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Schluss mit dem Zwang zum ständigen Arbeiten

Foto: Ornella Cacace

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Vielleicht ist das Problem ja gar nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die starre Vorstellung einer Welt, in der jeder Mensch auf jeden Fall arbeiten muss. Offiziell ist es der Normalzustand, einem Beruf nachzugehen. Erwerbslosigkeit ist immer nur etwas Temporäres, das man hoffentlich schnell überwunden hat und wofür man sich gefälligst schämen sollte. Wie dick sein oder Flüchtling. Oder eine Frau im achtzehnten Jahrhundert mit einer Meinung –  du weißt schon, „eine Phase halt“. Etwas, das man im schlimmsten Fall laut verachtet und im besten Fall öffentlich bedauert, aber akzeptiert, um mit seiner Offenheit anzugeben. „Du kriegst Hartz IV? Oh Mann, das tut mir total leid, hey. Ich drück dir die Daumen, das ist sicher auch nicht gut fürs Selbstwertgefühl.“ Schon lustig, dass die, die sich laut Sorgen um die Gefühle von anderen machen, meistens auch die sind, die sie wie Aussätzige behandeln.

In meiner Familie sind alle entweder Workaholics oder würden aus Trotz am liebsten nichts machen und sich die ganze Zeit ordentlich einen reindübeln. Seit ich denken kann, ging mein Vater immer sonntags ins Büro, um ungestört zu arbeiten. Meine Mutter fuhr mit uns dann irgendwohin, um uns ungestört zu verwöhnen. Manchmal durften wir auf dem Rückweg zu McDonald’s, wir Kinder mümmelten zu dritt ein Happy Meal, prügelten uns und hörten, wer den lautesten Pommesrülpser rauspressen konnte. Und die Mutter schaute zu den Familien rüber, die gar keine Väter hatten. Nicht einmal solche, die nicht da waren.

Arbeitssucht hat nach wie vor etwas Erstrebenswertes. Es ist ja fast schon nobel, wenn ein Arzt sagt, wie viele hundertnochwas Stunden er diese Woche wieder geschuftet und Leute gerettet hat. Leute, die dank ihm bald auch wieder arbeiten können für eine florierende Wirtschaft. Gut gemacht. Niemand würde damit angeben, wie viel er geschlafen hat, wie viel Kuchen er übers Wochenende gefressen hat oder wie unglaublich zufrieden und im Reinen er mit seinem Leben ist. Aber sich kaputtrackern und unglücklich, reich und viel zu jung sterben? Yes, please. Es ist zweitausendsiebzehn, Baby: Die Mehrheit ist schlau genug, um nicht mehr an einen Gott zu glauben, der uns im Jenseits für unsere Sünden quält. Also müssen wir einander für Faulheit eben schon im Diesseits bestrafen. Mit Scripted Reality auf RTL, die allen zeigt, was für abartige Asoziale die ohne Arbeit doch sind.

Ich würde nicht einmal sagen, dass ich gern arbeite. Aber ich hasse es, wenn ich nicht arbeite. Wahrscheinlich Workaholic. Eigentlich sind Workaholics einfach nur Leute mit einem asexuellen Fetisch für die Selbstkasteiung. Am liebsten versinke ich so tief in einem Berg aus Aufgaben, dass ich vergesse, zu essen und zu schlafen, und dann irgendwann nicht mehr weiß, ob ich gerade meinen Beruf hasse, mein Leben oder mich selbst. Maximale Belastung, das macht mich so richtig geil. Und in den Ferien breche ich weinend zusammen, weil ich merke, dass die Welt sich auch weiterdreht, wenn ich keine schlechte Zeit habe.

Vielleicht brauchen wir ja gar nicht noch ein Start-up-Unternehmen aus Berlin-Mitte. Bestimmt wäre es sogar besser für den Planeten, wenn alle ein bisschen mehr chillen würden. Und bevor einer seine Arbeit schlecht macht, soll er doch lieber gar nichts machen. Egal ob er beruflich einen Arbeitslosen bei RTL spielt oder sich als Arzt zu Tode rettet. Hauptsache, die Arbeit wird so gut gemacht wie möglich. Selbst wenn einer Massenvernichtungswaffen baut, ist es mir lieber, wenn er das exzellent und gern macht. Nicht, dass die Bombe ungeplant zu früh explodiert und ich im Jenseits bin, bevor ich die Gelegenheit hatte, einfach mal gar nichts zu machen und zu genießen.

Hazel Brugger ist Stand-up-Comedian, Moderatorin und Kolumnistin aus der Schweiz. Sie tritt in Satiresendungen auf, beispielsweise als Außenreporterin bei der „heute-show“ des ZDF. Sie ist Gewinnerin des Salzburger Stiers, des Deutschen Kleinkunstpreises 2017  und  des Bayerischen Kabarettpreises 2017.

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