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Auf dem Banana-Pancake-Pfad 2: Indien, Stahlbad der Backpacker

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Ich lernte Chiara in China kennen. Wir saßen auf der Dachterrasse des „Monkey Jane Guesthouse“, guckten auf diese verrückten Berge von Yangshuo, die aussehen, als hätte Gott in Gestalt eines kleinen chinesischen Schulmädchens mit einem Kugelschreiber sanfte Hügel in die Landschaft gekritzelt. Ein Finne aß gerade ein Chop Suey mit Schlange, deren Kopf eine alte Chinesin zuvor mit einer Schere abgeschnitten hatte. Alle Langnasen hatten geschrien und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, aber die alte Chinesin hatte einfach geschnippelt und das Blut in ein Glas laufen lassen, das der Finne dann trank. Chiara und ich hätten uns über die Schlange unterhalten können oder den riesigen Finnen, der die Schlange gerade aß, oder über China oder über Barack Obama. Wir aber sprachen über Indien. Ich habe schon auf einem Vulkan in Nicaragua, auf einer thailändischen Insel und in einer Münchner Boazn mit wildfremden Menschen über Indien gesprochen. Jeder, der einmal in Indien war, hat anscheinend ein drängendes Bedürfnis, dies in allen anderen Teilen der Welt zu kommunizieren. Indien ist das Stahlbad der Backpacker und ihr Referenzzentrum, zu dem jede Reiseerfahrung ständig in Bezug gesetzt werden muss. Jemand kann die ganze Welt bereist haben – wenn er nicht in Indien war, dann fehlt ihm eine Reihe ganz elementarer Erfahrungen. So die Meinung derjenigen, die länger als vier Wochen durch Indien geruckelt sind. Er weiß zum Beispiel nicht, was Dreck ist (und wie er sich so auf den Organismus auswirkt.) Der Indienkenner ist der Meinung, nur er wisse, was ein richtiger Durchfall ist. Wenn also in Nicaragua, München oder auf einer thailändischen Insel etwas von einer Magenverstimmung erzählt wird, beginnt der Indienkenner seinen Satz mit: „Als ich in Indien war…“ und endet mit „drei Wochen lang!“ und etwas Unappetitlichem, das man so genau nicht wissen will. Nervt ein Einheimischer wegen seiner Aufdringlichkeit, schüttelt er den Kopf: „Nichts im Vergleich mit Indien - da wurde ich einmal im Schlafzug von fünf Indern betatscht, weil sie gucken wollten, ob meine Hautfarbe echt ist.“ Liegt ein toter Hund am Straßenrand, sagt er: „Pah – in Varanasi schwimmen menschliche Leichenteile im Ganges.“ Der Indienkenner sagt dann abschließend: „Man sagt: India – love it or hate it“ (Ein Satz, der ziemlich trivial ist, wenn einem nicht alles scheißegal ist. Man sagt ja auch nicht: „Man sagt: Kinder – love them or hate them“ oder „Man sagt: Krieg – love it or hate it“.) Indien ist natürlich auch sehr schön. Es ist sehr bunt, die Strände sind einsamer, die Berge höher als sonst irgendwo und es ist verdammt billig. Ständig trifft man Menschen, die einen wirklich ins Nachdenken bringen: In Pushkar zum Beispiel habe ich zwei Sadhus kennengelernt, das sind dauerkiffende Bettelmönche mit Dreadlocks. Sie haben ihren kompletten Besitz aufgegeben und ihre Familie verlassen, um jetzt bettelnd und betend durch das Land zu wandern. Ich habe die Sadhus gefragt, warum sie das machen. „Wegen des Karmas! Wir wollen bessere Menschen werden im nächsten Leben“, antworteten sie. „Was wäre ein besserer Mensch?“ „Na, ein Bankdirektor oder ein Anwalt“, sagten sie und grinsten bekifft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als ich Chiara fragte, ob sie Pushkar kenne, flippte sie aus. Sie sagte: "Pushkar!" und dann "Ahhhh" und dann wieder "Pushkaaah". Wir haben den ganzen Abend über nichts anderes geredet. Wir waren beide der Meinung, Pushkar sei der schönste Ort der Welt. Es ist ein heiliger Ort, an dem es keinen Alkohol und kein Fleisch gibt. Alle Menschen in Pushkar sind shanti, also faul und gut gelaunt und irgendwie spirituell. In der Mitte der Stadt liegt ein heiliger See. Die Hindus glauben, dass er durch die Träne des Gottes Brahma entstanden ist. Deswegen pilgern sie nach Pushkar, ziehen ihre weiten, bunten Gewänder aus und waschen sich im See. Anschließend stapfen sie wieder durch die engen Gassen, in denen überall Kuh- und Kamelscheiße rumliegt und fahren rein von Sünden nach Hause. Irgendwann ging Chiara ins Bett und ich saß alleine auf der Dachterrasse. Es war dunkel geworden und der riesige Finne trank inzwischen Bier. Links über mir leuchtete silbern der Vollmond und spiegelte sich auf dem Li-Fluss. Die Chinesen hatten rote Lampions entzündet, die leuchtend gen Himmel aufstiegen. Es war ein besonderer Moment und wenn ich einen Hang zum Esoterischen hätte, würde ich ihn mit einem Wort wie „magisch“ bezeichnen oder „shanti“. Bin ich aber nicht, weil mir nichts so sehr auf die Nerven geht wie Esoteriker, von denen es übrigens in Indien am allermeisten gibt, weil überhaupt Indien voller Freaks ist. Es gibt sogar eine israelische Spezialeinheit, deren Aufgabe es ist, verdrogte, hängengebliebene Israelis aus Goa zurück nach Hause zu holen ... Auf jeden Fall war das mit dem Mond fast so wie in Indien. *** Folge 1 der Kolumne liest du hier: Die Gleicheit der Individualisten

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