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ASA-Blog Bosnien: Kriechend durch Höhlen und kein Heimweh

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13. Eintrag (Online seit 20. Dez 2006) Freunde für immer – Prijatelji zauvijek Es ist immer das gleiche, wenn man wieder gehen muss – man lässt Leute zurück, die einem ans Herz gewachsen sind und die man eigentlich gar nicht zurücklassen sondern mitnehmen will. Wahrscheinlich haben das schon viele von uns erlebt, die mal eine kurze oder längere Zeit an einen anderen Ort gingen, in eine andere Kultur „hinein schnuppern“ konnten und früher oder später Freunde gefunden haben, die vielleicht ganz anders waren als die Freunde daheim und vielleicht gerade deshalb unersetzbar werden. Was kann ich sagen, eigentlich kann ich gar nichts mehr sagen. Nur, dass der Zeitpunkt des Abschieds gekommen ist und wir nochmal eine richtig große Abschiedsparty in unserer so lieb gewonnenen Wohnung gegeben haben, zu der alle kamen, von Freunden über Arbeitskollegen bis Nachbarn und sonstwer. Und da haben wir gemerkt, dass es gar nicht wichtig ist, dass es gelegentlich zu Hause kein fließend Wasser gab oder dass die Nachbarn soviel geheizt haben, dass der Rauch aus den Schornsteinen uns die Sicht auf die Stadt nimmt oder dass hier eben nicht jeder einen i-Pod oder eine eigene E-Mail-Adresse hat. Was zählt ist, dass wir Freunde hatten, die uns Tag und Nacht begleitet haben und einfach DA WAREN. Danke nochmal an alle und für alles und vor allem danke an Charlie .......... Euer Lars

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

A last picture: Von links sind es Meho, Charlotte und Ricki.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Another last picture: Von links sind es Hrusto, Lars und Merlin. +++ 12. Eintrag (Online seit 12. Dez 2006) Sport ist Mord Viele bekannte bosnische Sportler gibts ja eigentlich nicht, wenn man mal von den Fussballstars Salihamidžić (schon jahrelang bei den Bayern unter Vertrag, wo er ständig trifft und schon jahrelang in der bosnischen Fussball-Nationalmannschaft, wo er nie trifft) oder vielleicht den Fussballgott Ibrahimović, der aber eigentlich nur bosnische Eltern hat, die vor langer Zeit nach Schweden ausgewandert sind. Dann gibt es da noch Milošević, der zwar aus dem bosnischen Bijeljina kommt, aber, da er eben Serbe ist, schon früher in Belgrad gespielt hat und sich wegen des ganzen Hick-Hacks, für welches Land er jetzt spielen soll, einfach nach Spanien abgesetzt hat und dort bei Osasuna Pamplona zum Torschützenkönig geworden ist. Ja, ausser den Fussballern gibt es eigentlich keinen weltbekannten bosnischen Sportler. Die Skistars kommen aus Kroatien (Janica Kostelić lässt es mit ihren olympischen Goldmedaillien von Turin dieses Jahr ruhiger angehen und wollte eigentlich ganz pausieren) und die Tennisstars kommen aus Serbien bzw. auch Kroatien. Dann gibt es noch Wasserball, Handball und Basketball, wo schon immer Jugoslawien alles gewonnen hat. Nach dem Fall des Sozialismus in Jugoslawien ist leider auch die Nachwuchsgewinnung zusammengebrochen und heute gibt es eben nur noch Fussball, ein bisschen Tennis (für den, der sich´s leisten kann) und, zu unserer grossen Überraschung, eben auch Schwimmen. Da ich schon in Spanien im Schwimmklub war (hierbei viele Grüsse an den Club de Natacio de L Hospitalet, die aber leider diesen deutschen Blog ohnehin nicht lesen), haben wir uns gleich beim Schwimmbad im Hotel Tuzla angemeldet, wo alle Schwimmgruppen trainieren. Aber nicht nur Schwimmen bietet sich an.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wozu sich die bergige Landschaft Bosniens aber besonders eignet, ist zum Wandern, Klettern und für sonstige „Outdoor“-Aktivitäten. Vielleicht ist manchen ja noch die wahnsinnig tolle Landschaft der „Winnetou“-Filme bekannt, die im Nationalpark der Plitvicer Seen an der bosnisch-kroatischen Grenze gedreht wurden. Wie man auf dem Foto sieht, verschlug es uns ein Wochenende in die Gegend um Ključ, die für ihre vielen Höhlen bekannt ist. Auf eigene Faust kann man in der karstigen Berglandschaft Höhlenforschung betreiben. In der Hrustanovka pećina robbten wir zwei Stunden durch enge Gänge und minimale Löcher, bis wir an einen Ort gelangten, an dem sich Muslime während der serbischen Belagerung angeblich mehr als ein Jahr aufhielten. Matratzen und sonstiger Hausmüll wurden dort von der Flagge der Muslime umrahmt. Wer Abenteuertourismus sucht, soll nach Bosnien kommen!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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Euer Lars +++ 11. Eintrag (Online seit 12. Dez 2006) Über den Herzschmerz Charlotte schreibt: Viel hab ich geschrieben über Land und Leute, Reisen, Arbeit und Freizeit. Wenig darüber, wie es mir selbst hier so geht. Für all diejenigen von Euch, die schon vom Kulturschock gehört haben – ich denke, ich habe diesen alten Herrn hier das erste Mal wirklich zu spüren bekommen. Ganz klassisch war am Anfang alles super. Alles aufregend, alles neu – ich war beschäftigt mit sehen, riechen schmecken und so weiter. Aber circa nach einem Monat, als der Alltag sich einschlich und aller Besuch abgereist war, kam dann doch so etwas wie ein Loch. Das Gefühl, dass sich keiner wirklich dafür interessiert, ob wir nun hier sind oder nicht. Dass unsere Arbeit nicht wirklich Sinn macht. Dass alle am Anfang von Partys und gemeinsamen Ausflügen gesprochen hatten, derartiges aber nie stattgefunden hatte. Dass keiner außerhalb der Arbeit wirklich Zeit mit uns verbringen wollte. Dass mein Liebster mir furchtbar fehlte. Und wohl am schlimmsten für mich: dass ich diese verfluchte Sprache nie im Leben lernen würde. Dass ich Vokabeln büffeln könnte ohne Ende und dennoch nichts verstehe würde, wenn mich jemand anspricht. Zur Krönung sagte dann noch einer meiner Arbeitskollegen „Du musst Dich mit unserer Sprache wirklich mehr anstrengen“. An dieser Stelle nicht zu weinen und abzuhauen hat mich einiges an schauspielerischen Fähigkeiten und Selbstkontrolle gekostet. Und dann bin ich auch noch krank geworden. Fieber und drei Tage im Bett in der Fremde. Hervorragend! Bevor alles ganz schwarz wirkt, muss ich betonen: die Tatsache, dass Lars und ich gemeinsam hier sind, die Tatsache, dass wir uns so gut verstehen und die lockere Art mit der Lars einfach allem entgegen tritt haben dafür gesorgt, dass es mir nie wirklich schlecht ging. Nach jedem Kulturtief geht es wieder bergauf und so saßen wir eines abends im Restaurant und unterhielten uns darüber, wie schwer es ist, zu den Bosniern wirklich Kontakt herzustellen. Da kam der Kellner an unseren Tisch, doch anstatt „Darf es noch etwas sein?“ fragte er „Woher kommt Ihr beiden denn? Ich war während des Krieges in Deutschland. Ich wollte schon lange mal wieder mit jemandem Deutsch sprechen. Morgen habe ich meinen freien Tag. Wollen wir uns treffen?“. Ab dem Moment wurde alles nur noch immer besser. Plötzlich feierten die Bosnier mit uns – und zwar so richtig. Plötzlich führte ich mein erstes Gespräch mit einem fremden Angler an einem See – einfach so. Plötzlich machte unsere Arbeit wieder Sinn, denn es war schön zu sehen, dass die Jugendlichen immer wieder kamen und an unseren Kursen teilnahmen. Plötzlich erhielten wir einfach so Besuch bei uns zuhause – sie kamen mit einer Flasche Rakija unter dem Arm und blieben die ganze Nacht. Und unsere Nachbarin weinte, weil es so traurig sei, dass wir nur so kurz blieben. Plötzlich waren wir zuhause. Und jetzt – jetzt ist es einfach nur unvorstellbar, dass wir wieder gehen sollen. Heute sind es noch zwei Tage. Nachdem ich einige Zeit die „erledigten“ Tage in meinem Kalender durchgestrichen hatte, kann ich sie jetzt einfach nicht am verstreichen hindern. Aua...


10. Eintrag (Online seit 12. Dez 2006) Die Bosnier und die Deutschen Charlotte schreibt: Vor langer langer Zeit (vor drei Monaten), als ich noch in Regensburg zur Uni ging, habe ich mich intensiv mit interkultureller Psychologie beschäftigt. Deshalb habe ich hier versucht zu beobachten, worin die Bosnier sich von den Deutschen besonders unterscheiden. Ich könnte seitenweise Papier zu diesem Thema füllen, will aber hier nur einige Beispiele nennen: Die Familie hat hier sehr große Bedeutung. Jeder hat eine große Familie und verbringt auch viel Zeit in der Familie. Dies gilt auch für die Arbeit – es stellte sich heraus, dass eigentlich alle hier bei uns in der Organisation irgendwie verwandt sind. Dies beeinflusst auch, wie offen die Menschen gegenüber Fremden sind. Alle sind äußerst nett, interessiert und hilfsbereit, aber richtig enge Bindungen entstehen kaum. Zweites Thema: Geschlechterrollen. Die meisten unserer Freunde, Kollegen und Nachbarn hier sind Muslime. Vermutlich ist das auch die Ursache dafür, dass die Beziehung zwischen Männern und Frauen anders ist als bei uns. Erstens ist klarer definiert, wer welche Aufgaben verrichtet: Wer den Kaffee macht, wer den Computer repariert, wer sich um die Kinder kümmert und wer das Auto fährt. Zudem ist die Beziehung unter den Frauen und unter den Männern herzlicher und wärmer als zwischen den Geschlechtern. Das konnten Lars und ich sehr schön daran erfahren, wie uns beiden von unterschiedlichen Personen begegnet wurde. Drittens: Flexibilität und Verlässlichkeit. Eine wichtige Lektion ist allemal, dass „Wollen wir morgen...“ höchstens heißt „Wollen wir morgen eventuell, vielleicht, falls sich nichts Anderes ergibt...“. Abmachungen, die ich anfangs als fest ansah, stellten sich immer wieder als hinfällig heraus, wenn der verabredete Termin gekommen war. Ebenso flexibel wie solche Termine werden auch Regeln und Strafen behandelt. Mit der Polizei lässt sich beispielsweise hervorragend verhandeln, wenn man in eine Kontrolle geraten ist. Dies zieht sich in alle Lebensbereiche. Kleines Beispiel: Gestern wollte ich fünf Liter Wasser kaufen, die bisher 1 KM gekostet hatten. Plötzlich kosteten sie 1,5 KM. Warum? Wasser ist teurer geworden, sagte der Verkäufer. Aber wenn Du magst, kannst Du auch nur 1 KM bezahlen. Viertens: Emotionalität und Benehmen. Im Vergleich zu den Amerikanern oder Briten, gelten wir Deutschen als ziemlich direkt und auch unhöflich. Aber hier wird um einiges offener und teilweise härter gesprochen als bei uns. Schönes Beispiel: gefragt nach dem Wort für „höflich“ auf Bosnisch wußten unsere Freunde keine Antwort und das Wort in unserem Wörterbuch hatten sie noch nie gehört! Wenn Meinungsunterschiede bestehen, werden die ausgetragen – und zwar nicht ruhig und kontrolliert. Es wird viel und laut gestritten und einige unserer Teamsitzungen endeten damit, dass jemand wutentbrannt den Raum verließ. Zudem ist nach so einem Ausbruch fast keine weitere Arbeit mehr möglich. In Deutschland bemüht man sich, sachlich zu bleiben und Privates und Arbeit zu trennen. Hier ist die persönliche Beziehung aber so wichtig, dass nicht weitergearbeitet werden kann, wenn ein Streit vorgefallen ist. Zum Thema Arbeitseifer und Disziplin lässt sich wiederholen, was uns Deutschen wohl überall auf der Welt auffällt. Wichtig sind die Kaffeepausen, wichtig ist das Gespräch am Arbeitsplatz. Gearbeitet wird hauptsächlich, wenn von außen Druck ausgeübt wird. Kein seltenes Bild: Einer arbeitet und drei Andere stehen dabei, beobachten, geben Ratschläge, rauchen. Allerdings gilt dies besonders für die Männer, weniger für die Frauen. Eine ganz besondere Erfahrung ist es auch, hier speziell als Deutscher anzukommen. In vielen Ländern immer noch schief angesehen, genießen wir Deutschen hier einen wirklich guten Ruf. Zudem sprechen viele Menschen hier unsere Sprache, weil sie im Krieg oder als Gastarbeiter in Deutschland waren. Sie kennen uns und unser Land viel besser als wir das Ihrige. Wichtig ist allerdings auch immer wieder unser Geld. Zwar werden wir als Freunde gesehen, aber ebenso als reiche Gönner, die immer Geld haben und zu einem großen Teil auch die Funktion erfüllen, dieses Geld nach Bosnien zu tragen. Ich könnte lange so weiter erzählen und viele Beispiele bringen. Und doch ist alles was ich beschreibe nur ein kleiner Ausschnitt von Land und Leuten. Es gilt, weiter zu beobachten.
9. Eintrag (Online seit 1. Dez 2006) Das ist sie: Unsere Arbeit in einem bosnischen Jugendzentrum Insgesamt haben wir ja nun schon viel geschrieben, über Bosnien-Herzegowina, über Land und Leute. Jetzt ist es allerdings an der Zeit mal ein wenig über unsere Arbeit in den beiden Jugendzentren zu schreiben. Wir haben uns gut eingearbeitet. Alle Mitarbeiter und Kinder kennen uns inzwischen und wissen, dass sie uns gegenüber langsam sprechen müssen. Die Kleinen weisen sich sogar immer gegenseitig darauf hin, dass ich nichts verstehe - Ona ne razumijem nista.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ha! Karatekurs. Bei der Arbeit mit den Jugendlichen ist es schön zu erleben, dass man mit viel Flexibilität und wenig professionellem Wissen viel Begeisterung erzeugen kann. Zuhause habe ich oft das Gefühl, man kann nur eine Gruppe leiten, wenn man absoluter Profi ist. Hier machen alle begeistert mit, obwohl ich weder die Sprache kann, noch von dem eigentlichen Thema besonders viel verstehe. Schwieriger ist allerdings, dass sie sich dafür nicht lange auf dasselbe konzentrieren können. Wir machen inzwischen Karate-, Tanz-, Englisch-, Deutsch- und Spanischkurse. Mit einigen Jugendlichen haben wir zudem angefangen, Geschichten für eine Foto-Love-Story zu schreiben. Eine dieser Geschichten ist inzwischen soweit fortgeschritten, dass wir sie fotographiert, ausgedruckt und beschriftet haben und jetzt nur noch für eine kleine Ausstellung alles aufhängen müssen.

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Begeisterung und Wirbel sind am Anfang jeder Aktion und jeder Stunde groß. Alle tragen sich in die (obligatorischen, gegrüßt sei die bosnische Bürokratie) Listen ein und springen uns jubelnd und küssend um den Hals. Das ist wunderschön, beglückend und der größte Lohn für unseren Aufenthalt hier. Aber spätestens nach einer halben Stunde ist der halbe Kurs auch wieder verschwunden, kasperlt herum, möchte nur noch zusehen oder muss den letzten Bus nach Hause nehmen – nur um dann nach zehn Minuten aus dem Nichts wieder aufzutauchen. Es läuft immer anders ab, jedes Mal, und man braucht sich nicht zu wünschen, dass man irgendwann in soetwas wie einen Alltagstrott verfallen kann. Denn – wie mein Papa so schön sagt: Erstens kommt es anders – und zweitens als man denkt. +++ 8. Eintrag (Online seit 30. Nov 2006) Sarajevo, ljubavi moja Von Süd nach Nord, von West nach Ost, fast ganz Bosnien haben wir auf unseren Wochenendreisen bereits erkundet. Es gibt im ganzen Land zwar nur zwei Bahnlinien, aber das Busnetz ist hervorragend. Wir waren nicht nur im postkarten-romantischen Drinatal, der Grenze zwischen Bosnien und Serbien, bis hinunter nach Višegrad, wo die von Nobelpreisträger Ivo Andrić literarisch verewigte „Brücke über die Drina“ steht, sondern auch in Srebrenica, wo viel noch im Argen ist, im schon sehr touristischen Mostar, wo viel Restaurationsarbeit geleistet wurde, sowie in der Herzegowina, in Pale und dem Wintersportparadies Jahorina, und in Travnik, dem herrlichen Luftkurort im Zentrum Bosniens. Doch was uns wirklich beeindruckt hat, ist die Hauptstadt Bosnien, unser geliebtes Sarajevo (wer „Grbavica“, den Gewinnerfilm der diesjährigen Berlinale gesehn hat, wird sich an die Hymne der Sarajevskis „ljubavi moja“ am Ende des Films erinnern). Nicht umsonst wurde und wird Sarajevo das Istanbul Europas genannt, hier treffen Christentum, Islam und Judentum aufeinander und gerade auch deswegen war die Stadt das Zentrum des Bosnienkonflikts. Wenn man durch die orientalische Altstadt Baščaršija schlendert, mit ihren tausend kleinen Ständen, wo inzwischen wieder viele Touristen bosanska kafa trinken, denkt man nicht, dass gleich daneben zu beiden Ufern der Miljacka man schon im von Österreich-Ungarn geprägten Stadtteil ist. Genau hier, an der Stelle, wo der österreichische Kronfolger Franz Ferdinand erschossen wurde (was den 1. Weltkrieg ausgelöst hat) steht ein Gedenkstein, der interessanterweise nicht sagt Hier wurde Franz Ferdinand erschossen, sondern von hier schoss man auf Franz Ferdinand ...

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

This is: Sarajevo. Zu beiden Flussufern sieht man sowohl katholische als auch orthodoxe Kirchen, beeindruckende Moscheen und sogar die alte und neue jüdische Synagoge. Es ist fast unglaublich, dass nur wenige Jahre nach dem Bosnienkrieg wieder alle Religionen nebeneinander existieren können. Und die friedlich aussehenden Häuser an den Hängen des langen Tals, in dem sich Sarajevo erstreckt, lassen die Vergangenheit eigentlich fast vergessen. Sarajevo ist stolz darauf, die älteste Strassenbahn Europas zu haben, und alle fahren auch mit den alten Bahnen vom Zentrum bis runter nach Ilidža. Und dort an den Hochhäusern, die die breiteste Strasse Sarajevos säumen, sieht man immer noch die Einschüsse. Das einzige vollrestaurierte Gebäude, an dem unter dem furchtbaren Namen Snipers' Alley bekannt gewordenen Boulevard ist das „Holiday Inn“-Hotel, das während des Krieges Herberge für Journalisten aus aller Welt war. Wenn man die steilen Hänge über der Altstadt hinauf läuft, dann sieht man diese wunderschöne Stadt von oben. Dort haben wir auch ein schlichtes Privatquartier bekommen, von dem wir eigentlich gar nicht mehr weg wollten. Tja, Sarajevo hat eben einen gewissen Charme, der jeden gefangen nimmt. Ausprobieren! Euer LARS +++ 7. Eintrag (Online seit 1. Dez 2006) Familienerweiterung Ein Hund fehlt mir schon seit Jahren, seit ich zuhause ausgezogen bin und unser Hund Copper bei meiner Familie geblieben ist. Hier in Bosnien gibt es überall Hunde, vor allem Streuner, und die Sehnsucht nach einem Hund ist aufgrund der Sprachbarriere hier bei mir noch größer. Einen Hund kann man *vollquatschen, *schmusen und mit ihm *spazierengehen. Und er versteht einen und – noch wichtiger – stellt keine Fragen auf Bosnisch. Ein wunderbarer Kumpane also... Eines nachmittags saß einer dieser Kumpanen – keine Ahnung welche Rasse und noch sehr klein – bei uns vor dem Jugendzentrum. Als wir an diesem Abend nach der Theaterprobe nach Hause fuhren, saß er immer noch da und zitterte vor Kälte. Ich sah Lars an, Lars wußte wie immer sofort, was in meinem Kopf vorging, grinste, nickte und nahm seinen Rucksack vom Rücken und „schwupps“ verschwand unser neuer Freund darin und kam mit uns. Nicht ohne dass wir uns von den Bosniern hatten bestätigen lassen, dass wir dem Kleinen keinen größeren Gefallen tun könnten, als ihn im Winter von der Straße weg zu holen, natürlich. Dann wurde Welpenfutter gekauft und eine alte Jeans von Lars zum Schlafplatz umfunktioniert. Die junge Familie verbrachte den ersten Abend gemeinsam und es wurde geträumt: Ich hatte den festen Plan, ihn am Ende mit nach Deutschland zu nehmen. Kein Problem, kannste einfach im Rucksack schmuggeln, meinte Lars. Und wir nannten ihn Zuko, was auf Bosnisch soviel heißt wie „Köter“. In Deutschland klingt das gut, dachten wir.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Auf den Mensch gekommen: Charlie mit: Hund. In der ersten Nacht wurde ich um 4.00 Uhr wach, weil unser Zuko in seinem vollgepinkelten Bett stand, weinte und spielen wollte. Am nächsten Morgen, etwas übermüdet, kam mir die Familie schon nicht mehr so rosig vor. Aber die Nachbarn, unser Vermieter, die Kollegen und die Jugendlichen, alle liebten unseren Zuko. Er kam überall mit uns hin – in Restaurant und Bus mußte er wieder in seinen Rucksack verschwinden – und überall wurden wir von den Leuten angesprochen. Schön war das, aber auch anstrengend, ständig auf jemanden achten zu müssen. Zwei alten Egozentrikern wie Lars und mir fiel es nicht ganz leicht, unseren Tagesplan (besonders das Aufstehen) nach einem Zuko auszurichten. Zudem kam mir die Idee mit dem Schmuggeln nicht mehr so ideal vor, nachdem der Kleine wiederholt in unsere Wohnung und bei einer Busfahrt durch seinen Rucksack auf meine Hose gepinkelt hatte. Ihr hört den Imperfekt in meinem Text – wir sind leider nicht länger eine kleine Familie. Exakt eine Woche, nachdem wir ihn gefunden hatten verschwand Zuko auch wieder vor genau demselben Jugendzentrum. Tage später erhielten wir (mehr oder weniger ernste) Angebote, gegen Lösegeld unseren Kleinen zurückbekommen zu können. Aber da die Eheleute ihre eigene Beziehung wieder mehr pflegen wollten und es keine Zukunftsperspektive für die junge Familie gab, beschlossen wir, ihn in seiner neuen Familie zu lassen. Schweren Herzens.


6. Eintrag (Online seit 16. Nov 2006) Ceca & Co. oder: Turbofolk forever Lars schreibt: Wenn Tuzla eins hat, dann sind es endlos Bars, Tanzlokale und sonstige noch mit kommunistischem Mobiliar versehene Kultursäle, in denen auch garantiert immer laute Bässe und kurzberockte Mädchen zu finden sind. Und alle hören Turbofolk. Wer das noch nicht kennt: ist so eine Art tanzbare Volksmusik, die Bässe mit fast schon orientalischen Melodien verbindet. Vielleicht habt ihr ja schon mal was von Ceca gehoert, oder den sonstigen (Ex-)jugoslawischen Schlagerstars wie Goga Sekulic, Ana Nikolic, Dragana Mirkovic, Željko Joksimovic, und und und. Die Liste ist unendlich und Charlie findet auch, dass alles sowieso gleich klingt. Wenn wir dann hier in Tuzla mal ausgehen, landen wir manchmal auch im Roma (DER Diskothek ueberhaupt). Da denkt man echt, man ist in Miami gelandet oder vielleicht doch eher in Moskau. Jedenfalls kommt dort unser geliebter Turbofolk und alle tanzen und, vor allem, singen mit. Die Texte sind teilweise so einfach, dass man sie nach zwei Mal Hören schon drauf hat, so nach dem Motto: Ich will dich, du willst mich, lass uns zusammen. Und was garantiert immer vorkommt, ist das wort „srce“ (Herz), denn selbst die grössten Machos werden bei ihren Liebesanbetungen schwülstig und sagen, dass ihnen mal wieder das Herz gebrochen wurde, jajaja.

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Turbofolksuperstar Ceca. (Das Foto hat Lars, wie man sehen kann, der Webseite ceca.de entnommen) Und wenn man sich dann noch die Musikvideos anschaut, da sieht man eigentlich nur noch nackte Haut und teilweise schon ziemlich viel Silikon. Aber der Rhythmus geht eben sofort in die Beine und es macht umgemein Spass, darauf zu tanzen. Turbofolk ist im Grunde auch erst seit den 90'ern richtig in, alles begann eigentlich mit Ceca, dem Turbofolk-Superstar in (Ex-)Jugoslawien. Sie war damals noch mit Arkan verheiratet, einem Handlanger von Slobodan Milosevic. Ceca ist jetzt schon über zehn Jahre dabei und hat einen No.-1-Hit nach dem anderen. Vor Kurzem ist sie sogar durch Deutschland getourt, die Konzerte müssen ein Ereignis sein. Mal sehen, ob wir sie hier nochmal zu Gesicht bekommen. Bis bald, Grüsse an die Heimat, Euer LARS.


5. Eintrag (Online seit 10. Nov 2006) Das Leben mit der Natur Charlotte schreibt: Neben den Menschen beeindruckt mich hier in Bosnien-Herzegowina die Natur. Am Ende des Sommers gab es grüne Hügel und Wälder, wohin man blickte. Jetzt ist mit dem Herbst alles bunt geworden: gelbe und rote Blättermeere unter strahlend blauem Himmel. Die Menschen hier leben gemeinsam mit ihrer Natur. Beinahe jedes Haus hat einen eigenen kleinen Acker, ein kleines Gewächshaus oder mindestens ein paar Hühner oder Ziegen für die eigenen Eier oder die eigene Milch. Das beste Essen kann man auf dem Markt kaufen, bzw. von einzelnen Leuten, die davor Tischchen aufstellen und Selbstangebautes verkaufen. Eine neue Erfahrung war für mich, dass man nicht IMMER ALLES kaufen kann. Am Ende des Sommers wurde geerntet und gekauft und dann wurde eingemacht. Kraut, Tomaten, Paprika und Auberginen für den Winter, Marmelade und Honig für das ganze Jahr. Weil alles ja im Winter so teuer ist und ausserdem längst nicht mehr so gut schmeckt, sagt meine Nachbarin. Aber nicht nur für das Essen wird gesorgt. Aus den Äpfeln wird Apfelsaft und Medizin gemacht, aus den Trauben Rotwein und das Beste: aus den Pflaumen massenhaft Slivovici. Alles, was die Menschen nicht selbst hergestellt haben, essen und trinken sie auch nicht so gerne. Die Tatsache, dass man sich mit jeder Jahreszeit auf das freut, was diese Zeit zu bieten hat, gefällt mir. Nichts gibt es immer und nichts ist selbstverständlich. Aus Deutschland kenne ich dieses Gefühl eigentlich nur vom Lebkuchen und vom Glühwein. Und selbst die kann man inzwischen schon im September kaufen. All diese Naturverbundenheit hat allerdings auch ihre Grenzen, wenn es um den Umweltschutz geht. Ich habe selten so viel Müll in den Flüssen gesehen, selten so schlechte Luft eingeatmet wie hier, wenn es kalt wird und mit Holz geheizt wird: Ich habe selten so schwarze Rauchwolken aus einem Auspuff kommen sehen und selten so ein Müllverbrennungsystem erlebt, welches darin besteht, dass der Müll vor der Haustür selbst verbrannt wird. Vielerorts ist es auch nicht möglich, die wunderschönen Berge und Wälder anders zu erleben als aus dem Autofenster heraus, denn die Minen aus dem Krieg stellen nach wie vor eine grosse Gefahr dar. Ich will gar nicht darüber urteilen, denn ich verstehe, dass man sich wenig um die Natur Sorgen macht, wenn man kaum seine Familie durchbringen kann. Aber es tut weh, dies zu sehen. Weil die Natur so ein grosser Schatz für das Land ist.
4. Eintrag Nachbarschaft Charlotte schreibt: Eine der vielen positiven Überraschungen hier in Bosnien ist die herzliche Art, in der die Nachbarn miteinander umgehen. Hier gibt es schon fast keinen Abend, an dem wir für uns selber kochen müssen. Allzu oft steht eine lächelnde Nachbarin vor der Tür mit einem vollgepackten Teller für uns. Selbstgemachtes Burek und Krompirusa, Ajvar, Baklava, Honig, Kekse und gefüllte Paprika haben wir schon bekommen. Der absolute Höhepunkt: Eines abends kamen wir von der Arbeit und unser Nachbar grillte gerade ein Hühnchen mit Kartoffeln vor dem Haus. Wir bestaunten das Werk höflich – und zehn Minuten später stand er strahlend mit dem GANZEN Huhn vor unserer Tür. Zum Abendessen.

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Illustration: Julia Schubert

Wir haben noch was zu essen für Euch! Neben dem Essen muss man natürlich auch den Kaffee noch erwähnen. Einladungen zum bosnischen Kaffee erhält man immer und überall (der eigentlich türkischer Kaffee heisst, aber wie die Bosnier zu Recht bemerkten: in der Türkei trinken ja alle Tee). Leider kann ich mich nur mit den netten Nachbarköchinnen und –köchen kaum verständigen. Meistens grinse ich und lasse ein lautes "Mhhhmmmm" verlauten. An guten Tagen frage ich auch auf bosnisch, wie sie das nur hingekriegt haben. Dann folgt das Kochrezept, von dem ich allerdings leider nur die Gesten verstehen kann. Zum Dank habe ich mir also vorgenommen, auch zu Backen und die netten Leute zu beschenken. Das sagt mehr als Worte. *Erstes Problem dabei – ich habe keine Rezepte. Mama anrufen lassen! *Zweites Problem: Was heisst Hefe, gemahlene Haselnüsse und Puderzucker auf Bosnisch? Einkaufsliste mit Wörterbuch machen! *Drittes Problem: Wie kriegt man ganze Haselnüsse gemahlen? Hab sie in mein Kopftuch (für den Moscheebesuch) eingewickelt und mit einem Stein LANGE draufgehauen. *Viertes Problem: keine Waage. Schätzen! Die erste Ladung ist mir leider im bosnischen Turbooven verbrannt, aber dann gings. Anschliessend bin ich stolz mit meinen Tellerchen zu den Nachbarn. Als Reaktion kamen Unmengen von Baklava ins Haus geflattert. Vielleicht aus Mitleid. Denn über meine Plätzchen hat nie jemand ein Wort verloren. Aber sie lächeln und grüssen weiter. Und ich liebe diese Nachbarn! P.S.: Schöne Grüsse an meine Regensburger (Horror)Nachbarschaft.


3. Eintrag Polizei, Ämter und sonstige Insitutionen Lars schreibt: Heut hat mich die Polizei also schon wieder angehalten. Ich bin es zwar inzwischen gewöhnt, auf dem 45 km langen Weg von unserem zentralen Büro in Tuzla bis zum Jugendzentrum in Krizevici auf fünf bis 20 Polizeistreifen zu treffen, aber nachdem ich bereits gestern abend angehalten wurde (und wir konnten uns nur retten, weil wir sagten, dass wir den ganzen Tag gefastet haben und einfach schnell nach Hause wollen), müssen die mich heute schon wieder rauswinken. Naja, okay, kann ja nix passieren, da ich ja auch nich schnell gefahren bin. Dann hab ich brav meinen Führerschein, Fahrzeugschein und Versicherungsschein vorgezeigt und dazu diesen furchtbaren Fahrtenschreiber, also einen Block, bei dem man vor und nach jeder Fahrt genau Kilometerstand, Fahrtroute und Anzahl der beförderten Personen eintragen muss. Da sage mal einer, in Deutschland wären wir Bürokraten: Willkommen in Bosnien-Herzegowina. Jedenfalls meinte der Oberinspektor (denn es war ja keine gewöhnliche Streife, sondern eine Routinekontrolle vom Polizeiinspektor), dass ich von unserer Organisation noch einen Vertrag brauche, der mir bestätigt, dass ich als Ausländer das Auto der Organisation fahren darf. Und ausserdem müsste an Fahrer- und Beifahrertür neben der Adresse der Organisation auch der Name des Fahrers stehen. Also das kann ich mir überhaupt nich vorstellen. Dass der VW-Bus da mit meinem Namen durch Bosnien fährt ... Am besten war eigentlich der Kommentar vom Stellvertreter des Oberinspektoren: «Stell ihm ne Strafe aus, die würden uns in Deutschland auch bestrafen». Das war schon hart. Aber es kann auch genau andersrum laufen. Letztens warn wir auf dem Meldeamt. Normalerweise kostet es ne Unmenge Geld, sich hier anzumelden. Aber da wir mit unserem Vermieter Nermin da waren, dessen Cousin der Sachbearbeiter ist, wurde das alles unter der Hand erledigt und wir haben eine statt 50 Mark bezahlt. Da sage mal einer, dass sich Beziehungen nich auszahlen. Die Leute vom Amt waren total nett und wollten auch wissen, wo wir herkommen und was wir so denken. Da meinten wir, dass was uns am meisten auffällt, ist eigentlich, dass es in dem Büro, wo mindestens drei Leute arbeiteten, kein Computer stand. Sowas is in Deutschland mittlerweile undenkbar. +++ Öffentliche Verkehrsmittel

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Charlotte schreibt: Mein Bosnischkurs ist zu Ende. Es ist 21:00 Uhr am Mittwoch Abend und ich stehe an der Straße und warte auf den Bus nach Hause. Die Busse hier kosten nicht viel und fahren ziemlich regelmäßig – sind also angenehme Verkehrsmittel. Lange muß ich auch nicht warten, schon nach wenigen Minuten biegt ein Bus um die Ecke. „Nachtbus“ steht auf seiner Anzeigetafel. „Logisch, um diese Uhrzeit“, denke ich und steige ein. Erst nachdem ich sitze, fällt mir auf, dass „Nachtbus“ eine ungewöhnliche Bezeichnung für einen bosnischen Bus ist. Eigentlich sollte das „Nocni bus“ heißen. Ähnliche Dinge passieren hier häufig. Wir sind schon mit Bussen gefahren, die nach „Schweinbach“ oder „Altendorf“ fuhren bzw „keen Dienst“ hatten. Natürlich nicht wirklich. Aber viele der Busse hier sind Spenden aus Deutschland, Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden und die Anzeigentafeln hat niemand ausgewechselt. Ein kleiner Zettel an der Windschutzscheibe verrät dem aufmerksamen Beobachter das wahre Ziel des jeweiligen Busses. Nicht nur innerhalb von Tuzla sondern auch in ganz Bosnien stellt der Bus das meistgenutzte öffentliche Verkehrsmittel dar. Zumindest dasjenige der armen Leute. Geld braucht man wenig zum Bus fahren, aber eine unempfindliche Nase und viel Geduld. Bei meiner ersten Busfahrt dachte ich, warum stinken die Leute hier drinnen nur so? Dafür muß ich mich jetzt in aller Form entschuldigen. Es sind nicht eigentlich die Menschen. Es sind einfach die Busse selbst, die dringend eine Grundreinigung vertragen könnten. Und was die Geduld angeht: auf zwei von drei unserer Busreisen blieb der Bus bisher einfach für 50 Minuten stehen. Motor aus. Die Ursache dafür war nicht so klar ersichtlich, aber alle warteten einfach. Blieben ruhig sitzen oder freuten sich, dass Zeit für Zigaretten war. Es wurde geschwiegen, geduldig gewartet und dann ging es weiter. Ganz ungewohnt für mich, dass keiner zu Toben und Fluchen anfing und lauthals betonte, wie eilig er es doch habe. Irgendwie beruhigend, dass auch in deutsche Busse mit dem Alter ein solche Ruhe einkehren kann.


2. Eintrag Die Ankunft Jetzt sind wir also da. In Bosnien, dem Land, bei dem mir alle sagten „Warum gehst du denn gerade dorthin, da war doch erst Krieg...“. Gestern früh waren wir noch in Belgrad und wollten gegen Mittag dann nach Tuzla aufbrechen. Doch das mit dem Bus ist nicht so einfach, denn von Belgrad fahren zwar Busse in ca. 20 deutsche Städte aber nach Bosnien fährt keiner, zumindest nich in den kroatisch-muslimischen Teil. Auf meine Frage, warum es für ca. 100 km Luftlinie keinen Bus gibt, meinten sie nur, ob ich denn nicht die Nachrichten verfolgt hätte...Irgendwie haben wir es dann geschafft nach Bijeljina in den serbischen Teil Bosniens zu kommen, und landeten dann doch noch in einem alten Postbus nach Tuzla. Da wurden wir dann superherzlich empfangen von unserem IPAK-Team und haben uns das Büro in der Innenstadt von Tuzla angeschaut. Charlie hatte über Martin, der bis vor einem Monat bei IPAK war, dessen Wohnung besorgt, die liegt idyllisch am Südhang der Stadt. Heute ging es dann gleich mit dem VW-Bus in das IPAK-Zentrum nach Krizevici, in den serbischen Teil. Nach den tausend Moscheen in Tuzla dachte ich, dass dort nur orthodoxe Kirchen stehen. Dass das aber nicht so ist, sieht man auf dem Foto.

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Illustration: Julia Schubert

Da bin ich bei Aufräumarbeiten im Jugendzentrum und im Hintergrund sieht man die Moschee von Krizevici. Mal sehen, was noch so auf uns wartet. Bis bald, Euer Lars Der Krieg Eigentlich ist es ja sehr schade, in einem der ersten Texte über den Krieg zu schreiben. Aber viele Menschen denken nunmal zunächst an Krieg, wenn sie den Namen Bosnien-Herzegowina hören. Zudem stellen Zerstörung und Leid, die der Krieg mit sich brachte, den primären Grund dafür dar, dass Lars und ich hierher gekommen sind. Also, sprechen wir über den Krieg. Die ersten paar Tage nach unserer Ankunft ist der Krieg mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Ich war damit beschäftigt, mein Zimmer zu beziehen, unsere Arbeitskollegen kennen zu lernen und ohne Bosnischkenntnisse etwas zu Essen zu organisieren. Weder die Stadt Tuzla selbst noch die umliegenden Dörfer sahen nach Krieg oder Nachkrieg aus. Ich vergaß ihn also.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Erst nach ein paar Tagen fiel er mir wieder ein und ich begann, ganz bewußt nach den Spuren des Krieges zu suchen. Ich entdeckte vor allem außerhalb von Tuzla Häuser, an deren Fassade Einschußlöcher zu sehen sind. In jedem Dorf gibt es wenigstens einige Häuser, die leer stehen, die nicht wiederaufgebaut wurden. Auf vielen Friedhöfen, in vielen Parkanlagen und vor den meisten Betrieben finden sich große Mahntafeln mit den Namen der vielen Opfer. Eindeutige Zeichen des Krieges. Aber für mich in diesem Moment doch nicht so eindeutig. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Ich konnte mir Krieg weder in dieser sonnendurchfluteten Stadt mit ihren fröhlichen Menschen, noch in den wunderschönen grünen Hügeln um Tuzla herum vorstellen. Wie ein armes Land sah Bosnien für mich aus. Aber Krieg? Im ersten Deutschkurs für die Jugendlichen, in dem ich assistierte, beschrieben sich anfangs alle Teilnehmer in wenigen Sätzen. „Ich heiße Svetlana. Ich komme aus Tuzla. Ich bin 15 Jahre alt. Ich mag Pizza. Ich mag nicht Krieg.“, sagte das erste Mädchen. Der Krieg schleicht sich erst ganz allmählich in mein Leben hier – und mein Bewusstsein – ein. Erst im Gespräch mit den Menschen hier verstehe ich, dass jedes einzelne verlassene Haus von einer Familie erzählt. Von einer Familie, die vielleicht gewaltsam vertrieben wurde oder floh, die nicht zurückkommen konnte oder wollte, oder die vielleicht sogar tot ist. Es sind nicht einfach kaputte Häuser. Jedes erzählt seine Geschichte. Im Gespräch mit den Menschen hier spüre ich auch, wie präsent der Krieg in den Köpfen noch ist. Die ganze Gesellschaft hier scheint aufgeteilt in diejenigen, die den Krieg hier erlebt haben und diejenigen, die geflohen sind. Und alle, alle reden vom Krieg. Ich fühle mich ein bißchen an meine Großmutter in Deutschland erinnert. Auch sie redet vom Krieg, noch heute. Für sie, sowie viele Menschen in ihrem Alter, ist der Krieg in Deutschland noch immer nicht ganz Vergangenheit geworden. So, denke ich, ist es für die Menschen hier wohl auch. Auf den ersten Blick ist der Krieg für den fremden Beobachter nur zu erahnen. Unvorstellbar. Aber die Menschen hier tragen ihn in ihren Köpfen und ihren Herzen noch lange mit sich herum. Das ist wohl der schlimmste Schaden, den der Krieg anrichtet. Was mich betrifft, ähnlich wie bei den Geschichten meiner Oma, kann ich es noch so oft hören. Es bleibt einfach unvorstellbar. + + + + + + + + + + + + + + + + 1. Eintrag Das sind Wir Das Team für das ASA-Projekt „Jugendbildung in Bosnien-Herzegowina“, das sind wir: Charlie und Lars.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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Ich, Charlie, bin 25 Jahre alt, ziemlich klein und lache gerne. Ich bin in Gröbenzell, einem kleinen Vorort von München, aufgewachsen. Nach der Schule bin ich zum Studium ins wunderschöne Regensburg gegangen. Sechs Jahre und einen Auslandsaufenthalt in England später habe ich es diesen Sommer gerade geschafft, mein Psychologie-Diplom zu ergattern. Und schon drei Wochen später sitze ich im Bus. Richtung: Bosnien. Ja, und im selben Bus sitze ich, Lars, eigentlich aus Blankenberg, einem kleinen idyllischen 1000-Seelen-Dorf an der bayrisch-thüringischen Grenze. Nach Gymnasium in Bad Lobenstein, Spanisch/Englisch-Studium an der Humboldt-Uni Berlin und vier Jahre hartem Joballtag als Dolmetscher bei Mecalux in Barcelona bin ich also auch hier in Bosnien gelandet. Für alle Projektteilnehmer organisiert ASA vor der Ausreise zwei einwöchige Vorbereitungsseminare. Auf diesen Seminaren konnten Lars und ich uns kennen lernen sowie bis spät in die Nacht hinein einen detaillierten Plan ausarbeiten, was wir in Bosnien tun wollten. Naja, jedenfalls so ungefähr ... Der Plan war Anfang September 2006 folgender: Lars wollte für die Jugendlichen Sprachkurse in Deutsch, Englisch, Französisch oder Spanisch anbieten, je nachdem, wonach Bedarf bestand. Das hatte er schliesslich studiert. In einem Psychologie-Studium lernt man viele interessante Dinge, allerdings kann man nur wenige dieser Dinge direkt nach dem Studium auch anwenden. Glücklicherweise hatte ich die vergangenen sechs Jahre jedoch nicht nur auf mein Studium verschwendet, sondern vor allem auch viel Theater gespielt und ein wenig Regie geführt. Mein Plan war daher, in Bosnien mit den Jugendlichen ein wenig Theaterarbeit zu machen. Zunächst Übungen und später eventuell sogar ein kleines Stück mit Szenen zum Leben in Bosnien. Soweit also der Plan. Was mir allerdings beim Gedanken an den schönen Plan des öfteren in den Kopf schoss, war folgendes: Wie soll ich eigentlich mit den Bosnisch-Kenntnissen aus einem halben VHS-Kurs eine Theatergruppe anleiten? Das ist unser Projekt Unser ASA–Projekt führt uns zu IPAK in Tuzla, Bosnien-Herzegowina. IPAK ist eine Organisation, die die Kommunikation zwischen den bosnischen Jugendlichen aus den unterschiedlichen Ethnien fördern und ihnen eine positivere Zukunftsperspektive bieten will. IPAK wurde als Reaktion auf einen Granatenangriff im Zentrum von Tuzla gegründet, bei dem über 70 junge Menschen getötet wurden. IPAK bedeutet auf Bosnisch „trotzdem“.

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Das Büro von IPAK liegt mitten in der kleinen Altstadt von Tuzla, das in der Föderation, also dem kroatischen und bosniakischen Teil von Bosnien liegt. Zudem hat IPAK zwei Jugendzentren. Eines in Simin Han, einem Vorort von Tuzla. Das Andere in Križevići, einem kleinen Dorf etwa eine Stunde östlich von Tuzla. Križevići liegt in der Republika Srpska, also dem serbischen Teil Bosniens. Unsere Aufgabe bei IPAK soll es sein, die Arbeit der Organisation kennen zu lernen und das Programm der Jugendzentren durch eigene Angebote aktiv mit zu gestalten. Hier findest du einen Überblick über alle ASA-Blogger.

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