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Auf dem Banana-Pancake-Pfad 12: Billigheimer

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Sam war mit den Nerven am Ende. Seine Buchhaltung war schwer durcheinander geraten, die letzten fünf Posten fehlten. Es war seine Schuld, er hatte vergessen, sie zu notieren. Hinzu kam dies ganze Wirrwarr mit einer Währung, von der man seiner Meinung nach am besten fünf Nullen streichen sollte und das Wechselkursdings: Der Kip hatte etwas mit dem Baht zu tun, der Baht war wohl an den Dollar gekoppelt und was das ganze dann in Euro hieß, konnte man nur erahnen. Den Anzeigen der laotischen Banken wollte er aber nicht trauen, denn die zockten seiner Meinung nach ohnehin jeden ab. Gut möglich, dass er sein Tagesbudget nun schon überschritten hatte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sein ganzer Selbsthass entlud sich nun auf den kleinen laotischen Wasser-Verkäufer, dem nur noch drei Schneidezähne geblieben waren, durch die er verwegen hindurch grinste. „No, no, no! Yesterday I paid for water is only 2000 Kip! Not 4000 like here.“ Der Laote mit den wenigen Zähnen sagte nichts, grinste nur und die Sonne brannte mit 35 Grad, was zu einem weiteren Schweißausbruch unter Samuels Achseln führte. Für einen Moment dachte er daran, dass das T-Shirt, das er trug und nun schon seit zwei Wochen nicht mehr gewaschen hatte. 40.000 Kip hatte die Frau für die Wäsche gewollt. 4,30 Euro hatten Samuels Berechnungen ergeben. „Over there“, sagte der Laote. „Water no cold. Here very ice! 3500 Kip“ „Bullshit“, rief Sam, drehte sich weg und ging. Dann machte er einen Fehler. Backpacker sind Billigheimer. Sie müssen es sein, aber sie wollen es auch sein. Für die wohlhabenden Mittelschichtskinder des Westens auf Stippvisite in der Armut ist die Pfennigfuchserei eine selbstauferlegte Kasteiung. Genugtuung entsteht allein daraus, am Tag einen möglichst niedrigen Betrag zu verbrauchen. Sätze wie „My budget is ten Euro a day!“ werden mit Inbrunst und Stolz vorgetragen, und antwortet das Gegenüber mit „Mine is 50 Euro a day“, hat es sich als versnobtes Weichei geoutet, das keine Ahnung vom wirklichen Leben in diesem Land hat. Wer es mit weniger Geld schafft, ist härter, authentischer, unabhängiger. Er beweist sich: Geld ist gar nicht so wichtig und um Spaß zu haben, braucht man fast nichts davon. Dass eine Phase des Verzichts im Leben niemanden schadet, ist kaum zu bestreiten. Nur sind die Opfer dieser Kasteiung nicht nur die Asketen selbst, sondern stets auch die laotischen Wasserverkäufer, bolivianischen Hotelbesitzer und indischen Marktfrauen. Bewohnern eines Dritte-Welt-Landes ist es nämlich eher schwer zu vermitteln, warum jemand, der in ihren Augen alles besitzt, ausgerechnet dann um jeden Cent feilschen muss, wenn er ihr Land besucht. Sie erkennen sehr wohl, dass die weißen Kopfhörer, die da aus dem stinkenden, zerrissenen T-Shirt des Farangs baumeln, zu einem iPod gehören und dass dieses Gerät in etwa den Wert ihres Monatseinkommens darstellt. Unangebrachte, aber menschlich verständliche Pauschalisierungen führen dann zu Schildern an Hotels und Restaurants, auf denen steht: „No Backpackers“ Sam ging schnellen Schrittes zur Mitte des kleinen Marktes. Vorbei an fliegenbesetzten Schweinehälften, matschigen Mangos und lärmenden Laoten. Das Licht war schummrig, die Luft roch nach fauligen Essensresten. Von überall her lärmte es und Sam kochte. Mit seinem Flipflop trat er in eine Pfütze, in der einiges herumschwamm; er zog es vor, nicht genauer nachzusehen. Es fühlte sich unangenehm genug an. Schließlich gelangte er zu einem steinernen Etwas, aus dem Wasser floss. Sam füllte seine Plastikflasche damit auf und trank voller Genugtuung die Hälfte davon aus. Dann ging er zurück zu dem grinsenden Laoten mit den wenigen Zähnen. „For free!“, schrie er ihn an und deutete mit dem Zeigefinger auf die etwas vergilbte Plastikflasche in seiner Hand. Die nächsten Tage verbrachte er im Bett.

Text: philipp-mattheis - Illustration: Katharina Bitzl

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