, die für Körper wie meine vorgesehen waren, hatten mit Mode dagegen nichts zu tun. „Zeitlos langweilig“ ist wohl das richtige Wort. Ohne mich, bitte. Als ich wieder ein paarmal überhaupt nichts gefunden hatte, resignierte ich natürlich doch. Das ganze Theater war es nicht wert, warum also nicht das geringste Übel nehmen?  „Es blieb mir nichts anderes übrig“ erklärt überhaupt ganz gut, wie meine öde Garderobe zustande gekommen ist. Wenn ich ehrlich bin, habe ich sogar zwei, drei Stücke von Tchibo im Schrank – sie fallen nicht weiter auf.

So viel zwangsweise Langweiligkeit ärgert mich. Dass immer mehr Menschen dick sind, weiß jedes Kind. Bloß die Modeindustrie scheint irgendwie noch nicht kapiert zu haben, was für eine große Zielgruppe diese Menschen bedeuten. Offensichtlich wissen Modemacher oft nicht so recht, was sie mit uns Dicken anfangen sollen. Warum sonst wäre die Klamottenauswahl für dicke Frauen so traurig überschaubar? Oder nimmt man uns als Käufer einfach nicht ernst? Dass ziemlich viele Labels ihre Kollektionen aus Imagegründen nur in bestimmten Größen anbieten, spricht dafür. Die Logik dahinter: Nur wer sein Gewicht unter Kontrolle hat, ist der erfolgreiche Trendmensch, für den wir unsere Stücke vorstellen. Dicke, die sie sich trotzdem einbilden, können ja abnehmen. Aber ist es nicht reichlich bescheuert, von einem Menschen zu erwarten, dass er sich an die Ware anpasst?

Leider wird von dicken Frauen generell gern erwartet, dass sie sich anpassen. Modetipps sind zum Beispiel ziemlich verräterisch. Meistens kommen knielange Bleistiftröcke, bunte Riesenblumen, strategisch platzierte Gürtel und fester Stoff darin vor. Miniröcke und Spaghetti-Tops dagegen sind streng verboten. Dekolleté bitte zeigen, den Rest eher nicht. Dass man seine Oberschenkel, Oberarme und den Bauch unter allen Umständen bedeckt hält und alles unternehmen muss, um seinen Hintern irgendwie wegzumogeln, versteht sich eh von selbst. Überhaupt soll Kleidung hier vor allem davon ablenken, dass man dick ist. Alles, was man anhat, soll den Betrachter so weit täuschen, dass man doch noch irgendwie als normal durchgeht.

Egal, wie man als dicker Mensch zu seinem Körper steht: Wenn das Kaschieren und Wegmogeln so eine große Rolle spielt, bleibt einem fast nichts anderes übrig, als sich auszuklinken. Zumindest, wenn man nicht komplett neurotisch werden will. Aber müssen es immer gleich die Resignation und der schnarchlangweilige Basic-Look sein? Ein Teil von mir sieht das überhaupt nicht ein. Er will Schönes, Wahres, Gutes und regt sich furchtbar über den ganzen Anpassungsdruck auf. Er pocht darauf, dass Anziehsachen ja nur ein Mittel zum Zweck sind – dem Zweck, möglichst super auszusehen. Und weil das ein rundum erstrebenswerter Zweck ist, darf man ihn sich unter keinen Umständen vermiesen lassen. Schon gar nicht von einer Horde humorloser Modefuzzis. Man muss für seine Mittel – Klamotten – kämpfen. Und wenn das System dabei nicht mitzieht, muss man eben Aufbauarbeit leisten!

Geht ja auch, sage ich mir, Vorbilder gibt es zuhauf:  Missy Elliot, die die Adidas-Jacke aus den Händen spargeliger Jungs befreit hat. Oder Beth Ditto, die eine eigene Kollektion für die Modekette Evans entworfen hat und auch mal Lagerfeld-Muse war. Und natürlich Frocks and Frou Frou, Le Blog de Big Beauty, Dollface is Candy-Sweet und viele andere curvy Fashion-Bloggerinnen. Wenn die es hinbekommen, sich einen interessanten Look zu basteln – warum sollte ich das nicht auch schaffen?

Das Problem: Die eben genannten sind letztlich alle Leute, die sich entweder extrem viel mit Mode beschäftigen oder sich teure Stylisten leisten, die das an ihrer Stelle tun. Das alles klingt nach furchtbar viel Zeit und Aufwand. Und irgendwie kommt es mir unfair vor, meine Freizeit darauf zu verwenden, einen Systemfehler auszubessern ... „HEY!“, brüllt mein Ästheten-Ich da aufgebracht. „Schon vergessen: Gut aussehen ist ein Grundrecht! Das ist wichtig! Ein bisschen mehr Kampfgeist, bitte!“ Und dann murmelt es noch vor sich hin, dass es neulich ein super Angebot für lilafarbenen Glitzerstoff gesehen hat. „Juhu!“, rufe ich, und: „Wo?“. „Irgendwo online“, grinst die innere Ästhetin da. „Du musst noch nicht einmal nach Hamburg fahren.“     


Text: therese-meitinger - Illustration: katharina-bitzl

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