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Auf dem Banana Pancake Pfad 18: Warum man nicht zweimal an denselben Ort fahren sollte

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Am Ende hatte ich keine Lust mehr. Ich wollte keine Tempel mehr besichtigen, Pyramiden besteigen, abgelegene Strände suchen, Bootsfahrten machen oder auf Berge klettern. Ich hatte auch keinen Bock mehr auf fremde Kulturen, Religionen, Mondkalender und buddhistische Weisheiten. Nach zehn Monaten wollte ich wieder täglich meine Kleidung wechseln, Musik hören und Fernsehen. Ich quartierte mich für die nächsten zwei Monate, die letzten, in einem Hotel in der Nähe von Bangkoks Khaosan Road ein. Um 14 Uhr nachmittags wachte ich auf, ich nahm das Frühstück in der Lobby, las die Bangkok Post. Eine Stunde später ging ich ins Internetcafe, spielte ein Computerspiel und aß anschließend Mittag. Gegen Abend spielte ich mit einem alten Thai drei Partien Schach, trank ein Bier mit jemandem, den ich gerade kennengelernt hatte und ließ die Nacht mit mir anstellen, was sie wollte. Ab und zu lernte ich ein Mädchen kennen, das mir sagte, ich erinnere sie an Brad Pitt oder an Jean-Claude van Damme. Auch das mit van Damme meinte sie als Kompliment. Seit dieser Zeit hat mich kein weibliches Wesen jemals wieder mit einem Hollywood-Star verglichen. Ab und zu lernte ich andere Reisende kennen, mit denen ich über Indonesien, Mexiko oder Indien sprach. Auf ihren Gesichtern hatte die Welt sich eingraviert. Das Geld, die 20 Euro, die ich jeden Tag brauchte, kamen aus einem Automaten am Anfang der Khaosan Road. Kein einziges Mal fragte mich der Automat, ob ich zur Abwechslung nicht mal wieder etwas Geld in ihn hineinstecken wolle; er spuckte es immer aus, bis ich vergessen hatte, wie es dort hineingekommen war. Die Temperatur in diesen zwei Monaten lag konstant zwischen 28 und 34 Grad. Ab und zu ergoss sich ein Schauer und die Straßen rochen dann, als die Sonne sie wieder trocknete, ein wenig nach faulem Obst. So vergingen die Tage und ich schaukelte in ihnen wie ein Stück Treibgut in einem langen, ruhigen Strom. Besser war es nie gewesen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Diesen Zustand wollte ich immer wieder herbeiführen. Aber es klappte nicht. Das ist extrem frustrierend. Später fuhr ich wieder nach Bangkok, ging in dasselbe Hotel, stand um 14 Uhr auf und suchte den alten Thai, um mit ihm Schach zu spielen. Ich spazierte über die Khaosan und suchte diesen ruhigen Strom, um in ihn einzutauchen. Stattdessen musste ich feststellen, dass auf der Khaosan nun ein McDonalds eröffnet hatte. Die Einrichtung des Hotels hatte sich verändert, ich empfand sie als überbordend, manieriert. Die Leute, die ich traf, waren keine verwegenen Globetrotter mehr, sondern Abiturienten auf Saufurlaub. Ich gab mir jede Mühe, alles wieder genauso zu machen, wie ich es damals getan hatte – und wurde nur immer verkrampfter. So ähnlich muss es Junkies gehen, die sich immer wieder nach diesem 1000-mal-so-geil-wie-dein-bester-Orgasmus-Gefühl sehnen. Man probiert es immer wieder, aber es ist verfickt noch mal nie wieder so schön wie beim ersten Mal. Es ist dies der Grund, warum man niemals zweimal an denselben Ort fahren sollte. Beim zweiten Mal kann man nur verlieren. Der paradiesische Zustand, den man einmal erlebt hat, wird im Gehirn abgespeichert, eingebrannt wie eine Kindheitserinnerung und er dient fortan als Maßstab für jede weitere Erfahrung. Beim zweiten oder dritten Besuch scannt man den Ort nach dem ab, was man wieder sehen und spüren will. Für neue Eindrücke ist kein Platz mehr, aber genau, die waren es, die den Ort damals so besonders gemacht haben. In der Zwischenzeit hat man die Erinnerung außerdem verklärt und sie noch schöner gemacht, als sie tatsächlich war. Jeder Strand wird beim zweiten Mal zugebauter sein, jedes Bergdorf touristischer und die Gäste des Hotels von damals sind immer in der Zwischenzeit verprollt. Teurer ist es geworden, das Wetter nicht so gut wie damals und das Meer nicht mehr so klar. Die Wirklichkeit hat überhaupt keine Chance mehr. Ich weiß das jetzt alles, aber zwischen Erkenntnis und Realität klafft eine Lücke. Letztes Jahr war ich in China, in Yunnan, das ist im Südwesten nahe dem Goldenen Dreieck. Es gibt dort Backpacker, aber nicht zu viele, und diejenigen, die ich traf, wollte ich kennenlernen. Es ist billig, das Essen gut, die Landschaft großartig. Keine Abiturienten sind dort auf Sauftour und die Einheimischen gerade so an Touristen gewöhnt, dass ich zum Frühstück einen Kaffee kriege, ohne den ich nicht funktioniere. Chinesen trinken nämlich sonst keinen Kaffee. Ich schlenderte durch die Straßen, setzte mich mal in dieses mal in jedes Cafe, trank Bier am Abend und rauchte. Und hin und wieder bestieg ich einen der Berge, mit denen der Himalaya beginnt. Es fühlt sich dort an wie damals in Thailand vor zehn Jahren. Ich muss unbedingt wieder dorthin.

Text: philipp-mattheis - Illustration: Katharina Bitzl

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