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"Sie haben nach Blut geschrieen": Thilo trifft in Ghana einen Diktator

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7. Eintrag (Online seit 2. Jan 2007) Wie begrüßt man einen Diktator im Ruhestand? Ich sitze in seiner großen Ledercouch und wäge die Alternativen ab. Laut Protokoll müsste man, glaube ich, Mr. Präsident sagen, auch wenn er seit sechs Jahren nicht mehr am Ruder ist. Aber irgendwie klingt das, als wäre ich der Meinung, er sei noch immer so eine Art Präsident der Herzen, was er erstaunlicherweise auch ist. Ich könnte mich aber auch einfach aus dieser viel zu bequemen Couch herauswinden, ihm die Hand entgegenstrecken und höflich informell Hello Mr. Rawlings, nice to meet you sagen. Dann wären wir auf Augenhöhe und er wüsste, dass ich nicht vorhabe, vor Verehrung zu vergehen, wie schockierenderweise die geschätzte Hälfte der Bevölkerung. Das ist allerdings auch lächerlich, auf Augenhöhe. Der Mann hat drei Staatsstreiche hinter sich, zwei erfolgreich. Zehn Jahre hat er das Land als Chef der Militärregierung dirigiert, und noch einmal acht Jahre als mehr oder weniger demokratisch gewählter Präsident. Nach seinem ersten erfolgreichen Putsch verkündete er, innerhalb von drei Monaten die Regierungsgewalt an gewählte Politiker zurückgeben zu wollen. Kurz vor dem Ende der Frist besuchte er Cuba. Als Abschiedsgeschenk drückte ihm Fidel Castro eine Uzi in die Hand. Er werde sie bald brauchen, meinte der alternde Guerillero.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mr. Rawlings. Mehr Bilder weiter unten. Ich stelle mir vor, dass er dazu mit dem Kopf schüttelte und dem damals 32 Jahre alten Nachwuchsrevolutinär freundschaftlich aber etwas mitleidig auf die Schulter klopfte. Damals muss er auf den Geschmack gekommen sein. Nach knapp zwei Jahren im erzwungenen Ruhestand setzte er zum Jahreswechsel 1981 die Staatsführung ab. Der Präsident und andere Minister kamen ins Gefängnis. Die internationale Gemeinschaft reagierte entsetzt und erließ Wirtschaftssanktionen. Nach einigen harten Jahren entledigte sich Rawlings seiner sozialistischen Mitstreiter inklusive deren ideologischen Marschgepäcks und machte Ghana zur Musterschule von Weltbank und Internationalem Währungsfond. Auf diplomatischem Parkett war er rehabilitiert, in Ghana teils gehasst, und doch von vielen geliebt. Was immer man von ihm halten mag, denke ich, dies wird kein Gespräch auf gleicher Augenhöhe. Ich kann mich einfach nicht entscheiden, denke ich, und rudere mit den Armen, um mich etwas aufzuwärmen. Die Klimaanlage brummt auf Hochtouren. Ich weiß, dass es draußen heiß ist, geschätzte 35 Grad im Schatten. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich die großen Wachhunde im Schatten dösen. Neben einer Deutsche Dogge liegt ein Mastino, glaube ich. Sie sehen geschafft aus. Das war ich auch, bevor ich hier in der Couch versank und in Kältestarre verfiel. Kein Wunder, dass ich zu keiner Entscheidung komme. Seit einer halben Stunde warte ich auf den großen Mann. Meine Gedanken bewegen sich mit der Geschwindigkeit von Nacktschnecken an einem kühlen Herbstmorgen. Selbst der Instant-Kaffee, den mir der Hausangestellte vor einigen Minuten brachte, ist eiskalt. Seit einem knappen Monat versuche ich, diesen Termin zu bekommen. Der erste Anlauf ging daneben. Wir hatten uns für zehn Uhr morgens verabredet. Als ich ankam, wartete im Innenhof seines Anwesens eine Hundertschaft von Journalisten, Kameraden und Claqueuren. Wer welche Funktion erfüllte, ließ sich nicht so genau sagen. Maxwell, ein befreundeter Fotograf, erklärte mir, was passiert war. Kufour, der amtierende Präsident, hatte Rawlings vorgeworfen, durch ölreiche afrikanische Länder zu reisen, um Geld und Waffen für einen neuen Putsch zu sammeln. Rawlings wollte das nicht unkommentiert lassen und berief eine Pressekonferenz ein. Zu meiner Überraschung nannte Maxwell ihn allerdings nicht Rawlings, sondern Mr. Boom. Der große Mann, ein weiteres Synonym, war früher Jägerpilot und hatte in seiner Jugendzeit einiges in die Luft gejagt. Die Kreuzung vor seinem Haus heißt im Volksmund daher auch Boom Junction. Diese Zeiten, so das Fazit der Pressekonferenz, seien nun aber vorbei. Die ganze Veranstaltung wäre recht langweilig gewesen, hätte sich Rawlings nicht nach einer knappen Stunde so in Fahrt geredet, dass er sich einen üblen Fauxpas leistete. Wie haltlos Kufours Anschuldigungen seien, so seine Worte, sehe man schon daran, dass es überhaupt nicht notwendig sei, ins Ausland zu fahren, um Waffen zu besorgen. Alle Waffen, die man braucht, sind doch schon im Land. Damals habe ich es auch nicht anders gemacht. Man geht zu den Armeeeinheiten und holt sich, was man braucht. Zu meiner Überraschung war ich der einzige, der dies für einen Fauxpas hielt. Seine Anhänger johlten angesichts solch glasklarer Logik begeistert auf. In den Zeitungen fand ich am nächsten Tag nur Auszüge aus der offiziellen Presseerklärung. Ich war platt. Wozu Waffen im Ausland kaufen, wenn sie vor Ort zu haben sind. Was für ein Dementi. Das wäre, als würde man Angela Merkel vorwerfen, als Stasispitzel gearbeitet zu haben und sie würde mit dem Argument antworten, KGB-Agenten hätten doch gar nicht von der Stasi abgeworben werden dürfen. Das Desinteresse an dieser Bemerkung ist für Außenseiter schwer zu verstehen. Wenn man sich mit Ghanaern unterhält, wird die Sache klarer. Rawlings spaltet die Gemüter. Die einen lieben ihn für seine direkte Art, seinen Humor, seine Moralvorstellungen und seinen Tatendrang. Die anderen hassen ihn. Für sie ist er ein skrupelloser Diktator, ein Wahlfälscher und ein Tyrann. Der Gedanke, er könnte nicht daran interessiert sein, wieder an die Macht zu kommen, erscheint ihnen lächerlich. Zwischen den beiden Lagern existiert nicht viel. Im Laufe der Monate habe ich mit unterschiedlichsten Menschen gesprochen - Taxifahrern, Hausboten, Journalisten, Politikern, Studenten, Straßenhändlern. In allen Schichten gibt es Anhänger und Gegner. Vor allem die Jugend liegt ihm zu Füßen. Der Mann wird mit einer Begeisterung verehrt, die erschreckend ist. Staatschef Kufour dagegen gilt als Bürokrat. Seine Reden sind bestenfalls einschläfernd. Da er zu den Aschanti gehört, dem wichtigsten Stamm in Ghana, halten ihn alle Nicht-Aschanti für korrupt. Das ist nicht unbedingt falsch, Korruption ist Teil der Alltagskultur. Rawlings, ein Ewe aus dem Grenzgebiet mit Togo aber hält ihn für das Schlimmste, was Ghana seit der Unabhängigkeit passiert ist. Bedenkt man, das unter Rawlings Dutzende getötet und Hunderte von Militärgerichten zu langen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, dann erscheinen die gelegentlichen Entgleisungen der amtierenden Regierung wie Bagatellen. Als Rawlings nach einer Stunde endlich kommt, bin ich in meinem kurzärmeligen Sommerhemd fast steif gefroren. Ungeschickt winde ich mich aus der Couch und schüttele ihm die Hand. Hello Mr. Rawlings-President, sage ich etwas durcheinander. Ihm ist es egal. Er sieht aus, als hätte er einen Kater. Seine Hände zittern und er muss erst einmal ein paar Pillen schlucken. Dann erklärt er mir, warum er damals die Macht an sich riss. Er wollte das Beste für Ghana. Zu meiner Überraschung kommt er selber auf die Erschießungen zu sprechen. Die Stimmung im Land sei so schlecht gewesen, dass einige Opfer unvermeidlich gewesen seien. Vor allem die Studenten hätten nach Blut geschrieen. Drei Stunden lang erzählt er mir Geschichten aus seinem Leben. In einer seltsam hektischen Art reiht er Anekdote an Anekdote. Mitten im Satz hält er manchmal inne, plötzlich erinnert er sich an eine andere Begebenheit, verliert den Faden und fragt mich dann, was ich eigentlich wissen wollte. Ich frage, er beginnt zu antworten und nach drei Minuten hat er sich wieder in einem Monolog über seinen Putsch verloren. Wahrscheinlich passiert das, wenn man seine Geschichte so oft erzählt hat, dass man selber nicht mehr weiß, was wahr ist und was Ausschmückung.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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Rawlings tired.

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Mr. Rawlings monologisiert und reiht Anekdote an Anekdote.

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Rawlings discussing. Irgendwann ist er müde und erschöpft. Das volle Gesicht wirkt alt und eingefallen. Ich habe viel gehört, aber wenig verstanden. Ich hätte gerne gewusst, warum man eine Regierung stürzt, politische Gegner inhaftiert, Menschen enteignet und was man noch so alles macht als Diktator. Was für eine naive Idee. Am Ende des Gesprächs bin ich froh, das unterkühlte Zimmer zu verlassen. Vor dem Tor zu seinem Anwesen trifft mich die heiße, staubige Luft wie ein Schlag ins Gesicht. Ich fühle mich seltsam leer und da mir nichts besseres einfällt, beschließe ich, etwas zu Essen zu kaufen. Ein Taxi bringt mich zu einer kleinen Bar in der Nähe des Makola-Großmarktes. Ich bestelle scharfen gebraten Reis und Huhn. Um mich herum stehen und gehen tausende Menschen und kaufen und debattieren und schwitzen. Es ist laut und dreckig und chaotisch. Ich muss an die schlafenden Wachhunde denken. Wahrscheinlich liegen sie noch immer im Schatten und dösen; für mich aber sind sie schon Vergangenheit, genau wie Rawlings. Das Leben geht einfach weiter, denke ich, und dann denke ich gar nichts mehr und kaue und schaue den Menschen zu. Nach dem Essen wische ich mir den Schweiß von der Stirn. Ich reihe mich ein in den Strom der Passanten und treibe zur Busstation. Ein orangefarbener Mercedesbus fährt in meine Richtung. Ich bekomme noch einen Platz und sitze eingeklemmt neben einer Frau und ihrer kleinen Tochter. Nach einigen Minuten ist der Wagen voll, wir fahren ab. Ich öffne das Schiebefenster und schließe die Augen. Der warme Fahrtwind trocknet mein schweißnasses Gesicht, um mich herum das Murmeln der Stadt. Langsam fühle ich mich wieder lebendig. +++ 6. Eintrag (Online seit 2. jan 07) Seefahrt Im Reiseführer steht, die Fähre würde gegen 10 Uhr ablegen. Halb elf springen wir aus dem Taxi, das uns die letzten Kilometer vom Busbahnhof bis zum Hafen von Akosombo gebracht hat. Zu unserer großen Enttäuschung scheint es in Ghana tatsächlich ein öffentliches Verkehrsmittel zu geben, das pünktlich abfährt. Im Hafenbecken gähnende Leere. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Die Dame am Fahrkartenschalter ist eingeschlafen. Sie hat ihren Kopf auf die Hände gebettet und schläft vor dem offenen Fenster. Wir klopfen, erst zaghaft, dann vehementer. Ihre Augenlider bewegen sich leicht. Wir klopfen noch einmal. Sie ist wach, keine Frage. Sie versucht uns zu ignorieren, wohl in der Hoffnung wir würden aufgeben. Keine Chance. Wir wollen Richtung Norden, über den Voltasee, und ohne das Boot würden wir mindestens einen Tag verlieren. Ich beuge mich vor, so dass mein Kopf in ihr Büro hineinragt. Ähm. Excuse me, Madame. Als Antwort höre ich ein Seufzen aus einer friedlicheren Welt. Ihre Lider öffnen sich in Zeitlupe. Mit der Würde einer Löwin richtet sie sich auf und reckt sich. Ihr Haar ist zerzaust. Aus großen müden Augen sieht sie uns fragend an. Madame, ist das Boot schon weg? Sie betrachtet uns, als wären wir kranke Kühe. Schweigen. Sie wissen, das Boot nach Yeiji, die Fähre? Sie sieht uns an und schweigt. Die Luft scheint stillzustehen. Ich spüre die Sonne in meinem Nacken, Schweißtropfen laufen meinen Rücken herunter. Die morgendliche heiße Hafenwelt hält den Atem an und wartet mit uns auf eine Antwort. Sie seufzt noch einmal und auf ihrem Gesicht macht sich eine Mischung aus Widerwillen und Langeweile breit. „Es gibt kein Boot“, bescheidet sie uns. Kein Boot? Aber der Touristenführer, die Fähre nach Norden? „Fährt um vier Uhr Nachmittags.“ Nach einer Viertelstunde verkauft sie uns zwei Tickets zweiter Klasse. Mit erstaunlicher Präzision hatte sie jegliches überflüssiges Wort vermieden. Haben sie noch Tickets erster Klasse?, war unsere Ausgangsfrage. „Ausverkauft. Nur noch zweite“, ihre gemurmelte Antwort. Wie sieht es mit der dritten Klasse aus? Sie schien zu leiden „Gibt es nicht.“ Und die?, sagte ich und deutete auf den Stapel mit Tickets dritter Klasse, direkt neben dem Stapel mit Tickets zweiter Klasse. Ihr Blick senkte sich und fiel auf die beiden Papierhäufchen. So verharrte sie einige Sekunden, dann blickte sie wieder auf. In einem Akt großer Willensanstrengung erklärte sie uns, dass die dritte Klasse nur für Ghanaer sei. Wir gaben auf. Stunden später trinken wir ein Bier auf ihr Wohl.

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LakeVolta - Sonnenuntergang. Bis die chinesische Führung auf die Idee kam, den Jangtse aufzustauen, war der Voltasee der größte Stausee der Welt. Sein Hauptarm streckt sich über 300 Kilometer von den Küstenbergen aus hinein in die trockenen Steppen im Norden Ghanas. Ein zweiter Seitenarm schlängelt sich nach Westen, in die Regenwälder des Aschantiplateaus. Auf der Karte sieht der See aus wie eine verunglückte Mistgabel. Eingezwängt in der Mitte liegt der Digya National Park, in dem es angeblich noch Löwen geben soll. Da der Park unzugänglich ist, lässt sich diese Behauptung nicht nachprüfen. Was bleibt ist das angenehme Gefühl, vom Schiff aus die Steppe im Osten des Sees zu betrachten und sich vorzustellen, hinter den Büschen schliefen vollgefressene Löwen. Bis auf einige verstreute Dörfer im Norden und Osten sind die Ufer des Sees menschenleer. Im See gedeiht eine Schneckenart, die parasitären Würmern als Wirt dient. Die Würmer vermehren sich und ihre Larven gelangen mit der Schneckenkacke ins Wasser. Bei Hautkontakt bohren sich die Larven der zweiten Generation durch die Hornhaut und vermehren sich im menschlichen Körper. Ihre Eier gelangen über Exkremente wieder in das Wasser, dort schlüpfen die Würmer und suchen sich neue Schnecken. Ein mieser Kreislauf. Schistosomiasis, auch als Bilharziose bekannt, ist zwar nicht tödlich, aber extrem unangenehm. Trotz seiner Nähe zur Hauptstadt ist der See daher für Wassersportler uninteressant und liegt verlassen im Hinterland von Accra. An seinem südlichen Ende wird er von tiefgrünen Berghängen eingerahmt. Nach 20 Kilometern verlieren sich die Berge in eine weite Ebene und der schmale Wasserstreifen streckt sich nach Norden und Westen ins Land. Leer und scheinbar endlos spiegelt sich die Wasseroberfläche an dieser Stelle in den Horizont hinein.

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LakeVolta - Dritte Klasse Als der Volta in einer sozialistischen Großanstrengung in der 60ern aufgestaut wurde, sollte sein Wasser für große Bewässerungsprojekte im trockenen Norden genutzt werden. Mit dem afrikanischen Sozialismus der Gründerväter wurden Ende der 60er Jahre aber auch ihre utopischen Projekte beerdigt. Geblieben sind nur die Stromturbinen im Akosombodamm, nach 40 Jahren noch immer die wichtigste Energiequelle des Landes und so etwas wie der ghanaische Nationalstolz. Der Segen erweist sich in letzter Zeit aber immer öfter als Fluch. Da sich die afrikanischen Sozialisten keine ideologischen Scheuklappen leisten konnten, suchten sie für den Damm Geldgeber aus den USA. Etwas widerwillig vermittelte Kennedy schließlich einen Kredit. Kurz zuvor hatte der russische KPD-Generalsekretär Chruschtschow den Bau des Assuan-Staudamms in Ägypten finanziert. Die Amerikaner hatten Angst, Afrika an den Kommunismus zu verlieren. Als Bedingung musste sich Ghana verpflichten, einen Teil der Stromproduktion an eine amerikanische Aluminiumhütte in der Nähe Accras zu liefern.

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LakeVolta - Gabriel mit Bier Die Turbinen produzierten soviel Strom, dass Ghana in den ersten Jahrzehnten neben der Aluminiumhütte auch das Nachbarland Togo beliefern konnte. Als Mitte der 80er die Wirtschaft wieder zu wachsen begann und immer mehr junge Menschen in die Städte zogen, stieg Ghanas Stromverbrauch in ungeahnte Höhen. Es war nur eine Frage der Zeit bis der Voltastrom nicht mehr für den Inlandsverbrauch genügen würde. Doch das Problem wurde verdrängt. Seit einigen Jahren gehen nun in der Trockenzeit regelmäßig die Lichter aus. Drei, vier Mal pro Woche fällt für 12 Stunden der Strom aus. Da das Land keine Öl- oder Gasvorkommen hat und Importe immer teurer werden, laufen auch die Gaskraftwerke nicht auf vollen Touren. Im Nordwesten des Landes soll nun ein weiterer Fluss aufgestaut werden. Die Kredite und die Technologie kommen aus China, neue Abhängigkeiten entstehen. Langsam füllt sich der Platz vor dem Hafentor. Frauen verkaufen gekochten Yams, Reis mit Soße und süßklebrige, furchtbar scharfe Erdnusspaste. Eine Einheit von Soldaten wartet auf ihren Transport nach Norden. Für ein halbes Jahr sollen sie in Yendi, einer Provinzhauptstadt im Nordosten, für Ruhe sorgen. Vor einigen Jahren starb das Oberhaupt der Region. Die rivalisierenden Herrscherfamilien, vereint durch Jahrzehnte altes Misstrauen, konnten sich nicht auf einen Nachfolger einigen. Die Diskussionen liefen ins Leere. Keiner weiß mehr genau, welche Seite anfing, zu den Waffen zu greifen. In einer Art menschlicher Resonanzkatastrophe eskalierte der Streit, Menschen wurden verflucht, Schlägereien, die ersten Toten auf beiden Seiten, Schüsse. Wie ein Geschwür wucherte der Familienstreit in das Land hinein. Am Ende war die Fehde zu einem Minibürgerkrieg mit Hunderten von Toten mutiert. Die Armee marschierte ein und beruhigte die Situation. Seitdem steht der Königspalast leer. Die streitenden Fraktionen lecken ihre Wunden und belauern sich. Ab und an kommt es zu kleineren Scharmützeln. Joseph, einer der Soldaten, die später neben uns auf dem Oberdeck schlafen werden, meint, für Außenstehende sei die Situation ungefährlich. Trotzdem hat er keine Lust zu gehen. Seine Frau und Kinder bleiben im Süden zurück und Yendi, sagt er, ist ein langweiliges Loch.

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LakeVolta - Nach dem ersten Bier Im Laufe des Nachmittags treffen einige weiße Touristen ein. Amüsanterweise stammen alle aus Deutschland. Dennis, mein kanadischer Mitbewohner und Reisegefährte, vermutet eine Intrige meinerseits. Ich beteuere meine Unschuld, außerdem findet man Deutsche überall. Gabriel etwa arbeitet als Lehrer in einer Dorfschule in der Nähe von Swedru, Kati lehrt in Accra, andere kommen aus Kumasi. Echte Touristen sind in Ghana selten. Die meisten Ausländer, die ich außerhalb der großen Städte traf, sind für einige Monate oder Jahre in Ghana. Sie arbeiten in einem karitativen Projekt, für eine NGO oder in einem Krankenhaus. Die meisten wollen etwas Gutes tun, brauchen aber hin und wieder Ferien von ihrem ab und an frustrierenden Dritte-Welt-Alltag. Gabriels Situation ist anders. Er ist 18 Jahre alt, gut gelaunt und mit einem so unerschütterlichen Optimismus gesegnet, dass ihn weder korrupte Beamte noch prügelnde Lehrer aus der Bahn werfen konnten. Da aber seit einigen Wochen Ghanas Lehrer streiken, steht der Schulbetrieb still und es gibt nichts zu tun. Seitdem reist er durchs Land. Gegen fünf Uhr nachmittags legt die Fähre endlich ab und wir feiern diesen lange erwarteten Moment mit einem ersten Bier. An Bord werden nur die großen 1,5 Liter-Flaschen verkauft. Als die Sonne eine Stunde später hinter den Horizont versinkt, hängen wir zufrieden angetrunken an der Reling und betrachten die dunklen Berge und den verglühenden Abendhimmel. Leider verpassen wir dadurch die Verteilung der Schlafplätze. Für uns bleibt nur ein schmaler Streifen vor der Tür zum Klo. Leider haben auch die Soldaten Bier getrunken. Die Nacht ist dementsprechend kurz und ungemütlich. Dank des vollen Mondes finden die meisten den Weg zum Klo, nur ab und an stolpert ein dunkler Schatten über mich. Leise fluchend liege ich in meinem Schlafsack. Als schließlich der Mond untergeht, belohnt mich ein großartiger und fremder Sternenhimmel für die Tritte. Trotz der unbequemen Nacht sind wir der Fahrkartendame dankbar. Die dritte Klasse ist total überfüllt. Im Unterdeck drängen sich Hunderte von Menschen. Sie schlafen zwischen Autos, auf und unter Tischen und in den großen Holzsteigen, die auf der Rückfahrt mit Yams gefüllt werden. Kinder schreien, Essen wird gekocht, nackte Ärsche erleichtern sich in den See. Gegen Mittag hat die Sonne den Stahlboden in eine riesige Bratpfanne verwandelt. Wie viel angenehmer ist es da, auf dem Oberdeck im Schatten zu sitzen, Kaffee zu trinken und über den immer schmaler werdenden See hinweg zu sinnieren. Viel mehr passiert eigentlich nicht. Ab und an legen wir am Ufer an. Wir schlendern einmal die Dorfstraße entlang und grüßen links und rechts wie auf einem Staatsbesuch. Dann geht es weiter. Das Schiff leert sich und der See wird zu einem breiten Fluss, der vergessen hat zu fließen. Als es Dunkel wird, schaltet der Kapitän den großen Suchscheinwerfer neben der Brücke an und, als hätten sie darauf gewartet, stürzen sich zehntausende von Insekten in einen gleißenden Tod. Es stinkt nach schmelzendem Chinin. Der Nachschub ist unerschöpflich; hunderttausende von fliegenden Selbstmördern umschwirren die Brücke. Der Kapitän hat derweil die Fahrt gedrosselt und lässt den Lichtkegel über die Wasseroberfläche gleiten. Der See ist auf den letzten hundert Kilometern nur noch einige Meter tief. Als der Damm fertig war und der Fluss über seine Ufer trat, versanken neben einigen Dörfern und einem heiligen Schrein auch die Uferauen im Wasser. Niemand hatte daran gedacht, all die Bäume zu fällen. Vielleicht hatte auch die Zeit gefehlt. Doch das Holz verfaulte nicht. 40 Jahre später ragen noch immer ganze Skelettwälder aus dem Wasser, gespenstig schön und sehr gefährlich. Wasser und Sonne haben das Holz gehärtet. Einige der größeren Bäume könnten selbst den stählernen Bauch der Fähre aufreißen.

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LakeVolta. Skelettbäume Anfangs sehen wir nur vereinzelte Stämme im Lichtkegel aufscheinen. Um so näher wir unserm Ziel kommen, um so enger stehen sie. Irgendwann, Yeiji ist als Lichtfleck schon am dunklen Horizont zu sehen, treibt das Boot durch einem Wald aus totem Holz. Im Schneckentempo manövriert der Kapitän durch die geflutete Lichtung, einige Meter links und rechts der Bordwand stehen die Baumleichen Spalier. Die Passagiere verstummen. Für einige Minuten stehen wie an der Reling und halten die Luft an. Dann sind wir durch. In Yeiji warten schon die Laufjungen der Hotelbesitzer. Wie müdes, williges Vieh lassen wir uns in eines der Gästehäuser treiben. Kein fließendes Wasser? Egal, das Bett ist weich und die Nacht kurz. Wir werden früh aufstehen müssen, um die Fähre zur anderen Seeseite zu erreichen. Um acht Uhr sollen wir am Hafen sein, hat uns der Hotelier gesagt. Wie immer sind wir Stunden zu früh da. Macht aber nichts. Wo nichts passiert, kann man nichts verpassen. +++ 5. Eintrag Endstation Lomé Joyce versucht ihr Bestes, aber gegen die geballte Unmut ihrer Kinder hat sie keine Chance. „Mama, mal ehrlich, dein Land ist scheiße“, sagt Bellinda, frech wie immer, und ihre Geschwister stimmen zu. Selbst der 15-jährige Ritchie, der sonst meist cool bleibt und nicht viel sagt, hakt nach. „Togo ist scheiße Mama, gibs doch zu.“ Joyce schimpft, aber gibt auf, wie so oft in den letzten Tagen. Was soll sie auch sagen. Togo ist ihre Heimat, nicht die ihrer Kinder. Yotis, Richi, Rejoyce, Bellinda, Celestine, Kokou, Rebecca und Gertrud fühlen sich als Deutsche und wollen zurück nach Deutschland. Aber Deutschland will sie nicht.

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Bellinda. Der Abschiebebescheid kam im Juni. Nach 13 Jahren in Deutschland sollte die Familie Parkoo ihre Koffer packen und nach Togo zurückkehren. Der Vater war damals über Ghana nach Deutschland geflohen und hatte seine Familie später nach Cölbe in Hessen nachgeholt. Anfang der 90er Jahre hatte auch auf Togo ein Funke des revolutionären Feuers übergeschlagen, das Moskau, Peking und Leipzig in Brand gesteckt hatte. Aus Deutschland zurück nach Togo Nach Jahrzehnten der Unterdrückung protestierten Gewerkschaften, Oppositionelle und Kirchen gegen den Diktator Eyadéma. Ein Monate langer Generalstreik sollte ihn in die Knie zwingen. Verkehr, Handel, Industrie, Tourismus – alle Teile der togolesischen Gesellschaft kamen zum Erliegen, das Land verarmte – Eyadéma blieb. Damals flohen Hundertausende, politische und wirtschaftliche Gründe ließen sich dabei kaum trennen. Die meisten gingen nach Benin, Côte d’Ivoire, Ghana oder Frankreich. Einige wenige verschlug es nach Deutschland, in das Land der ehemaligen Kolonialherren. Der Antrag der Parkoos auf politisches Asyl wurde abgelehnt. Wegen der dramatischen Situation in Togo bekamen sie aber ein Duldungsrecht.

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Lomé: Hof mit Kochstelle. Im September 2006 unterzeichnete die EU ein neues Kooperationsabkommen mit Eyadémas Sohn. Der hatte sich zwar nach dem Tod seines Vaters mit Hilfe des Militärs an die Macht geputscht, aber Brüssel hofft auf Besserung. Eyadéma junior geht den chinesischen Weg. Politisch folgt er seinem Vater, wirtschaftlich setzt er auf Reformen. Togo ist nun kein Paria mehr in der internationalen Politik und damit gibt es für das deutsche Innenministerium auch keinen Grund, Togolesen weiterhin ein Bleiberecht in Deutschland zu gewähren. Afrika kannten sie nur aus dem Fernsehen Bellinda sind solche politischen Schachzüge egal. An die ersten vier Jahre ihres Lebens erinnert sie sich kaum noch. Togo, sagt sie, ist wie ein schlechter Traum, aus dem sie nicht mehr aufwacht. Sie will zurück nach Hause. Zurück zu ihren Freundinnen, ihrer Schule, dem Kühlschrank, der Dusche mit fließendem Wasser, den Fernsehprogrammen. Einem normalen deutschen Leben eben. Seltsam klingt das, wenn sie dabei im Sand sitzt und mit einem Bambusfächer den gußeisernen Kohlegrill anheizt, um Yams zu kochen. Würde sie nicht Deutsch sprechen, könnte man sie in den weiten Batiktüchern nicht von anderen Togolesen unterscheiden. „Ich hasse diese Fetzen“, sagt sie. „Ich seh ja schon fast aus wie so ein Buschmensch.“

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Der Onkel.

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Bellinda und Celestine. Afrika kannte sie nur aus dem Fernsehen. Wenn sie Bilder sah von kleinen Kindern mit Wasserbäuchen und Lehmhütten und staubigen Straßen, da fragte sie sich, wie man so leben kann. Jetzt erfährt sie es jeden Tag. Zu zwölft wohnen sie im Haus ihres Onkels. Zweimal die Woche gehen sie auf den Großmarkt und kaufen Gemüse, Reis, Yams und ab und an mal Fisch. Pro Tag haben sie etwa 2000 CFA für Nahrungsmittel, rund 3,30 Euro. Mittags und Abends sitzen die vier Mädchen im Hof und kochen. Das Wasser holen sie aus einem Brunnen im Hof. Im Schöpfeimer schwimmen Dreck und Blätter herum.

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Erinnerung an Cölbe. Den Rest des Tages langweilen sie sich oder reden darüber, wie scheiße Togo ist. Keiner von ihnen hat eine abgeschlossene Ausbildung. Eigentlich müssten sie in die Schule gehen, aber dort verstehen sie kein Wort. In Togo wird auf Französisch unterrichtet, in der Sprache der ehemaligen Besatzer. Unqualifizierten Menschen bleibt nur einer der schlecht bezahlten Straßenjobs, aber dafür muss man das Land und seine Gepflogenheiten verstehen. Wer sich nicht auskennt, wird gnadenlos abgezogen. Die Kinder sprechen zwar Ewe, die lokale Sprache, aber ihr Akzent zeigt jedem Einheimischen, dass sie nicht aus Togo stammen. Auch wenn sie nichts sagen, heben sie sich von anderen Jugendlichen ab. In Togo, wie in vielen afrikanischen Ländern, haben junge Menschen wenig Rechte. Was die Eltern oder andere Erwachsene sagen, ist Gesetz. Widersprochen wird nicht. Wer es wagt, riskiert Prügel, selbst in der Schule. „Die warten dann darauf, dass sie älter werden und ihre kleinen Geschwister herumkommandieren können“, erzählt Bellinda. Viel Spaß in Deutschland! Weil vor allem Bellinda und Kokou nicht daran denken, ihre Meinung zu verheimlichen, gibt es häufig Streit mit dem Onkel. Der Mann ist 72 Jahre alt und versteht die Welt nicht mehr. Selbst sein eigener Sohn siezt ihn. Und plötzlich tauchen die Kinder seines Bruders auf und wagen gar, ihm zu widersprechen. So schlecht erzogene Kinder hat er noch nie gesehen, erzählt er mir auf Französisch.

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Yotis und Naomi. Im Hintergrund höre ich Gertrud, Bellinda und Celestine auf Deutsch lästern. „Der hat ja richtige Titten“, sagen sie über den Onkel, der ohne Hemd herumläuft, und lachen sich halb tot. Deutsch ist ihre Geheimsprache und ihre letzte Brücke nach Hause. Viel mehr ist nicht geblieben. Nur die Hoffnung, irgendwann zurückzukehren. Vorher müssten sie aber mehr als hunderttausend Euro Abschiebungskosten zurückzahlen. Selbst in Deutschland ist es schwer, so viel Geld zu verdienen. In Togo ist es unmöglich. Als ich gehe, wünscht mir Bellinda noch viel Spaß in Deutschland. Danke.


4. Eintrag Strandleben! Oder wie die Flut die Leichen mitnimmt Eigentlich sollte ich etwas über die Clubszene Accras schreiben, aber davon habe ich keine Ahnung. Meistens bleibe ich einfach in Tawala’s Bar hängen. Fünf Minuten hinter dem Haus, an der End Time Church und dem Ziegenstall vorbei, direkt am Meer, steht Tawala’s Beach Bar&Grill. Der Laden gehört Linda, einer Ghanaerin, und Garison, ihrem Ehemann aus Miami. Tawala heißt ihr Sohn, der den Platz beim Spielen entdeckt hat. Garison spricht ganz gut deutsch, seine Mutter stammt aus einem Kaff in der Nähe von Nürnberg. Sein Vater ist halb Afro-Amerikaner und Halb-Cherokee. Nur wer Mitglied der Cherokee-Königsfamilie ist, darf sich Tawala nennen. Theoretisch könnte Garison Chief der Cherokee-Nation werden. Realistisch betrachtet, stehen seine Chance eher nicht so gut. Nach Ghana kam er Mitte der 90er Jahre. Er wollte im Minengeschäft arbeiten. Über die Details spricht er nicht gerne. Goldbergbau in Ghana ist ein ziemlich übles Geschäft. Die Profite gehen zu großen Teilen ins Ausland. Zurück bleiben zerstörtes Ackerland und giftige Chemikalien im Trinkwasser. Ende der 90er sackte der Goldpreis ab und Garison beschloss, nach anderen Geldquellen zu suchen. Die Bar ist eine davon. Linda ist der Chef, Garison ihr stiller Teilhaber. Obwohl er fast jeden Abend auf seinem Plastikstuhl neben dem verrußten Holzkohlegrill sitzt, behauptet er, dass in der Bergbauregion im Osten Ghanas noch immer ein paar Leute für ihn in einer Goldmine schuften.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Bar. Seit einem Jahr ist Tawala’s Bar geöffnet und obwohl sie nie Werbung gemacht haben, ist immer etwas los. Nachts treffen sich hier die Päarchen zum Knutschen - in der Öffentlichkeit sind Küsse absolut tabu. Garison, Geschäftsmann der er ist, hat die Ecke unter den Kokospalmen mit Absicht nicht beleuchtet. Manche Gäste fordern neuerdings, dass er Bungalows bauen und sie auf Stundenbasis vermieten soll. Das lehnt er aber ab. Nicht weil er moralische Skrupel hat, nein, er fürchtet den Zorn der angrenzenden Gemeinde. Kurz nach der Bar-Eröffnung am Valentinstag kamen einige Gemeindemitglieder mit Knüppeln und Gewehren vorbei. Großzügige Sonntagsspenden haben die Lage mittlerweile beruhigt, aber Linda und Garison bleiben vorsichtig. Wer nicht zum Knutschen kommt, bestellt die grandios marinierten Hühnerschenkel mit Avocada-Pfeffer-Knoblauchsoße. Zur Zeit brutzeln sie noch auf einem großen Stahlgrill. Garison aber träumt von einem mobilen Küchenwagen, wie sie in Deutschland auf Supermarktparkplätzen stehen. Er hat einen Freund in Deutschland angewiesen, ein gutes Modell zu suchen. Außerdem will er Nürnberger Bratwürste und Sauerkraut verkaufen. Für 80 Dollar, meint er, könne er fast eine ganze Europalette einfliegen lassen. Vorsichtig versuche ich, seinen Fortschrittswahn zu bremsen. Aber seine amerikansichen Wurzeln sind einfach stärker: Bigger, better, faster. Garison hat viele Pläne und ihm zuzuhören ist auf eine seltsame Weise beruhigend. Sein haltloser Optimismus und der feste Glaube, die Zukunft könne nur besser werden, geben mir das Gefühl, er könnte Recht haben. Im Detail kommen mir aber doch gelegentlich Zweifel. Er will aus seinen 100 Metern Strand einen Action Beach machen. Mit Jetskis, Parasailing und Volleyballfeld - mir ist nicht ganz klar, wer sich durch die vermüllte Brandung kämpfen will. Accras Abflußkanäle führen geradewegs ins Meer. Jeden morgen holt Garison die Jungs aus der Nachbarschaft zum Müll aufsammeln. Und mit jeder neuen Welle schwappen neue Plastiktüten ans Land. Meinen einzigen Versuch, hier baden zu gehen, gab ich auf, als ein gebrauchtes Kondom an mir vorbeischwappte. Lieber sitze ich in meinem Plastikhocker und betrachte den Sonnenuntergang. Zu sehen gibt es immer etwas. Etwas abseits steht ein junger Mann und brüllt in die Brandung. Ich kann ihn nicht hören, dass Meer ist einfach zu laut. Er hampelt und gestikuliert und ab und an tritt er nach einer Welle. Unauffällig schlendere ich in seine Richtung. Er schreit nicht, er rappt auf Ga gegen das Meer an. Ein moderner Orpheus, nur die Kieselsteine fehlen. Ich kehre zum Bannkreis der Bar zurück und ordere einen neuen Drink. Halfdose nennt Garison die Mischung aus Madingo, einer Art Campari, und Apateshi, dem lokalen Gin. Sellassie, eine Bekannte aus Accra, nennt das Zeug die HIPC-Solution. HIPC steht für Highly Indebted Pour Countries und ist ein Weltbankprojekt mit dem alle möglichen Infrastrukturprojekte in Ghana und anderen extrem armen Ländern finanziert werden. Der Drink heißt so, weil ein Glas weniger als 10 Cent kostet und man nach spätestens drei Gläsern so hinüber ist, dass alle Sorgen verfliegen. Ich nippe an meinem Glas. Fischer rudern vorbei. Eine Marktfrau mit einem Korb auf dem Kopf läuft durch mein Blickfeld. Kinder und Hunde streunern durch die Gegend. Es gibt immer etwas zu sehen. Wenn mir trotzdem langweilig wird, geselle ich mich zu Garison und lasse mir Geschichten erzählen. Mein Favorit ist die von der Leiche am Strand, die einen ganzen Tag lang von den Gästen bestaunt wurde, weil die Polizisten kein Auto für den Abtransport hatten. Garison weigerte sich, ein Taxi für den Toten und die Polizisten zu bezahlen. Das habe er schon bei der Leiche davor nicht eingesehen, erzählt er entrüstet. Spätestens am folgenden Abend löse sich das Problem eh von selbst. Dann kommt die Flut.


3. Eintrag Echte Liebe: I want to take you as my friend Sie sagt, es ist echte Liebe. Sie wollte schon immer einen weißen Mann haben. Als sie mich gesehen hat, sagt sie, hat sie gewusst, dass ich der richtige bin.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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Thilo.

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Ich sitze auf meinem Bambusstühlchen und beginne unruhig hin- und her zu rutschen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Mein erstes Date in Ghana und nach einer halben Stunde reden wir über Heirat. Eigentlich hatte ich mir gar nichts vorgestellt. Bellinda stand plötzlich vor mir und wollte mein Freund sein. Zwei Stunden lang war sie schweigend ihrem Chef hinterhergelaufen, als der mir die Geschichte des Sklavenhandels in Cape Coast erklärte. Gegen Ende der Tour waren wir für einen Moment allein. „Ich will dich als meinen Freund haben“, erklärte sie mir ansatzlos. Ich war noch etwas gedankenverloren und dachte an die Geschichten über Sklaven, Ketten und Tod. Verdutzt blickte ich sie an. „Willst du mein Freund sein“, sagte sie noch einmal und strahlte mich an.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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Nach meinen bisherigen Erfahrung war das für eine Frau ein ziemlich direkter Vorstoß. Andererseits ist es nicht ungewöhnlich, dass mich völlig fremde Menschen auf der Straße ansprechen und mir allen Ernstes erklären, dass sie mein Freund sein wollen. Auf Englisch klingt das noch besser. “I want to take you as my friend”, sagen sie. Ich bin jedesmal beeindruckt. Das klingt als wollten sie mich adoptieren. Anfangs habe ich noch rumgedruckst oder lange Monologe gehalten über die emotinale Bedeutung einer Freundschaft. Meine Gesprächspartner betrachteten mich dann entweder verständnislos oder mitleidig. Mittlerweile bin ich dazu übergegangen, ohne zu zögern anzunehmen und, wenn gewünscht, meine Emailadresse auszuliefern. Anders als ich erwartet hatte, ist das nämlich absolut folgenlos. Meistens. Ich habe einen Freund mehr und mein Gegenüber ist auch zufrieden. Dann schütteln wir uns noch einmal die Hände und gehen unserer Wege. Bellindas Angebot war trotzdem irritierend. Alle Anfragen von weiblicher Seite waren bisher entweder finanzieller Natur oder auf eine baldige Heirat ausgerichtet. Während ich grübelte, saß mir Bellinda lächelnd und zuversichtlich gegenüber. Wird schon nicht so dramatisch sein, dachte ich. Ich hätte auf meinen Instinkt hören sollen. Dann wäre ich im Hotelbett geblieben und würde SpiderMan 3 mit indonesischen Untertiteln anschauen. Noch am Nachmittag nach unserem ersten Treffen hatte sie mich angerufen. Wir verabredeten uns für den Abend und bevor sie auflegte, gestand sie mir ihre Liebe. Was für ein Tempo. Die Situation begann mir zu entgleiten. Aber ich war einfach zu neugierig. Seit drei Tagen war ich in Cape Coast, kannte niemanden und langweilte mich im Hotel. Mein Einwand, wir könnten nicht heiraten, da ich ja eine Freundin habe, ließ sie nicht gelten. Ich änderte meine Taktik und fragte, warum es denn unbedingt ein Weißer sein müsse? Was sagen denn ihre Eltern dazu? Ihre Eltern, sagt sie, finden das super. Ihr Bruder ist sowieso dagegen, dass sie einen Ghanaer heiratet. Und dann erzählt sie mir, wie sie als kleines Kind einmal zwei Weiße kennenlernte und die ihr einen Wunsch erfüllten, weil sie noch schwärzer war als alle anderen Kinder und die beiden Weißen das so unglaublich süß fanden. Und ihr größter Wunsch war eine Spielpuppe, die sie dann auch bekam, zwei Wochen später, von den zwei Weißen. Als ihre Mutter davon erfuhr, schlug sie sie. Nicht weil sie eine Puppe von Fremden angenommen hatte. Nein, weil sich das dumme Kind eine Puppe statt einer Waschmaschine gewünscht hatte. Doch die beiden Weißen hatten ihr nicht nur eine Puppe geschenkt, sondern auch ihre Kontaktadresse hinterlassen. Wann immer sie Hilfe brauche, müsse sie nur schreiben. Ihr strenger Vater aber nahm die Adresse an sich und schloss sie weg. Erst wenn sie alt genug sei, könne sie wieder mit den zwei Weißen Kontakt aufnehmen. Doch als sie nach Jahren des Wartens den Kronschatz an sich nehmen wollte, da war die Adresse verschwunden. Verlegt vom zerstreuten Vater. Und deshalb, und wegen tausend anderen Gründen, will sie jetzt einen weißen Mann. Die Geschichte ist zu Ende und wir sitzen schweigend in der tropischen Dunkelheit. Ich bin sprachlos und denke an Aschenputtel. Tut mir leid Bellinda, aber ich bin nicht dein Märchenprinz. Schlechten Gewissens bezahle ich das Essen und auch ihr Taxi. Zurück im Hotelzimmer suche ich nach der raubkopierten Jet Li-Kollektion. Ich kann nicht schlafen und will erst recht nicht grübeln. Jet Li metzelt weiße Gauner und befreit chinesische Sexsklavinen. Die Welt ist gar nicht so ungerecht, sage ich mir. Irgendwann muss ich dann eingeschlafen sein.


2. Eintrag Alles nicht so schlimm

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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Ho-Neugier. Alltag ist eine feine Sache. Egal wohin ich gehe, früher oder später holt er mich ein und dann ist alles irgendwie ein bißchen wie zu Hause. Leider ist zu Hause dann nicht mehr wie zu Hause, aber das merkt man auch erst danach. Was ich sagen wollte, Accra kann genauso alltäglich sein wie Bad Tölz oder Garching. Man sollte allerdings darauf achten, sich seinen Alltag sorgfältig zusammenzustellen. Mein Anfangsalltag in Accra war ziemlich zäh. Kurz vor sechs klingelt der Wecker. Um die Uhrzeit ist die Dusche noch ziemlich kalt, die Sonne braucht ein paar Stunden, um den großen schwarzen Plastiktank auf dem Dach aufzuheizen. Mir ist kalt. Die Schaben haben das gleiche Problem. Frühmorgens lassen sie sich ohne große Gegenwehr erschlagen. Zum Frühstück gibt es Porridge, jeden morgen eine andere Sorte. Süß-klebriger Reisporridge, grober dunkler Haferporridge, vergoren-süßer Maisporridge und, wenn ich selbst kochen muss, Instantporridge. Dann raus auf die Hauptstraße, umständlich eine Sammeltaxe angehalten und zur wichtigsten Vorort-Kreuzung. Von hier sind es noch 20 Kilometer zur Arbeit, macht an guten Tagen eine Stunde im Trotro-Bus, an schlechten zwei. Die beiden zentralen Zufahrtsstraßen sind seit halb sieben Uhr morgens zu, ich bin ja nicht der einzige, der zur Arbeit will. Wir nehmen die Bush Road. Der Name sagt alles. An Regentagen geht es durch Schlaglochteiche und Schlammrinnen. Ab und an bleibt ein Minibus im Schlamm stecken. Im Vorbeifahren sehen sie aus wie modernes Großwild. Ansonst wird in Trotros meist geschlafen. Morgens genießen die Leute die letzten ruhigen Minuten, abends sind sie geschafft vom großen Mahlstein Accra. Kurz vor dem Ziel bleiben wir im Circle stecken. Die Idee vor dem Industriegbiet einen Kreisverkehr zu bauen, war gut gemeint, stammt aber aus einer Zeit als die meisten Trotros in Accra noch aus Holz waren. Das gemeine an diesem letzten Stau ist das moralische Dilemma. Zu Fuß brauche ich von hier etwa 20 Minuten durch Hektik, Schmutz und tausende von Menschen. Bleibe ich sitzen, bin ich in 30 Minuten im Büro. Meistens bleibe ich sitzen. Dann arbeiten und abends zurück, so ziemlich das gleiche Spiel. Insgesamt verbringe ich vier Stunden im Trotro, ohne Klimaanlage, mit viel Staub und Abgasen. Abends esse ich noch einen Teller ghanaische Vollkost und falle ins Bett wie der Wolf in den Brunnen. So sah das einen Monat lang aus. Mir hat’s gereicht. Ich bin einfach ein Weichei. Ich finde ja schon den Alltag der Leute hart, die einen Grund haben jeden Tag in diesen Moloch zu pilgern. Wie es ist, ohne Job und Geld in Accra zu leben, will ich gar nicht ausprobieren. „In den Vororten wohnt die Depression“, skypt mir eine Freundin. Sie hat Recht. An einem Samstagmorgen verabschiede ich mich von meiner unglaublich netten Vorort-Gastfamilie. Alle sind gerührt und sorgen sich um mich. Man hat mir erzählt, in Accra wäre das Risiko überfallen zu werden höher als hier in Sakumono. Aber morgen ist Sonntag und ich will nicht in die Kirche, ich will ausschlafen. Seitdem ist mein Alltag süß, wie man hier sagt. Kurz nach sieben klingelt mein Wecker, eine halbe Stunde später stehe ich auf. Das Wasser ist dann schon ein, zwei Grad wärmer. Und eigentlich habe ich ja nichts gegen Schaben. Mit dem Trotro brauche ich eine viertel Stunde bis zum Stau am Circle. Sobald wir stehen, steige ich aus dem Bus und spaziere zehn Minuten zu einem wackeligen Holzstand an der Straße. Da ich jetzt nicht mehr zum Büro hetze, fiel mir im Vorbeigehen die schwarze Espressomaschine auf. Die Herren hinter der Theke stammen aus Burkina Faso und servieren echten Kaffee, nicht dieses Instantzeug, dass man sonst überall bekommt. Wir schwatzen etwas und dann schlendere ich weiter zur Redaktion.

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Illustration: Julia Schubert

Akropong-Königshof.

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Illustration: Julia Schubert

Akropong-Bar. Abends gehe ich zur Tawala Bar, einem Holzschuppen am Strand, fünf Minuten hinter unserem Haus. Ich bestelle gebratenen Reis und Huhn. Die Entscheidung wird mir leicht gemacht, Guerrisons Frau macht den besten gebratenen Reis der Stadt. Wen ich Abwechslung will, bestelle ich Huhn mit Reis. Die Sonnenuntergänge sind sehr romantisch und tauchen die Armut rundherum in bunte Farben. Ich persönlich finde aber die Mondnächte am besten. Dann haben selbst die Müllberge am Strand etwas mystisches. Und den Rest sieht man nicht mehr. So ist mein Alltag in Accra, eben fast wie zu Hause. Alles eine Frage des Blickwinkels.


1. Eintrag Festplattencrash Hallo, hier ist mein erster Text. Leider hat mir ein Stromausfall vor etwa zwei Wochen meine Festplatte zerfasert und damit auch alle Texte und Bilder geloescht. Ich habe den Rechner vor einigen Tagen zurückbekommen und am Wochenende den ersten Text geschrieben. Ich musste für die Ghanaian Times nach Cape Coast fahren und komme erst jetzt dazu, den Text zu schicken. Bilder kann ich dir erst in einigen Tagen schicken, wenn ich wieder in Accra bin. Anbei ist auch ein kurzer Text über Ghana.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Bild ist dem dpa-Archiv entnommen. Zu mir: Ich habe in München Journalismus, Politik und Philosophie studiert. Vor meinem Studium war ich einige Monate in Ostafrika. Ich war fasziniert und schockiert. Waehrend einer Journalistenkonferenz in Deutschland habe ich die Chefredakteurin der Ghanaian Times in Accra kennengelernt. Wir haben ASA ein Projekt vorgeschlagen und nun sind Julia und ich hier. Wir schreiben Artikel über alle möglichen Themen aus Wirtschaft, Politik, Kultur oder Klatsch. Die Webseite der Zeitung ist www.newtimesonline.com. Viele Gruesse Thilo Ghana “Wie siehst du Ghana?”, das ist so ziemlich die erste Frage, die mir Ghanaer stellen, wenn wir uns kennenlernen. Meine Antwort variiert, je nach Tagesform. Meistens bin ich gutgelaunt und höflich und lobe die Gastfreundschaft und die Schönheit des Landes. Wenn ich Lust habe zu diskutieren, sage ich dass es ja eigentlich ganz schön sei, mir aber die Frömmelei der meisten Ghanaer auf die Nerven gehe. An schlechten Tagen sage ich ihnen, dass sie gar nicht so tun sollen als ob sie Interesse an mir haben, da ich ihnen eh kein Geld geben werde.

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Illustration: Julia Schubert

Ghanaian Times-Newsroom. Apathischer Dämmerzustand Kurz gesagt, ich habe keine Ahnung wie man Ghana beschreiben soll. Aber fangen wir mit dem Offensichtlichen an. Ghana ist seit 1992 eine Demokratie, eine der wenigen funktionierenden in Westafrika. 1957 wurde die damalige britische Kolonie Gold Coast unabhängig und Kwame Nkrumah zu Ghanas erstem Präsidenten. Sein Traum von einem afrikanischen Sozialismus und den Vereinigten Staaten von Afrika wurde nie Realität. Als einer der ersten afrikanischen Regierungschef musste er 1966, nach einem Putsch, ins Exil gehen. Ghana sank in einen apathischen Dämmerzustand, unterbrochen nur durch weitere Coups- und Countercoups. Im Jahr 2000 kam dann die große Überraschung. Der amtierende Präsident Jerry J. Rawlings, der 1992 zum Präsidenten gewählt worden war, wurde von Oppositionsführer John A. Kufour abgelöst - die ghanaische Verfassung sieht eigentlich auch nur zwei Amtsperioden pro Regierungschef vor. Aber anders als viele andere afrikanische Führer versuchte Rawlings keine faulen Tricks und trat zurück. Seitdem ist Ghana so etwas wie das Vorzeigeland in Westafrika. Trotz gravierender wirtschaftlicher Probleme, einer steigenden Zahl von AIDS-Infizierten und einer großen Zahl armer und schlecht gebildeter Menschen geht es irgendwie aufwärts. Die Wirtschaft wächst mit etwa sechs Prozent und ausländische Investitionen fließen ins Land. Geld verdienen bedeutet Überleben Die meisten Ghanaer mit Schulbildung wissen sehr gut Bescheid über die politische Situation in ihrem Land. Im täglichen Leben gibt es aber wesentlich wichtigere Gesprächsthemen: Geld und Essen. Ersteres ist nicht verwunderlich. Trotz des Booms ist das Leben für die meisten nicht einfacher geworden. Obwohl ein Durchschnittsbürger in Ghana etwa doppelt soviel verdient wie in den französischsprachigen Nachbarländern sind viele Menschen hier ziemlich arm. Die wenigsten müssen hungern, aber jede Ausgabe muss genau überlegt werden. Nur knappe fünf Prozent der Leute sind regulär angestellt. Der Rest arbeitet im informellen Sektor, kurz: sie stehen auf der Straße und verkaufen Essen, Kleider, Autoreifen, also so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann. Sie zahlen keine Steuren, tauchen in keiner Statistik auf und haben weder Krankenversicherung, noch Anspruch auf eine Rente. Geld verdienen, bedeutet hier Überleben. Das zweite wichtige Thema ist das Essen. Da die Leute nicht viel Geld haben, ist Essen oftmals ihr einziger täglicher Luxus und wird entsprechend zelebriert. Besonders beliebt ist die Frage, “Obruni (Weißer), was hast du gegessen?” Wenn man dann antwortet, “Me di (Ich esse) fufu”, kennt die Begeisterung der Anwesenden keine Grenzen. Fufu ist eine klebrig geschmacklose Masse aus gekochtem Maniok und Kochbananen, die mit extrem scharfen Fisch- oder Fleischsaußen heruntergeschlungen wird. Ghanaer lieben es, die meisten Ausländer probieren es einmal und lassen dann die Finger davon. Für Leute, die Afrika kennenlernen wollen, ist Ghana ein erstklassiger Startpunkt. Sehr viele Menschen sprechen Englisch, die Infrastruktur ist gut genug, um halbwegs entspannt reisen zu können und selbst in der Hauptstadt Accra muss man sich kaum Sorgen um seine Sicherheit machen. Außerdem sind die meisten Ghanaer notorisch freundlich. Bevor man gefragt wird, wie man Ghana findet, hört man meist erstmal “Akwaaaaaba”, auf Deutsch “Herzlich Willkommen”. Hier findest du einen Überblick über alle ASA-Blogger.

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