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Der Mann mit dem Golfer-Gemüt

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Bastian Schweinsteiger, kündet die Werbung, tritt gegen die Gewinner des Microsoft Game with Fame Contest an und gibt Autogramme. Tatzeit: 18 Uhr in einem Münchner Elektronikfachmarkt, der Star lässt auf sich warten, die vier Sieger eines FIFA-Worldcup 2006-Gaming-Fußball-Irgendwas-Wettbewerbs dürfen nacheinander gegen den Bastian an der X-Box antreten und wer die meisten Tore gegen Basti erzielt, der kriegt die Box und einen Glückwunsch. Und alle sollen Autogramme kriegen. Aber Geduld. Ein RTL-Kamera-Team ist schon da und hält die Kamera in die Gesichter der Fans, die sich zwischen den CD-Regalen stauen und an der kleinen Absperrung vor der Showbühne lehnen. Von hinten naht ein Herr in Jeansjacke, den man sich prima in der FC Bayern-Südkurve vorstellen kann. Er fragt: „Ja von wo kommt er denn? Kommt er von links? Oder von rechts?“ Vor der Bühne senkt sich eine Leinwand, auf der „Showbühne“ steht, dann schießt aus einer Kanone an der Decke Kunstnebel und aus den Boxen hallt der schon jetzt dämlichste Song des Jahres, „Easy Love Generation“. Ein Gehudel von einem WM-Song, der jedes Stiefmütterchen nach dem dritten Anhören zum Welken bringt. Von links kommt der Basti mit Mütze, 18:24 Uhr, helle Jeansjacke und der Showbühnen-Rollo geht in die Höhe und der Moderator (darselbst ein famoses Michael-Ballack-Double) führt den Basti auf die Bühne und stellt seine Fragen so laut, dass man sie versteht. Und der Basti gibt Antworten, die so leise sind, dass man sie nicht versteht. Grund: Die „Easy Love Generation“ tut, wozu sie da ist, sie hämmert alles voll Frohsinn, dass die Boxen brummen. Ein Mädchen klatscht verzückt in die Hände und ihr Mund formt ein leises, eher gehauchtes und stilles „Bastieee!“. Durchschnittsalter der Autogrammsammler, geschätzt: elf Jahre. Einer sieht aus wie Bill Kaulitz. Drei Fragen später sitzt der Basti dann schon in einem quietschgelben Sessel auf der Bühne, ganz tief, runtergeschlumpft, Blicken entzogen. Nur durch die Digitalkameras, die eifrige Fußballfans in den Himmel über Basti recken, kann man den Basti fläzen sehen. „Basti“, fragt Moderator-Ballack, „wird Deutschland Weltmeister?“ Herr Schweinsteiger plaudert entzückend schüchtern in das Mikrofon und nur ein Wort ist zu verstehen: „Vorrunde“. „Basti, dein Lieblingshobby?“ „Golf“, sagt der Basti. „Golf?“ fragen die Fan-Mienen. Golf ist etwas für ausgeglichene Gemüter. Herr Schweinsteiger spielt jetzt vier Mal X-Box-FIFA-Trademark-Fußball gegen vier Kinder, vorher aber stürzt zweimal das System ab. „Disc kann nicht gelesen werden“. Dazwischen klemmt sich RTL auf die Bühne und interviewt den Basti in seinem gelben Sofa und der Ballack-Moderator interviewt den nächsten Basti-Gegner zeitgleich in einer Lautstärke, dass die RTL-Tonfrau fiese Grimassen schneidet. Dann aber schneiden die Box-Leute noch fiesere Grimassen, weil die RTL-Leute schon mehr als fünf Minuten den Basti interviewen und die Fans schreien zum ersten Mal „Autogramme!“ und nicht „Basti!“ und die X-Box-Eventbetreuerin wird rot im Gesicht und winkt der RTL-Interviewerin hektisch und die winkt beschwichtigend zurück und hebt den Daumen (eine Frage noch), und es werden drei Fragen, die meist länger als die Antwort sind und jetzt wird auch der Elektronik-Fachmarkt-Mann nervös und dem Basti ist das sichtbar kreuzwurscht, diese Hektik. Golfer-Gemüt. Wir befinden uns vor der WM und im längsten Werbespot der Welt und diese Autogrammstunde ist darin nur eine gefühlte Nanosekunde und allein für´s Aushalten dieses Tamtams haben Menschen wie Schweinsteiger einen Orden verdient. Die Fans aber auch, und dazu kommen wir jetzt: Herr Schweinsteiger spielt Spiel um Spiel, der Daniel gewinnt die Box, eine Dreiviertelstunde vergeht, 19:15 Uhr, und man fragt sich: Wenn der Schweinsteiger jetzt statt zu Zocken echte Freistöße trainieren würde – wäre das für die WM und Klinsmann besser? Und da stürzt die Konsole noch mal ab und die X-Box-Leute verteilen Schlüsselanhänger zur Kurzweil (dieses Land, versprochen, wird nach der WM in Schlüsselanhänger-Bändern erstickt sein) – und Basti muss nun auch noch Online gegen irgendwen in der Welt spielen, sagt der Microsoft-Mann. Weil das ist das Tolle, dass man gegen irgendwen in der Welt spielen kann, wenn der Basti mal in echt Freistöße übt. Und der Basti langweilt sich wieder ins Sofa und trifft auf „Real Bubba“ und ist sogar per Mikro und Kopfhörer mit ihm verbunden. „Die können also kommunizieren“, sagt der Microsoft-Mann und hinter der Absperrung schreit eine Mutter „Autogramme“ und in diesem Moment denkt man: Bei solchen Werbeshows, die jemand mit der Sahnehaube „Autogrammstunde“ garniert hat, denkt da jemand an die Mütter? Da stürzt die Box noch mal ab und der Microsoft-Mann und der Basti stehen auf und: Autogramme. 19.30 Uhr. Sieben Minuten vergehen, 50 Fans stehen noch an und der Microsoft-Mann treibt zur Eile und der Ballack-Verschnitt fordert per Mikrofon „jeder nur ein Autogramm“ und man muss sich die Hand vor den Schädel hauen, weil einem nun auch noch von der kleinen Sahnehaube Autogramm die Hälfte genommen werden soll. Und der Basti? Der sitzt am Showbühnenrand und ist, scheint es, das Synonym zu „Friedlichkeit“. Sitzt da wie ein Schuljunge, der endlich Fußball spielen will und schreibt jedem, der es will, so viele Autogramme, wie er will. Stoisch, obwohl der Moderator drängt, blickt Schweini jedem in die Augen, lacht in jedes Handyobjektiv. Basti: Nationalspieler, Superstar, Hoffnungsträger. Basti: Geduldiger Mensch. Ganz wie seine Fans.

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