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Auf dem Banana-Pancake-Pfad 6: Der indische Abzocker

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Es war drei Uhr nachts als Lakshmis Cousin mit dem Bleichgesicht kam. Lakshmi hatte ein paar Stunden auf der Matratze im Hinterzimmer des Reisebüros gedöst. Richtigen Schlaf hatte er nicht gefunden, denn alle halbe Stunde klingelte das alte, schwarze Telefon mit der Wählscheibe unter der Indienkarte. Lakshmi streckte sich, rieb sich die Augen und sprühte sich zur Sicherheit etwas Deo unter die Achseln. Die Langnase würde stinken. Alle Langnasen, die Lakshmi in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte, rochen schlecht. Anfangs hatte er es auf die langen Flugzeiten von Europa, Australien oder den USA geschoben, aber mittlerweile glaubte er, dass Weiße einfach immer schlecht rochen. Sogar ihre Frauen, die herumliefen wie..., jedenfalls nicht wie anständige Hindu-Frauen, sogar die rochen streng. Genauso wie hunderte von Begegnungen Lakshmis mit Weißen, sein Urteil vom schlechten Geruch der Weißen geformt hatten, war es für ihn eine empirisch erwiesene Tatsache, dass alle Weißen reich und dumm waren. Bisweilen fragte er sich zwar, wie die Länder des Westens wohl beschaffen sein müssen, dass Dumme reich sein können, in seinem Land waren Dumme arm. Aber letztlich war es ihm egal, solange er von dieser Dummheit profitieren konnte. Wie immer tat Lakshmi so, als kenne er seinen Cousin nicht. Er setzte sein freundlichstes und unschuldigstes Lächeln auf und schüttelte die Hand des Weißen. Eine Fettschicht aus schlechtem Schlaf, Flugzeugluft und Delhi-Smog glänzte auf dem Gesicht des jungen Mannes. Er sah genervt aus und verlangte von Lakshmis Cousin seinen Rucksack aus dem Kofferraum. „Immer diese Rucksäcke“, dachte Lakshmi. „Ein seriöser, intelligenter Herr würde mit einem Koffer reisen. Er würde außerdem kein lächerliches T-Shirt tragen und Schuhe, keine Gummisandalen.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Welcome to Ganesha Travel Agency. You are in safety now“, sagte Lakshmi und grinste so breit, wie er konnte. Die Langnase lächelte. Das war ein gutes Zeichen, er war naiv. Lakshmi legte los: Nein, die Hotels seien leider alle ausgebucht. Verrückt, was? In ganz Delhi gab es heute Nacht kein einziges freies Zimmer mehr – wegen des Feiertags, das größte Fest in Indien. Das Bleichgesicht kramte seinen Reiseführer heraus und deutete auf eine Adresse. Alle Langnasen reisten mit diesem Buch. „Lonely Planet“ stand auf dem Buchrücken. In dem Buch, das wusste Lakshmi, wurde vor Leuten wie ihm gewarnt. Ständig blätterten sie in diesem Buch, als ob darin Gottes Weisheit verkündet würde. Einheimische in Indien, Guatemala und Marokko lieben alte Pauschaltouristen. Alte Touristen haben Geld, sie kaufen Kitsch und sie reagieren auf zur Schau gestelltes menschliches Elend wie Tumore, fehlende Gliedmaßen und Exzeme noch mit geldwertem Mitleid anstatt mit Gleichgültigkeit. Sie bezahlen immer den höchsten Preis, anstatt zu feilschen. Für Einheimische in Indien, Guatemala und Marokko sind Rucksacktouristen dagegen ein notwendiges Übel. Sie geben nicht mehr als 15 Euro am Tag aus, regen sich darüber auf, wenn sie den doppelten Preis bezahlen sollen und fühlen sich wie Helden, wenn sie auf einem Markt den Preis auf die Hälfte gedrückt haben. Sie trinken Bier, sind laut, ihre Frauen kleiden sich wie Prostituierte und wundern sich, wenn man sie so behandelt. Ihre Haare sind verfilzt. Sie stinken, sind ungewaschen und wollen immer alles billig. Dabei könnten sie kleine Diebstähle, höhere Preise und Abzockereien doch einfach als das sehen, was sie sind: Kleine Wiedergutmachungen für die Kolonialzeit oder Beiträge zur Entwicklungshilfe! Lakshmi legte sich jetzt ins Zeug: Kein einziges Zimmer in ganz Delhi, das sei die Wahrheit. Aber er hätte da einen Vorschlag: Eine kleine Tour in den Norden nach Kashmir, der schönsten Region Indiens! Mit Wanderungen, Ausflügen – alles gut organisiert von seinem Onkel für nur 500 Dollar! Noch heute Nacht könne er nach Norden aufbrechen. Lakshmi redete und redete. Bald hatte er das Bleichgesicht weich geklopft. Sie waren immer müde, wenn sein Cousin sie zu ihm brachte. Müde, angeschlagen und unsicher: Opfer eben. "We say in India Cashmere is paradise!" „I want my hotel. I don’t wanna go to fucking Cashmere“, sagte das Bleichgesicht. Lakshmi grinste. „No hotel, Mister. Everything booked out.“ „I want my hotel.“ „Mister“, sagte Lakshmi. Es fehlte nur eine Unterschrift und das Bleichgesicht würde noch heute von seinem Onkel nach Kashmir gebracht werden. 500 Dollar für eine Tour, die nicht mehr als 100 Dollar wert war! Die ganze Familie hätte genug Geld für zwei Monate! „I want my hotel“, sagte das Bleichgesicht wieder. Und dann wiederholte es diesen Satz immer wieder – wie ein kleines trotziges Kind. „I-want-my-hotel-iwantmyhotel-iwantmyhotel!“ Er merkt nicht einmal, wie lächerlich er sich dabei machte, dachte Lakshmi. Er ist ein Idiot, ein dummer, bleicher Idiot mit einer Fettschicht auf dem Gesicht. Nur leider ist er sehr stur. Lakshmi wusste, bei diesem Fettgesichtesel war nichts mehr zu machen. Er überlegte kurz, machte einen Anruf und sagte dann zu dem Bleichgesicht: „You are very lucky – my uncle has one room left.“ Das Bleichgesicht verschwand mit Lakshmis Cousin und Lakshmi legte sich wieder auf die zerschlissene Matratze im Hinterzimmer, um noch ein, zwei Stunden zu dösen. Es würden neue Bleichgesichter kommen. Das war so sicher, wie das Aufgehen der Sonne am Ende der Nacht. Jeden Tag kommen sie, stinken, sind dumm und zahlen. Am nächsten Tag wachte ich in einem überteuerten Hotel am Stadtrand auf. In der Lobby lernte ich drei Kanadier kennen. Der Hotelier musste lachen, als wir ihn fragten, was es mit diesem Feiertag auf sich habe. Wir nahmen uns ein Taxi in die Innenstadt und suchten uns in ein billiges Zimmer.

Text: philipp-mattheis - Illustration: katharina-bitzl

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