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"Dann kamen meine Eltern vorbei": Zwei Prostituierte über ihre Arbeit

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Worin liegt denn der Unterschied zwischen dieser Straße und der Herbertstraße? Ist es eine Art Privileg, in der Herbertstraße zu arbeiten? Sandra: Nein, ich hätte von Anfang an in die Herbertstraße gehen können. Tatjana: Aber hier hat es den Vorteil, dass wir uns die Männer selber aussuchen können. In der Herbertstraße sitzt man im Schaufenster und kann sie nur mit einem Lächeln anlocken. Euer Laden hat neun Mädels, die an verschiedenen Orten stehen. So etwas wie ein Revier, wie beim Drogenhandel, gibt es bei Euch nicht? Sandra: Doch, doch, wir haben alle unseren Bereich. Wir stehen jetzt auf dem Hans-Albers-Platz, das ist unser Platz. Die anderen Mädels bleiben halt unten in ihrem Bereich. Aber ich habe euch doch gestern hier unten an der Ecke angesprochen? Sandra: Da stehen wir aber nur die erste Stunde. Tatjana: Die erste Stunde, von acht bis neun, ist der Bereich für unseren Laden. Von neun bis sechs ist er für einen anderen Laden. Unsere Arbeitszeit beginnt um 20 Uhr und wir arbeiten dann meistens bis fünf oder sechs durch. Habt ihr eine Art Preiskatalog? Sandra: Nein, es ist nicht wie im Restaurant, wo du eine Speisekarte hast, auf der steht, „Ficken kostet das“ oder „Blasen kostet das“. Wenn jemand kommt und sagt, dass er 500 Euro ausgibt, würdest du dann Nein sagen? Nein – also ich schon, aber ich bin ja auch nicht in dem Geschäft. Tatjana: Wir haben Mindestpreise, aber wir sagen nie, was der Höchstpreis ist, denn vielleicht gibt der Kunde für den Service ja etwas mehr aus. Ist eure Wahl des Freiers und der Preis dann eine Sympathieentscheidung? Tatjana: Ja, aber auch umgekehrt von denen. Sandra: Es gibt welche, denen die Titten nicht gefallen, aber der Po schon, unddann sagen sie o.k., dann gebe ich einen Fuffi aus. Und ich kann dann sagen, ob ich damit einverstanden bin oder nicht. Vielleicht krieg ich ja am Ende auf dem Zimmer doch noch einen Hunderter hin.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Undatiertes Bild einer Prostituierten in Hamburg. (Foto: ddp) Was unterscheidet euren Beruf von einem „ganz normalen“ Beruf? Sandra: Wir verdienen mehr Geld als andere. Ansonsten ist es ein Job wie jeder andere. Ich sehe das gar nicht mehr als Sex an. Das ist Routine. Du nimmst jemanden mit nach Hause, wichst ihm einen und er gibt dir Geld. Er darf dir ja nicht zwischen die Beine fassen. Küssen ist auch tabu. Ihr seid also nicht neidisch auf jemanden, der den ganzen Tag gemütlich vor dem Computer sitzt? Tatjana: Wenn du mit einem Mann eine Stunde beschäftigt bist, bekommst du vielleicht 400 Euro. Wieso sollte ich dann auf jemanden neidisch sein, der den ganzen Tag im Büro sitzt und dafür nur einen Teil davon bekommt? Sandra: Wenn ich Schluss habe, sehe ich viele, die müde und kaputt zur Arbeit gehen – und ich kann mich den ganzen Tag in die Sonne legen. Glaubt ihr nicht, dass ihr schneller ausgelaugt seid? Sandra: Quatsch. Die Grenzen sind ja gesetzt. Tatjana: Wenn wir einen Gast haben, der uns zu hart anfasst oder aufdringlich wird, dann können wir ihn jederzeit bitten zu gehen. Und wenn er das nicht tut? Sandra: Dann rufen wir ganz einfach die Polizei. Wenn er das Haus nicht verlassen will, ist es Hausfriedensbruch. Wir haben ja keine Chefs; unser Laden ist eine reine Zimmervermietung. Das heißt, ihr seid quasi selbstständig und von dem Geld, das euch der Freier gibt, müsst ihr nur einen Teil für die Miete abführen? Ja. Wenn ihr keinen Chef habt, müsst ihr dann eigentlich auch kein Gesundheitszeugnis oder so etwas vorweisen? Sandra: Nein. Aber eigentlich muss man doch ein Gesundheitszeugnis haben, oder? Sandra: Weißt du’s? Äh, nein. Sandra: Ist eigentlich auch egal. Wir machen eh alles immer mit Gummi. Tragt ihr auch Handschuhe? Tatjana: Auch. Es gibt zum Beispiel Männer, die mögen’s anal. Wir haben auch immer Desinfektionsmittel, wenn wir irgendwas mit Dildo machen. Ein Gummi wird danach weggeschmissen und ein Dildo wird halt desinfiziert. Fühlt ihr euch sicherer, seit es so viele Kameras auf der Reeperbahn gibt? Sandra: Nein, die Kameras bringen eher nichts, aber die anderen Mädels sehen ja, mit wem wir mitgehen und wohin. Wir passen da schon eher gegenseitig auf uns auf. Wenn es Stress gibt, wird es laut und die Mädels kommen alle angerannt, um zu fragen, was los ist. Die meisten kann man ja allein mit Worten schon verscheuchen – und wenn dann so viele Mädels auf einem Haufen sind, möchte man auch nicht dazwischenstehen. Die Zukunftspläne von Sandra und Tatjana? Im zweiten Teil des Interviews auf der nächsten Seite.


Gibt es Kunden, die ihr gerne ansprecht, und welche, bei denen ihr Nein sagt? Sandra: Es gibt Kunden, die wir nicht nehmen. Das sind meistens Türken oder Russen. Tatjana: Die machen Stress, weil sie es für weniger Geld woanders bekommen, und sie halten sich nicht an die Regeln. Und sehr alte Männer sind manchmal eklig. Wie lange macht ihr den Job denn schon? Tatjana: Ich bin ziemlich frisch, ich mach das jetzt seit vier Monaten. Sandra: Ich bin seit der WM dabei. Ich hab im Ausland studiert, dann bin ich auf die Reeperbahn zum Tabledance und schließlich auf die Straße. Und davor? Tatjana: Ich war vorher in der Schule und hab im letzten Jahr im Juli mein Fachabi im Sozialwesen gemacht. Und es gibt niemanden, der mit euch nichts mehr zu tun haben will? Sandra: Bei mir war’s am Anfang ein Schock für meine Eltern. Haben sie sich schon mal angeschaut, wo du arbeitest? Sandra: Ja. Da kam die ganze Gruppe an … Das war wirklich peinlich. Die kamen einfach vorbei und haben gefragt, ob ich mit ihnen Pommes essen gehen will. Und wie fand es deine Familie? Tatjana: Die wissen es nicht. Was erzählst du ihnen, was du machst? Tatjana: Dass ich nach Hamburg gezogen bin und jetzt hier in einer Großdisco arbeite. Ist es schwer, das mit deinem Gewissen auszumachen oder lernt man das irgendwann? Tatjana: Manchmal ist es schwer und manchmal sehr schwer. Meine Mutter ist russische Schule und sehr streng. Die weiß noch nicht mal, dass ich rauche. Und dein Vater? Tatjana: Um Gottes willen! Braucht ihr irgendwelche Drogen, um das durchzuhalten? Sandra: Das denken viele, aber das gibt’s nur auf St. Georg auf dem Babystrich. St. Georg? Ich dachte, da gäbe es nur Schwule? Sandra: Nein! Bist du da schon mal rumgelaufen? Da gibt’s Mädchen, die machen das volle Programm für 30 Euro. Das ist schon unterstes Niveau. Hier ist strenges Drogenverbot. Alkohol dürfen wir natürlich trinken, das kann man selber entscheiden. Was sind eure Zukunftspläne? Den Job kann man ja nicht ewig machen. Sandra: Ich hab ja jetzt schon ein Haus. Ich möchte jetzt noch ein paar Jahre weiterarbeiten und mich dann zur Ruhe setzen. Wenn du das Haus abbezahlt hast, was kommt dann? Sandra: Familie. Und ein anderer Beruf? Sandra: Gar nichts. Einen guten Mann finden und Hausfrau sein – das wäre am besten. Und du? Tatjana: Ich hab mir da noch keine Gedanken gemacht, ich bin ja noch nicht so lang dabei. Noch macht es ja Spaß, aber irgendwann möchte ich einen Mann finden, eine Familie gründen und auch Hausfrau werden. Ud wie sieht es mit einem anderen Beruf aus? Tatjana: Keine Ahnung, ich bin ja wie gesagt noch nicht so lang dabei, vielleicht was mit Sozialwesen. Dann könnte ich ja irgendwie, keine Ahnung … in einem Fitnessstudio als Fitnesstrainerin arbeiten oder doch als Physiotherapeutin … Irgendwas in die Richtung. Auf dem Rückweg fragte ich Sandra – sie trug eine bauchfreie goldene Jacke, einen Pushup-BH und viel Schminke –, woran man hier denn am ehesten eine Hure erkennen würde. Sie antwortete: "An den Nike-Shocks natürlich."

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