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Auf dem Banana-Pancake-Pfad 4: Tiefere Einsichten

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Eigentlich wollte Tobi kein Bier mehr trinken. Er hatte vor drei Monaten mit dem Fleischessen aufgehört, benutzte oft das Wort „shanti“ und – was seine Mitmenschen etwas befremdete – er sprang mehrmals am Tag aus einer bequemen Haltung auf, faselte etwas von „Muss jetzt eine Asana machen“ und machte dann den Fisch, den Pflug oder irgendeine andere Yoga-Übung. Ich glaube, Tobi hatte Drogenprobleme gehabt, bevor er die Schweiz verlassen hatte. Darüber sprach er zwar nicht, doch trank er nie mehr als zwei Bier und hielt sich sklavisch daran. Trotz des ganzen Entspannungskram machte er einen überspannten Eindruck. Jetzt aber, es war sein letzter Abend auf Koh Phangan trank er das vierte Bier. Unsere Zehen wühlten in dem noch warmen Sand, das Meer plätscherte sanft und hin und wieder schlich ein verlauster, sandiger Köter an uns vorbei. Und dann sagte Tobi plötzlich diesen Satz. Er sagte: „Eigentlich ist doch alles eine Welle.“ Eine Welle schwappte über den Sand. Dann noch eine. In einigen Meter Entfernung brutzelte ein Thai unter bunten Glühbirnen Red Snapper und Kakerlaken. „Jedenfalls habe ich das in den letzten Monaten gelernt. Das ist meine tiefere Einsicht, die ich von dieser Reise mitgenommen habe." Früher oder später lernt man einen Esoteriker kennen. Ich will versuchen, nicht gegen Esoteriker zu hetzen. Man wird schneller zu einem, als man denkt, wenn man mehr als drei Wochen am selben Strand rumhängt und sich nur davor fürchtet, von einer herabfallenden Kokosnuss erschlagen zu werden. Da ist diese Leere im Kopf, die das Wenig- und Nichtstun erzeugt, die Gedanken hängen sich bereitwillig an jeden kleinen Haken, den sie zu greifen kriegen. Sie hängen sich bei 35 Frad im Schatten bei ihm und zuzeln nach und nach alles aus ihm heraus. Gleichzeitig baut das Gehirn ab und scheut nicht zwingend notwendige Anstrengungen wie die Pest. Es geht um Fragen wie: Bestelle ich mir noch einen Coconut-Juice oder einen Watermelon-Shake. In so einer Umgebung ist man Botschaften wie „Höre einfach auf dein Inneres“, „Alles, was passiert, will das Universum so“ oder „Jeder Mensch hat einen Engel, der ihn beschützt“ aufgeschlossener, als wenn es regnet, der Wecker um 7.30 Uhr klingelt und der Mitbewohner mit seinen Haaren den Abfluss verstopft hat. Ich will sagen: Nach drei Monaten Strand, alten Tempeln und Gesprächen über den Sinn des Lebens in einer Hängematte ist man zu einer leichten Beute geworden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Esoteriker sitzt schon seit Monaten im Lotussitz am selben Strand. Oft trägt er Tattoos (mit mystischen Bedeutungen, die er aber nicht jedem erklärt), viel Schmuck und spielt mit Bällen. Wie ein Spinne wartet er auf seine Opfer, er lockt sie mit einem Spruch, "wie faszinierend doch der Mondkalender der Maya sei und" - er blickt geheimnisvoll - "dass ja noch kein Wissenschaftler herausgefunden hat, weshalb Angkor Wat untergegangen ist. Vielleicht waren es Aliens?" Um seinen Hals baumelt ein Amulett, das er von einem Guru in Indien geschenkt bekommen hat und in der Hand hält er "Der Alchimist" von Paolo Coelho. Er deutet mit dem Zeigefinger darauf: "Lies das Buch und suche deinen Schatz" und irgendwann im Lauf des Gesprächs zitiert er auch den alten Klowandspruch: "Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum." Und dann ist man drinnen im Spinnennetz aus positiven Wellen, Energie und innerem Fluss. Eine Meute verlauster Strandköter lief an uns vorbei, die alle zusammen eine Hündin jagten, um sie zu vergewaltigen. „Ich meine, Licht ist ja eine Welle", sagte Tobi, "und Wasser auch und Licht ist Energie und alles ist in Bewegung und alles ist eins, also wir, unser Bewusstsein und das Universum, mit dem Licht, das sagt ja auch die Quantenphysik, der Welle-Teilchen-Dualismus, und deswegen, weil immer alles fließen muss, wie das Tao bei den Chinesen, ist das doch alles eine Welle. Alles, verstehst du?“ Ich zögerte, nahm auch einen Schluck Bier und versuchte mich zu konzentrieren. Ich sagte: "Wir sind wie das Bier in der Flasche. Wenn uns niemand trinkt, kommen wir nicht heraus." Wieder eine Welle schwappte ans Ufer. Noch eine. Tobi nahm einen Schluck Bier. Er kniff die Augen zusammen und fixierte den Punkt am Horizont, an dem vor einer Stunde die Sonne verschwunden war. "Mann, so habe ich das noch nie gesehen." Esoteriker trifft man fast immer an Stränden oder an Seen. Das hat mit den Schwingungen dort zu tun. Alles muss fließen. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Folge 1 der Kolumne liest du hier: Die Gleicheit der Individualisten und Folge 2 der Kolumne liest du hier: Indien, Stahlbad der Backpacker

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