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Nach dem Dreh ist vor dem Schnitt: Torben zieht Fazit

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10. Eintrag (Online seit dem 29. Dez 2006) Es war, es ist, es bleibt ... Versuch eines Fazits. Auf dem Bahnhof am Flughafen Frankfurt stelle ich fest, dass die Flasche Pisco Sour, die ich in Santiago de Chile gekauft hatte, die Reise nicht überlebt hat. Ich habe sie in der seit kurzem vorgeschriebenen Plastiktüte durch die Antiterrorkontrollen in Madrid und den Zoll in Frankfurt gebracht. Den Weg zum Bahnhof aber hat sie nicht überstanden. Durch die Tüte tropfte eine grüne Flüssigkeit in meine Tasche - doch dank dem internationalen Terrorismus und dem Krieg gegen ihn blieb der Rest des alkoholischen Gemenges durch das Plastik getrennt von ihrem Inhalt. Willkommen in der Europäischen Union. Willkommen in Deutschland. Der Zug fährt ein. Was bleibt nach drei Monaten Lausitz, drei weiteren Monaten Wüstensand, dem Zusammentreffen dreier Personen aus verschiedenen Kontinenten auf verschiedenen Kontinenten? Was passiert mit rund 40 Stunden Filmmaterial, wenn die Produzenten dieser Bilder ab sofort 10.000 Kilometer voneinander entfernt zusammen arbeiten müssen? Neben mir beharrt ein Mann auf seiner Reservierung mit Sitzplatz an Tisch und Fenster. Ich sitze am Gang und ignoriere seine Sorgen. Es war eine tolle Zeit, sicherlich, auch wenn nicht immer alles lief wie geplant. Der Film ist noch lange nicht fertig, vorraussichtlich wird er es erst im Sommer 2007 - so wir die Postproduktion finanziert kriegen. Es war eine anstrengende Zeit. Die Kommunikation lief nicht immer am Schnürchen (es lag nicht an der Sprache!), oft lagen die Prioritäten einfach zu weit auseinander und es fehlte das Verständnis. Aber die Konflikte führten nie wirklich zu einer Krise, eher zu kurzzeitigen Frustrationen, die sich dann wieder auflösten, wenn es los ging mit der Arbeit. Oft aber gab es wenig zu tun, zumindest für mich. Nun fahre ich wieder mit dem Zug durch Deutschland. Aus dem Norden Chiles ging es über Santiago, Madrid und Frankfurt in den Norden Deutschlands zu meinen Eltern. Eisenbahn statt Bus. Euro statt Peso. Wald statt Wüste. Winter statt Sonne. Ich habe zur Zeit genug von der Wüste. Zwar ist sie landschaftlich beeindruckend, aber zum leben doch sehr deprimierend auf Dauer. Auch ist Antofagasta nicht gerade eine Stadt, die sich als Kulturmetropole vom braunen Staub abhebt. Sie lebt vom Hafen und den Kupferminen. Hier wird Chiles Reichtum erwirtschaftet, ausgegeben wird er woanders. Ja, drei Monate "Antofa" sind genug - zunächst. Hamburg - Hauptbahnhof. Ich steige um in den Regionalzug, der mich in die Heimat bringen wird. Letzte Etappe einer 24-stündigen Reise, ein Luftholen in einem Abenteuer, das noch lange nicht beendet ist. Es sind noch viele Schritte bis zum Film Schwarzes Gold - Weißes Gold. Nach Kohle und Salpeter. Doch unhaufhaltsam wird er entstehen, um irgendwann auf einer Premiere zu laufen. Das weiß ich. Ob sie hier oder in Chile stattfinden wird, das weiß ich nicht. Würde ich es noch einmal machen? Sicherlich. Allerdings mit mehr Vorbereitungszeit, schon aus Gründen der Finanzierung und der thematischen Einarbeitung. Dennoch wird dies kaum manche Frustration vermeiden. Interkultureller Dialog ist immer ein Wagnis, das man annehmen muss. Dass dabei nicht alles rund läuft, ist logisch. Aber wir arbeiten daran, arbeiten weiter. Das Projekt war, ist und wird sein. Ich komme an. Ich bin zurück. Jetzt heißt es erstmal Kraft schöpfen und Geld finden für die nächsten Schritte. In Deutschland und in Chile. Aber für mich ohne Pisco Sour.


9. Eintrag (Online seit dem 12. Dez 2006) Er ist endlich tot. Die frohe Nachricht erreicht uns beim Mittagessen im Markt von Valparaíso. 14.15 Uhr Ortszeit ist der ehemalige General und Diktator Augusto Pinochet an den Folgen eines Herzinfarkts am 10. Dezember verstorben. Am Internationalen Tag der Menschenrechte. 3.000 Ermordete und Vermisste sowie 30.000 Folteropfer sind die Bilanz seiner Gewaltherrschaft. Dennoch wurde der 91-Jährige nie verurteilt für seine Taten - wegen seiner Gesundheit. Man müsste nun meinen, eine solch offensichtlich frohe Botschaft treibe das Volk zu spontanen Freudenfeiern auf die Strasse, aber die ersten Fernsehbilder, die uns zu Fisch und Muscheln erreichen sind ganz anderer Art. Ein Haufen älterer Frauen, die bereits seit Stunden und Tagen vor dem Hospital ausharrten, brechen in Tränen aus und erst nach einiger Zeit wurde auf einem geteilten Bildschirm gezeigt, wie sich in Santiago auf dem Plaza Italia eine Menschenmenge ansammelt. Die Damen, allgemein bekannt als "Pinochet-Witwen", halten Plakate mit dem Foto des Generals, wie er immer nur genannt wird, und haben darunter "Gracias" (Danke) geschrieben. Auch bei der am nächsten Tag folgenden Aufbahrung in der Escuela Militar defilieren Tausende von Menschen am offenen Sarg vorbei und obwohl die Schule die Tore bis tief in die Nacht geöffnet hat, können nicht alle Trauerwütigen dem Ex-Diktator ihre letzte Referenz erweisen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

(Foto: ap) Luise, die ich in Valparaíso bei ihrem ASA-Projekt besuche, kann es gar nicht fassen und ich muss zugeben, dass auch ich einigermassen konsterniert bin über die Vehemenz und Kaltschnäuzigkeit der Anhänger, die allesamt der Ansicht sind, dass der General das Land vor dem Kommunismus bewahrt habe. Pinochet hatte am 11. September 1973 den frei gewählten, sozialistischen Präsidenten Salvador Allende gestürzt. Während die Luftwaffe den Präsidentenpalast bombardierte, hielt Allende eine letzte berühmt gewordene Radio-Ansprache an das chilenische Volk - und beging danach Selbstmord. Ernesto hingegen nimmt im Gegensatz zu uns Deutschen das ganze Schauspiel der P-Fans, ebenso wie die chilenische Familie am Nachbartisch, gelassen und routiniert auf: "Das wichtigste ist, dass Pinocchio tot ist. Auch wenn er nicht verurteilt wurde." Am Abend treffen wir dann auch in Valparaíso auf eine Freudensfeier, bei der vor allem Mitglieder der Kommunistischen Partei und anderer linker Splittergruppen zugegen sind. Dort taucht dann auch Allende wieder auf. Wieder ist es eine ältere Frau, die diesmal sein Bild in die Menge hält. Neben vielen roten Fahnen sind auch einige Chile-Fahnen zu sehen, teilweise mit dem aufgesprühten Konterfei des Ex-Präsidenten. Trommelspieler sind anwesend, es wird gesungen und getanzt: "Er ist tot, er ist tot!" In Santiago bricht sich die Freude mittlerweile bis zum Präsidentenpalast Bahn, wo es zu den erwarteten Ausschreitungen kommt. Es gibt verletzte Polizisten und Demonstranten und die Versammlung wird mit Wasserwerfern auseinandergetrieben. Das Radio rät, man solle an diesem historischen Tag für Chile zu Hause bleiben. Mittlerweile hat die Regierung Bachelet verkündet, dass für den verstorbenen Ex-General Pinochet die dafür im Protokoll vorgesehenen Massnahmen durchgeführt werden. Also ein militärisches Begräbnis und Trauerbeflaggung des Militärs. Damit sind Spekulationen über ein mögliches Staatsbegräbnis und anschliessende Staatstrauer, wie sie für verstorbene Präsidenten vorgesehen ist, vom Tisch. Pinochet hatte sich nach dem Staatstreich selbst zum Präsidenten ernannt und bis 1990 das Land mit strenger Hand geführt. Dass Präsidentin Bachelet, deren Vater von dem Regime ermordet und die selbst in den berühmt-berüchtigten Folterkellern der Villa Grimaldi eingesessen hat, dem ehemaligen Diktator keine grossen Ehren zuteil lassen würde, war bereits vorher klar. Gleichzeitig aber hat der Ex-General über seinen Tod hinaus starken Rückhalt im Militär gehabt. Die Würdigung als General ist damit ein typisch chilenischer Kompromiss. Eine Aufarbeitung der Schuld von Militär und anderen Verstrickungen ist auch 16 Jahre nach Ende der Dikatur noch ein hartes Stück Arbeit, von dem viele Chilenen lieber die Finger lassen würden. Dem Land geht es gut, so scheint die überwiegende Meinung zu sein, warum soll man sich da mit dieser unangenehmen Vergangenheit und dem damit verbunden Riss durch die chilenische Gesellschaft beschäftigen. Auf dem Heimweg spät in der Nacht treffen wir noch einige Feiernde, die durch die Gasse der Altstadt torkeln und uns mit einer Bierdusche begrüssen. Letztendlich ist es ein guter Tag für Chile gewesen. Der Tag der Menschenrechte 2006, an dem Augusto Pinochet starb.


8. Eintrag (Online seit dem 8. Dez 2006) Produktionsnotizen Anstatt eines langen letzten Textes über die Filmproduktion kommen hier ein paar Eindrücke von den Dreharbeiten: Geld für Filme in Chile zu beschaffen ist mindestens so umständlich wie in Deutschland. Da ist es nicht besonders hilfreich, wenn man nur drei Monate Zeit hat, aber dennoch kann man auch aus dieser Zeit das beste machen. +++ Leben in der Wüste ist gar nicht so schlimm wie gedacht. Und erstaunlicherweise konnten sich viele der Pampinos, wie sich die Bewohner der Pampa selbst nennen, gar keinen schöneren Ort vorstellen als eben diese eher einfachen Siedlungen in der Wüste. Ein sehr bodenständiges Völkchen, diese Pampinos. Mobilität wird nicht groß geschrieben. Wer kann, der bleibt und arbeitet für schlechten Lohn bei der Firma, bei der schon die Vorfahren gedient haben, um ein einfaches, aber anscheinend erfülltes und glückliches Leben zu führen. So jedenfalls meine Eindrücke von den Interviews, die wir in Maria Elena, der letzten Salpeterstadt in Atacama geführt haben. Dort wird immer noch Salpeter abgebaut, aber vor allem auch Jod und Lithium aus der Erde geholt. +++ Wer einmal einen echten Sternhimmel sehen will, der muss nach San Pedro de Atacama fahren. Da allerdings die Stadt mittlerweile nachts auch beleuchtet ist, sollte man für das wahre Erlebnis noch ein paar Kilometer weiter raus fahren. Es lohnt sich, nicht nur für Hobby-Astronomen. +++

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

+++ Alt und wertvoll sind sehr relative Begriffe. Arbeitersiedlungen aus den 50er Jahren, die in Deutschland bestenfalls als provisorische Barrackenansammlungen für Montagearbeiter durchgehen würden, werden hier schon einmal mit dem Etikett Denkmal versehen. Tatsächlich sind sie sehr typisch und in einem Land, das in wenigen Jahren seinen 200jährigen Geburtstag feiert, gibt es halt andere Vorstellungen und Dimensionen von Vergangenheit als bei Nationen, die bereits von den Römern invadiert wurden. +++ Drehen vor 12 Uhr Mittag ist in der Regel ein Ding der Unmöglichkeit. +++ Das Valle de la Luna gleicht tatsächlich einer skurrilen Mondlandschaft und lädt durchaus zum Verweilen ein. Von salzverkrusteten Felsformationen bis hin zu gigantischen Sanddünen gibt es hier einiges zu besehen und zu besteigen. Zum Sonnenuntergang allerdings wird es voll, denn dann kommen die Touristenbusse aus San Pedro de Atacama. Aber selbst die verteilen sich großzügig in der Weite des Areals. +++

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Salpeter-Nitrat: das weisse Gold. +++ Wenn jemand ein Wasserkraftwerk mitten in der Wüste baut, dann muss das ein Verrückter aus Deutschland sein. In diesem Fall staute dereinst im Jahr 1910 ein Herr Sloman aus Hamburg den Fluss Loa auf, um Strom für die Salpeterproduktion zu gewinnen. Der Damm steht heute noch und ist ein Paradies für Eidechsen. +++ Für den Film haben wir an folgenden Orten gefilmt: Chacabuco, Maria Elena, Pedro de Valdivia, Chuquicamata, San Pedro de Atacama, Valle de la Luna, Valle de la Muerte, Salar de Atacama. Außerdem waren wir auf einigen Friedhöfen in der Wüste und in Antofagasta. Der Film „Schwarzes Gold – Weißes Gold. Nach Salpeter und Kohle“ wird voraussichtlich im Sommer 2007 fertig geschnitten vorliegen. +++ Am 20.12. geht es für mich wieder nach Deutschland. Wir haben einiges von dem geschafft, was wir wollten, aber es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Es bleibt also spannend.

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Valle de la Luna.


7. Eintrag (Online seit dem 27. Nov 2006) Bei den Inkas daheim Am dritten Tag in Cusco, halbwegs genesen, beschloss ich mich dem Höhepunkt meiner zweiwöchigen Reise zu widmen: Dem Besuch der alten Inka-Stadt Machu Picchu. Ich entschied mich für eine längere aber preisgünstigere Variante mit einem kompletten Tag in Machu Picchu, zwei Nächten in Aguas Calientes, dem Dorf am Fuße des Berges. Zusätzlich machte ich auf dem Hinweg eine Besichtigungstour einiger wichtiger Inka-Ruinen im Valle Sagrada, dem heiligen Tal der Inkas, an dessen Ende Machu Picchu liegt.

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Machu Picchu und eines seiner Wächter-Lamas. Der Ort selbst ist ein Traum. Wir bestiegen den Berg um sechs Uhr morgens als eine der ersten Gruppen und gleich der erste Blick zeigte uns den atemberaubenden Moment, der auf Millionen von Postkarten und Fotographien verewigt worden ist. Lediglich der Sonnenaufgang blieb an diesem Tag in den Wolken verborgen. Begrüßt wurden wir von einer Gruppe Lamas, die als eine Art natürlicher Rasenmäher die ausladenden Grasflächen der alten Stadt kurz halten. Schon Che Guevara hat in seinem Motorradtagebuch von diesem Ort geschwärmt und von der sagenhaften Kraft, die von den Inka Ruinen ausgeht. Tatsächlich ist es unglaublich, welch eine Leistung Menschen hier am Rande des tropischen Regenwaldes in knapp 3000 Metern Höhe vollbracht haben. Machu Picchu war keineswegs die Hauptstadt des Inka-Reiches, das war Cusco, aber sie war eine Art elitärer Enklave von Astronomen/Priestern mit angeschlossenem Agrarlabor. Über den heutigen Inka-Pfad versorgten Boten Cusco und die anliegenden Siedlungen mit Informationen und über diesen verließen wohl auch die letzten Bewohner den Ort, als das Inka-Imperium Mitte des 16. Jahrhunderts von den spanischen Conquistadoren zerschlagen worden war und die Naturreligion der Inka durch den Glauben an einen Herrn Jesus ersetzt wurde. Wobei die Spanier nicht darauf verzichteten, Inka-Elemente in christliche Riten zu integrieren, um die kulturelle Anpassung spannungsfreier zu gestalten. So ist der schwarze Christus der Kathedrale von Cusco zugleich auch der "Herr der Beben", eine deutliche Reminiszenz an die von den Inkas verehrten Naturgewalten, die ansonsten Bergen oder der Patchamama, der Mutter Erde, huldigten und opferten - hin und wieder sogar Teenager. Während die Lamas nun den Weg von der ehemaligen Empfangshütte am Inka-Pfad den Weg nach unten in die Stadt antraten, zog es mich weiter hinauf – nach Huyna Picchu, dem Berg, der auf allen Machu Picchu-Fotos im Hintergrund zu sehen ist. Der Zutritt ist limitiert und so empfiehlt es sich möglichst vor Mittag mit dem Aufstieg zu beginnen. Obwohl ich kein großer Freund von ausladenden Bergpartien bin, war dieser einstündige Aufstieg zwar ziemlich strapaziös, aber lohnenswert, denn der Blick von oben auf die Inka-Anlage ist einfach atemberaubend und die Größe der Anlage wirkte aus der Distanz noch gewaltiger.

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Machu Picchu. Gegen Mittag allerdings füllte sich die Anlage mit den Tagestouristen aus Cusco und erst ab 16 Uhr, wenn die Busse die letzten Besucher zu den Zügen bringen, entstspannt sich die Lage und die verbliebenen Touristen können in aller Ruhe durch die Anlage streunen und immer neue interessante Aussichten und Details entdecken. Die Lamas waren derweil auf der letzten Wiese der Anlage angekommen und hielten den Rasen preußisch kurz. Lediglich ein kleiner Teil der Ruinen gibt einen Einblick, in welchem Zustand der US-amerikanische Forscher und Archäologe Hiram Bingham 1911 die Stadt wiederentdeckte. Eine Expedition der Yale University befreite sie von der Vegetation der vergangenen Jahrhunderte und schaffte einen Großteil der gefundenen Exponate in die Vereinigten Staaten, wo sie bis heute verweilen, was ein ständiger Streitpunkt zwischen den beiden Regierungen ist. Den Lamas ist das relativ egal und auch die Besucher sind zumeist mehr als zufrieden mit ihrem Besuch – so ging es zumindest mir.

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Machu Picchu und ich von ganz oben. Weitere Bilder von der Rundreise in Peru und Bolivien gibt es hier.


6. Eintrag (Online seit 22. Nov 2006) Krank in Cusco Es waren Salmonellen. Der Arzt in Cusco erklärte mir freundlich, dass diese kleinen Bakterien der Auslöser für mein Fieber und meinen Durchfall wären. Die Medikamente, die ich in der Apotheke erworben hatte, wären insofern okay, allerdings müsse ich noch ein wenig nachkaufen, denn ich müsse sie zehn Tage lang nehmen. Im Übrigen käme das bei Touristen häufiger vor. Danke Doktor. Hallo Peru! Das war also nach nur drei Tagen aus meiner zweiwöchigen Rundfahrt durch Peru und Bolivien geworden. Ich taumelte fiebernd durch die alte Inka-Hauptstadt Cusco, den Nabel der Welt, und die ungewöhnte Höhe von 3300 Metern tat ein übriges, um meine Sinne zu vernebeln. Dabei wurden gerade die beansprucht.

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Cusco: Nabel der (Inka-) Welt. So springen einem auf dem Plaza de Armas alle fünfzig Meter Kinder entgegen, die diverse Waren und Dienstleistungen feilbieten. Von kleinen Handpuppen und anderem folkloristischem Schnickschnack über einzeln verpackte Süßwaren bis zum traditionellen Schuhputzen reicht das Angebot. „¡Amigo!“, das war die gewöhnliche Ansprache und danach wurde mit weit ausladenden Gesten und Hundeblick zusammen mit einem kecken „¡Compra!“ das Handelsgesuch unterbreitet. Ein freundliches „No, gracias“ war in diesem Ritual als abschließende Antwort offensichtlich nicht vorgesehen. Statt dessen wedelten sie weiterhin mit Bonbons oder Püppchen vor sich herum, ergänzt um ein schmeichlerisches „Compra, por favor“. Die reine Tatsache, dass man offensichtlich Gringo, also US-amerikanischer oder europäischer Ausländer ist, genügte als Argument, um den angeboten Krams zu kaufen. Ein Musterbeispiel für einen Markt, bei dem das Angebot an potentiellen Nachfragern das Angebot bestimmt. Gleichzeitig entsprachen diese kleinen Händler und Dienstleister dem, was man im politikwissenschaftlichen Seminar als informellen Sektor zusammenfasst, zumal die jungen Springer, zumeist sekundiert von zahlreichen Frauen, die an kleinen Ständen an allen Ecken ebenfalls Andenken mit Inka-Tradition oder aber Getränke und Süßes im Angebot hatten und die, zumindest im Fall der Folklore-Güter, keine Skrupel hatten, Gringos in mögliche Kaufgespräche zu verwickeln. Als ich eine dieser Damen mittleren Alters fragte, warum ich ausgerechnet zwei hölzerne Rasseln kaufen sollte, erklärte sie mir, dass sie sehr günstig seien. Das war das Verkaufsargument. Letztendlich endeten diese Gespräche in meinem Fall sehr ähnlich. Ein energisches „!No quiero!“, also in etwa „Ich will nicht.” – Ohne jegliches „gracias“ aber mit einer energischen Handbewegung versehen, beendete die aufgezwungenen Verhandlungen und die Zwerge trollten sich gewöhnlich rasch und ohne Zorn. Schließlich war ich nicht der einzige Gringo vor Ort und schon bald hatten die Racker einen nächsten Handelspartner ausgeguckt und stürzten auf ihn zu.

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Typisch für Peru und Bolivien: Koka wird hier in allen Varianten verkauft - pur, als Tee oder in Bonbons. Nur die Droge ist verboten. Vom rein touristischen Standpunkt gesehen ist Cusco ein Traum und selbst mit Fieber gibt es vom Inka Museum bis zu alten Tempelanlagen genug zu besuchen, was der Reise wert ist. Abgesehen davon ist Peru ein außerordentlich günstiges Land, was auch längere Aufenthalte problemlos ermöglicht, wenn man denn erst einmal angekommen ist. Weitere Bilder von der Rundreise gibt es hier.


5. Eintrag (Online seit 12. Nov 2006) Wenn die Wüste ruft Es ist braun, staubig und endlos. Sand und Fels wohin das Auge blickt. Doch hat auch hier der Mensch seine Spuren tief in die Natur eingegraben. Man erkennt Sandpisten, die nur mit Vierradantrieb befahrbar sind, Hochspannungsmasten und natürlich die Straße, auf der wir uns bewegen: die Ruta 5, Teil der legendären Panamericana. Aber es gibt auch deutlich ältere Spuren menschlichen Wirkens. In den Geoglifos sind nach wie vor die Geister der Vorfahren präsent. Diese riesigen flächigen Steinskulpturen, die vor allen Dingen im Norden der Atacama bei Arica zu finden sind, dienten noch über Jahrhunderte als Wegmarken (inklusive neuerer Schöpfungen, die Jesus oder eben die Municipalidad Sierra Gorda preisen). Wir sind mitten in der Pampa, mitten in der Atacama-Wüste. Trotz dieser unendlichen Trostlosigkeit hat die Landschaft gleichzeitig etwas magisches. Man ist einfach raus aus dem normalen Leben. Zwar erinnern die zahlreichen mit Schwefelsäure abgefüllten Tanklaster und die Schienenstränge, die die Wüste durchziehen, den Besucher unentwegt daran, dass im Umkreis von ein paar hundert Kilometern die wichtigsten und größten Kupferminen der Welt liegen, aber selbst dieses wirtschaftliche Faktum bleibt im Schemenhaften und versandet in der Unermesslichkeit.

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Illustration: Julia Schubert

Atacama-Wüste - Endlose Weiten. Die Straßenverhältnisse sind gut. Immer tiefer dringen wir in die Wüste vor, ganz ohne Allradantrieb. Das Ziel: Chacabuco, eine alte Salpetermine und Stadt, denn die Minenbesitzer schufen in unmittelbarer Nähe zur Mine auch gleich Wohnanlagen für die Arbeiter, Angestellten und deren Familien. Durch das Fenster sieht man hin und wieder mit Wellblech oder Steinmauern eingezäunte Grundstücke, die zu Industriedienstleistern gehören. Besonders beeindruckend ist ein Lagerplatz für alte Reifen der Minenfahrzeuge. Durchschnittliche Größe dieser Kautschukmonster: fünf Meter. Aber schon verschwindet das Lager hinter uns, wir passieren die Bahnstrecke und von links und rechts umgibt uns das staubige Nichts der Atacama-Landschaft. In Chacabuco schließlich potenziert sich dieses Nichts. Die ganze Stadt ist eine Ruine, eine Geste aus längst vergangener Vorzeit. Von der Fabrik steht noch der Schornstein und ein Teil des Ofens mit Baujahr 1921. Das Zentrum bildet ein großer Platz mit dem ehemaligen Theater. Dazu gibt es riesige Barackenquartiere. Die Dächer sind eingestürzt und durch die verwaisten Löcher von Fenstern und Türen ergeben sich neue visuelle Eindrücke und Perspektiven. Die Wirklichkeit verschwimmt, Realität wird zum ästhetischen Erlebnis.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sonnenuntergang in Chacabuco. Es bleibt unvorstellbar und unwirklich, dass hier rund 3000 Menschen mitten in der Wüste, fernab von aller Zivilisation gelebt und gearbeitet haben. Für diesen Job unter den unbarmherzigen Bedingungen der Atacama-Sonne gab es noch nicht einmal Geld. Statt dessen wurden die Arbeiter mit fichas, Fantasiemünzen der Salpeterkompanien, bezahlt, die sie im firmeneigenen Laden gegen Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs eintauschen konnten. Außerhalb der Salitrera, so der Name dieser Salpeterstädte, von denen es über 40 gab, waren diese Metallstücke wertlos. Aber mit dem Ende des Salpeterbooms Mitte der 30er Jahre endet noch nicht die Geschichte dieser Wüstenei. Pinochet nutzte Chacabuco nach seinem Machtantritt als Lager und verfrachtete einen Großteil seiner politischen Gegnerschaft zunächst hierher, wo sie der unbarmherzigen Sonne und ihren Wärtern ausgesetzt waren. Noch heute warnen Schilder beim Betreten der Stadt vor Minen am Standrand. Geschichte dockt an und wird erschreckend real. Wir bauen die Kamera auf und beginnen zu drehen.


4. Eintrag Nachtleben in Antofa: Die Party ist vorbei Antofa nennen die Antofagastiner in Abkürzung ihre Hafenstadt, die mit rund 400.000 Einwohnern, so genau weiß das niemand, immerhin die größte der zweiten Region in Chile ist, und die Region daher auch ihren Namen trägt. Die Industriestadt mit dem wichtigsten Kupferexporthafen der Welt ist insgesamt ziemlich reizarm – besonders kulturell. Das Teatro Municipal wird nur äußerst sporadisch bespielt und selbst das von meinem Reisführer hochgelobte Regionalmuseum ist bis Dezember wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Auch das Nachtleben, das, ich zitiere den Reiseführer, die Chilenen nicht gerade erfunden haben, ist kein Aushängeschild der Provinzhauptstadt. Aber da ich hier bei gebürtigen Antofagastinern einquartiert bin, kennen diese wenigstens die paar Winkel, die sich lohnen. So waren wir eines Donnerstags in einer Bar namens Boliche, was mein Wörterbuch schlicht mit Ausschank übersetzt, es sich aber tatsächlich um den Namen des Etablissements handelt. Auf zwei Etagen und mit dem Charme eines heruntergekommen kleinen Bürohauses hatte es durchaus was für sich. In Berlin oder Hamburg würde solch ein Laden an der richtigen Stelle gut laufen. Unter fachkundiger Anleitung wurde ich dann an die vorhanden Biere herangeführt. Während die großen chilenischen Marken eher nichts für einen verwöhnten Gaumen sind, gibt es einige Sorten, die von deutschen Einwanderern im 19. Jahrhundert begründet worden sind und immer noch gut schmecken. Es gibt sogar eine Art Ale auf Calafate-Basis, einer Frucht aus dem Süden Chiles, und zahlreiche Lager Biere. Natürlich gibt es auch in Antofagasta diverse Diskotheken, wobei die meisten sich auf Salsa und Reggaeton spezialisiert haben. Beim letzteren handelt es sich um eine Mischung zwischen Techno, Reggae und anderen Latinorhythmen. Aber es gibt auch selbstgemachte Parties größeren Ausmaßes, wie ich am Freitag mit Jason erkunden konnte. Nachdem wir erst bei Flavio zu Hause ein paar Bierchen zu uns genommen und gequatscht hatten, fuhren wir noch in seinem alten Lada zu einem ehemaligen Lagergebäude in Nähe des Hafens. Dort legten mehrere DJs und ein VJ das Beste aus Funk und Soul auf, wobei sich die Auswahl nur sehr geringfügig von dem unterschied, was in Deutschland auf solchen Parties läuft: James Brown und Co. halt. Das Publikum, so mein Eindruck, war größtenteils unter 20 oder hatte diese Grenze knapp passiert und die Stimmung war gut. Außerdem war das Bier billig, zwei Dosen zu 1500 Peso, also etwas mehr als ein Euro das Stück. Um 2:30 Uhr wussten wir auch warum. Da nämlich kamen die pacos, wie Polizisten hier abschätzig genannte werden, und beendeten Musik wie auch den Bierverkauf. Logischerweise hatten die Veranstalter weder eine Genehmigung für eine Veranstaltung dieser Art noch eine Lizenz zum Alkoholverkauf, was wahrscheinlich das größere Problem darstellte, denn in Chile ist sogar Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit verboten. Die Party war also vorbei und das war mir eigentlich auch ganz recht, denn das chilenische Bier dort war wahrlich nicht das beste.
3. Eintrag Frischer Fisch: Ein Ausflug des Essens wegen Mejillones, das heißt übersetzt Miesmuscheln. Muscheln und Meeresfrüchte jeglicher Art stehen hier in Chile hoch im Kurs. Am besten morgens frisch gefangen, mittags zubereitet und dann sofort serviert. In der Nähe von Antofagasta gibt es aber auch ein kleines Dorf mit Namen des schmackhaften Tieres und der Name kommt nicht von ungefähr. Nach einer Stunde Fahrt zwischen Wüste und Meer mit atemberaubenden Felsformationen waren wir von Antofagasta aus angekommen mit dem hehren Plan, hier das Wochenende zu verbringen und das chilenische Angebot an frisch gefangenem auszuprobieren. „Das heißt früh aufstehen“, warnte mich Sophia, die Freundin unseres Gastgebers Julio vor. Der Ort selbst ist nicht groß der Rede wert. Rund 7000 Einwohner wohnen hier, zumeist in einfachen Häusern und das ganze ist im typischen Schachbrettmuster angeordnet. Julio, ein alter Freund Ernestos, selbst hatte ein Haus direkt am Strand, das mich spontan an vergangene Dänemarkurlaube erinnerte. Am Abend gab es zunächst einmal ein ausgedehntes Grillen , allerdings ohne Fisch. Als dann gegen ein Uhr noch zwei Argentinier aus Salta zu der Gruppe stießen, war eigentlich klar, dass das Projekt, morgens früh aufzustehen akut gefährdet war. Die beiden, ein Vater und sein Sohn, hatte es mit der Wirtschaftskrise von 2001, bei der sie rund 70 Prozent ihrer Ersparnisse eingebüßt hatten, nach Chile verschlagen. Nachdem sie sahen, wie vergleichsweise teuer man Pizzen hier verkaufen konnte, kalkulierten sie kurz und eröffneten eine Pizzeria in Mejillones. Um halb fünf waren wir schließlich im Bett. Angepeiltes Aufstehen: 10 Uhr – das galt als früh. Mein Wecker klingelte um viertel vor zehn. Da noch nichts von den anderen zu hören war und lediglich eine Katze mit ihrem Nachwuchs, mit der ich das Zimmer teilte, vor sich hin kratzte, fiel ich zurück in einen wohlverdienten Halbschlaf. So gegen viertel nach zehn hörte man dann die ersten Schritte auf den knarrenden Holzdielen. Dabei handelte es sich um Hausherr Julio, der nun mittels seiner wattstarken Musikanlage den Weckdienst einleitete. Um elf Uhr waren dann endlich alle soweit, dass wir auf den Fischmarkt am Hafen fahren konnten, um das Mittagessen zu besorgen. Der Handel war schnell und effektiv und ich muss gestehen, dass ich weniger als die Hälfte dessen verstanden habe, worum es ging, aber wir gingen mit drei Tüten voll Fisch und anderem Meeresgetier nach Hause. Das Entrée bildete eine Art Salat aus marisco, also Meeresfrüchten. Dazu gab es loco. Mein Wörterbuch versagte bei diesem Wort (es spuckte nur das bekannte Wort „verrückt“ aus), aber man versicherte mir, dass er sehr lecker sei. Außerdem wäre es eigentlich verboten, den loco zu fangen, aber das nähme man hier nicht so genau. Tatsächlich schmeckte er, angemacht mit Majonäse und Zitrone, sehr gut und hatte etwas von Tintenfischen, wie ich sie in Spanien probiert hatte. Dass ich mit dieser Tat mindestens gegen das Washingtoner Abkommen für Artenschutz verstieß, interessierte mich in diesem Moment zugegebenermaßen eher wenig. Zum Abschluss gab es dann gebackenen Fisch, der, so der Gastgeber, „hier im Norden wesentlich besser schmeckt als im Süden des Landes.“ Wenn ich in Valparaíso bin, werde ich das sicherlich einmal testen.
2. Eintrag Nationalfeiertag als Grillfest

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

René. Nach rund 24 Stunden Anreise bin ich am 17. September endlich in Antofagasta/Chile angekommen. Nachdem ich mit Flavio und Ernesto erst einmal die direkt vor Ort liegenden Sehenswürdigkeiten abgeklappert hatte, stiegen wir direkt in das typisch chilenische Leben ein – mit einer mächtigen Parilla, also gemeinsamem Grillen. Wir fuhren zu Freunden von Ernesto und feierten den Vortag des 18. September, des wichtigsten Nationalfeiertags in Chile. Eduardo wohnt zusammen mit seiner Frau Melisa und seiner zehnjährigen Tochter in einer neu gebauten Reihenhaussiedlung am Stadtrand. Die einzelnen Siedlungsteile sind dabei alle mit Pförtner ausgestattet, der nur diejenigen reinlässt, die auch wirklich willkommen sind. Die Häuser dort sind ziemlich modern aber relativ klein. Vor allem junge Familien, die es sich leisten können, zieht es in diese ruhigen und sicheren Gegenden.

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Illustration: Julia Schubert

Zum 18. September gehören in Chile vor allen Dingen eben die Parillas. Man denkt ja immer, dass die Deutschen die Weltmeister im Grillen sind, aber solche Fleischberge hat man hierzulande eher selten gesehen. Fleisch vom Rind wird in großen Stücken aus Lende, Rücken oder auch mit Rippen auf den Grill gelegt und dann über lange Zeit geröstet. Dazwischen werden Würste gelegt, zumeist mit Paprika angereicherte Chorizos, die dann als Choripan gereicht werden, also Chorizo im Brötchen. Die Fleischmengen werden dann zusammen mit exquisiten Salaten und Soßen vertilgt, dazu reicht man Wein oder auch Bier. Nach diesem Abend war ich erst mal ziemlich erledigt, als wir gegen zwölf Uhr in meinem neuen Heim ankamen, so dass der Einzug zunächst vor allen Dingen im Vollzug des Matratzenhorchdienstes bestand.

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Illustration: Julia Schubert

Torben und Eduardo. Der zweite Tag stand auch ganz im Zeichen des Grills. Wir besuchten am späten Nachmittag weitere Freunde in Antofagasta, die im höheren Teil der lang gezogenen Stadt wohnen. Antofagasta schmiegt sich nämlich im Westen an eine Felsküste und im Osten an ein Wüsten-Gebirge und wächst dementsprechend vor allen Dingen nach Norden und Süden. Der Abend mit Orietta und René, einem älteren Ehepaar, verlief sehr entspannt. Man plauderte viel, trank Pisco Sour - ein Aperitif und das Nationalgetränk - Bier und Wein und aß gemeinsam, was man auf den Grill befördert hatte. Am Abend stoßen dann noch einige Freunde des Hauses hinzu und beginnen, beschwingt von dem chilenischen Wein und wohl auch weil es an so einem 18. des Septembers einfach dazugehört, den Cueca zu tanzen. Dabei ist man, paarweise und mit einem Taschentuch bewaffnet, das man über oder neben sich schwingt, damit beschäftigt möglichst kreativ aneinander vorbei zu tanzen. Ursprung und Vorbild dieses Tanzes sind, so erklärte mir René, der Herr des Hauses, die Bewegungen von Huhn und Henne beim Balzen. So ähnlich sah es denn auch aus.


1. Eintrag Das bin ich Ich heiße Torben Ibs, bin 27 Jahre alt und habe dieses Jahr mein Studium der Theater- und Politikwissenschaften an der Universität Leipzig beendet. Ich habe während meines Studiums längere Zeit in Barcelona gelebt und studiert und mein ASA-Projekt bringt mich das erste Mal nach Lateinamerika. Eigentlich hatte ich mich für ein Projekt auf Kuba beworben, aber bin dann in einem Filmprojekt in Chile gelandet. Genauer gesagt in Deutschland und Chile, denn von April bis Juli waren bereits meine chilenischen Projektpartner Ernesto Espinoza und Flavio Muñoz in Deutschland und wir haben in der Lausitz den industrie-kulturellen Spuren der Braunkohle nachgespürt. In Chile werden wir alte Salpeterminen aufsuchen und schauen, wie dort mit dem industriellen Erbe umgegangen wird. Das Ziel ist es, anhand paralleler Geschichten der Menschen die Ähnlichkeiten und Unterschiede im Umgang mit dem industriellen Strukturwandel herauszuarbeiten. In der Lausitz gibt es großartige Landschaften mit künstlichen Bergbauwüsten, die alle im Wasser versinken und zu Seen werden. Die Salpeterminen liegen in den endlosen Weiten der Atacama im Norden Chiles. Seit dem 17. September bin ich in Chile und werde bis Weihnachten den deutschen Herbst gegen chilenisches Frühjahr eintauschen. ¡Bienvenidos a mi blog en jetzt.de! Der Beginn in Berlin Am 15. April kamen die beiden Chilenen Flavio und Ernesto in Berlin an. Ich sollte sie am Tag drauf in ihrer Wohnung in Kreuzberg treffen, die irgendwie organisiert worden war. Dass ich mit den beiden einen Film drehen sollte, war erst seit zwei Wochen klar und erst in zwei Wochen sollte klar sein, dass meine deutsche Projektpartnerin abspringen sollte und ich also alleine mit den beiden in der Lausitz und der Atacama–Wüste einen Film über den Umgang mit industriellem Kulturgebiet drehen sollte. Ich rief die beiden an, sie hatten gleich zu Beginn ihres Deutschlandsaufenthalt ein Handy bekommen. „Hallou“, ertönte es am anderen Ende der Leitung. „Hola“, begann ich das Gespräch in spanisch aufzunehmen, stellte mich vor als der Deutsche im Team und fragte, wann wir uns denn treffen könnten. Ich solle einfach vorbeikommen, sie wären gestern noch feiern gewesen mit Katrin, die das Projekt bei ASA vorgeschlagen hatte. Leider wusste die männliche Stimme am anderen Ende nicht, welche Hausnummer ich suchen müsse, aber über die Straße konnten wir uns einigen. Der erste Kontakt war gemacht. Ich kannte von den beiden Chilenen nur die Namen und hatte mit ihnen einmal per E-Mail kommuniziert und auch sie kannten mich überhaupt nicht. Die S-Bahn brachte mich zur Yorckstraße und von da an lief ich in Richtung Wohnung. Per Handy ließ ich mir die wichtigsten Wegmarken beschreiben, um dann schließlich das Domizil der beiden in einem Kreuzberger Hinterhof zu finden. Es öffnete ein kleiner, braungebrannter Mann mit kurzen Locken und grinste mich an. „Hola. Soy Flavio.“ Dann führte er mich in die Küche. Dort saß auch Katrin, die ich ebenfalls nicht kannte, die aber wohl die Filmidee geboren hatte. Nur von Ernesto war nichts zu sehen. Worüber sprechen? Noch dazu in spanisch, das ich seit zumindest sieben Monaten nicht mehr gesprochen hatte und noch dazu stand zu befürchten, dass es chilenische Eigenarten geben dürfte, die definitiv nicht zu dem spanischen Wortschatz gehörten, den man auf der iberischen Halbinsel benötigte. Wie ich aber bald merkte, waren all diese Überlegungen für die Katz, denn zumindest die verbale Kommunikation stellte kein Problem dar und schon bald begannen wir über alles mögliche zu quatschen: Musik, Kino und natürlich über den Film selbst, die Motivation zum Projekt und unsere Erwartungen und Ideen. Auch Ernesto war, nachdem er unter der Dusche zu hören gewesen war, zu uns gestoßen und wir verstanden uns prächtig. Am Ende beschlossen wir, unsere deutsche Projektpartnerin, die in Berlin wohnte, zu treffen und verabredeten uns telefonisch in einer chilenischen Kneipe in Friedrichshain. Als wir los gingen, sagte Flavio noch zu mir, dass er froh sei, mit mir zusammenarbeiten zu können. Er hätte sich die Deutschen immer sehr formal, streng und ein bisschen langweilig vorgestellt und davor ein wenig Angst gehabt. Aber so scheint das ja alles ganz entspannt zu werden. Er schloss die Tür hinter sich. Dreharbeiten in der Lausitz Wir drehten bis Mitte Juli in der Lausitz. Zwischendurch nutzen „meine“ beiden Chilenen die entstehenden freien Zeiten, um sich Europa anzuschauen. Amsterdam, Paris und Barcelona standen auf ihrer Reiseliste, während ich an den Seminaren des ASA-Programms für alle, die nach Lateinamerika fuhren, teilnahm. Die Dreharbeiten, insgesamt rund 20 Tage, verliefen besser als anfangs gedacht. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass wir über nahezu kein Budget verfügten und erst nach vielen vergeblichen Versuchen konnten wir einen Sponsor direkt aus der Lausitz ausfindig machen, der uns mit 500 Euro unterstützte. Glücklicherweise sah die Unterstützung durch die Partnerorganisationen besser aus. So brachte uns die Internationale Bauausstellung (IBA) Fürst Pückler nicht nur kostenlos in Großräschen unter, das unsere Home-Base in der Lausitz werden sollte, sondern die IBA stellte uns sogar ein Auto zur Verfügung, mit dem wir die diversen Dreh- und Interviewtermine wahrnehmen konnten. Und die FH Lausitz in Senftenberg unterstützte uns mit einer High-End-Videoausrüstung. Technisch waren wir so optimal ausgestattet.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Dreharbeiten selbst haben sehr viel Spaß gemacht, waren aber auch ziemlich anstrengend. Besonders auf mich als einzigen Deutschen im Projekt kamen viele Aufgaben zu. Meine Projektpartnerin hatte das Projekt bereits Ende April verlassen, so dass nicht nur die gesamte Organisation sondern auch die Interviews in meiner Hand lagen. Da ich zudem als einziger die Fahrtberechtigung für die IBA-Autos hatte, war ich Produzent, Interviewer und Fahrer in einem. Typisch Low-Budget halt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In der Lausitz haben wir dann viele interessante Leute und Orte kennen gelernt. Wir sprachen mit alten Bergarbeitern, installierten unsere Ausrüstung in den Wohnzimmern von Menschen, die wegen des Kohleabbaus aus ihrer Heimat vertrieben wurden, hörten uns die kühnen Ideen der Landschaftsplaner von der IBA an und besuchten alte wie neue Braunkohletagebaue und Kraftwerke. Die Gruben haben ziemlich gigantische Ausmaße und nach ihrem Auskohlen (so nennt man im Bergbau das Ende der Kohleförderung) werden sie alle zu Seen. Zwischen den Zuständen Bergbau und See aber bilden sie bis zu 20 Jahre eine skurrile Wüstenlandschaft, die eher an den Mond denn an Deutschland erinnern. Höhepunkt war sicher für alle ein Wochenende in Heuersdorf, das auch für die Braunkohle geopfert werden soll. Eine Theatergruppe aus Großräschen mit ehemaligen Einwohnern aus dem 1988 abgerissenen Ort Bückgen erzählten dort über ihr altes Dorf und ihr neues Leben. Das ganze war betitelt als Besuch aus der Zukunft. Abends haben wir dann immer zusammen gekocht oder auch mal gegrillt, wobei wir uns sehr gut mit den zahlreichen Praktikanten aus aller Herren Länder, die bei der IBA arbeiteten, verstanden haben und auch manche gemeinsame Unternehmung geplant haben. Den Aufenthalt von Ernesto und Flavio in Deutschland beendeten wir dann auch dann standesgemäß auf typisch chilenische Art: mit einem großem Grillen in einem Berliner Park. Hier findest du einen Überblick über alle ASA-Blogger.

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