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Auf dem Banana-Pancake-Pfad 8: Alleine

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Eine Woche alleine verläuft in etwa so: Am ersten Tag fällt es dir gar nicht auf. Am zweiten Tag fühlt sich deine Zunge ein wenig taub an, als wärst du fünf Stunden zuvor Zahnarzt gewesen. Kurz vor dem Einschlafen fällt dir auf, dass du den ganzen Tag kein Wort gesprochen hast. Am dritten Tag denkst du Gedanken, für die du noch nie Zeit hattest; an Mädchen, in denen du in der siebten Klasse verliebt warst, zum Beispiel. Du krallst dich an solchen Gedanken fest, weil dir langsam ein bisschen mulmig wird. Du kaust sie durch und wieder, betrachtest sie aus allen möglichen Perspektiven. Am vierten Tag hast du Angst durchzudrehen oder zumindest eine kleine Neurose davonzutragen, ein Sprachfehler, einen komischen Tick oder eine Verhaltensstörung zum Beispiel. Am fünften weißt du, dass das nicht passieren wird. Scheiße ist es trotzdem. Am sechsten ist dir unendlich langweilig und am siebten Tag triffst du wieder jemanden. Du freust dich über jeden. Wirklich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als ich Jurek zum ersten Mal sah, trug er eine Sonnenbrille, Turnschuhe und eine Unterhose. Er ging auf der gegenüberliegenden Straßenseite und kümmerte sich nicht um die einheimischen Mexikaner – allesamt zwei Köpfe kleiner als er -, die mit dem Finger auf ihn zeigten. Als er mich sah, schrie er etwas, das ich nicht verstand und rannte auf mich zu. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Vor mir stand ein fast nackter tschechischer Riese und redete auf mich ein. „Wo sind deine Klamotten?“, fragte ich ihn auf Englisch. „Im Waschsalon“ „Alle?“ Jurek reiste seit zwei Monaten durch die USA und Mexiko – mit zwei Tshirts, einer Hose und zwei Unterhosen. Er fragte mich, wohin ich als nächstes fahre. Ich sagte Vera Cruz, und er sagte, gut, gib mir deine Email-Adresse. Ich schickte ihm die Adresse meines Hotels. Fünf Tage später klopfte es spät nachts an der Tür. Ein Mexikaner schrie „Senor, Senor“ und „Amigo, Amigo!“. Als ich im Halbschlaf die Tür öffnete, stand Jurek vor mir. „Wie viel kostet das Zimmer?“ „80 Peso“, antwortete ich. „Gut, 40 für jeden.“ Dann legte sich Jurek in mein Bett und schlief ein. Der Tscheche war sehr groß, stank und er schnarchte in meinem Bett. Sein Frühstück bestand aus einer Cola, einer Tasse Kaffee und zwei Zigaretten.Unter normalen Bedingungen hätte ich Jurek gehasst, aber ich war seit einer Woche alleine unterwegs und ausgehungert nach menschlichem Kontakt. Ich meine, nichts Anzügliches oder so, ich wollte nur gerne mal wieder mit jemanden sprechen, der nicht 1,50 Meter groß ist und dessen Spanisch wie ein Maschinengewehr klingt. In manche Länder kann man alleine fahren, in andere nicht. Thailand zum Beispiel geht alleine nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass in Thailand eh Hinz und Kunz Urlaub macht, ist Thailand voller Pärchen. Thailands Strände sind ein einziges klimatisiertes Liebesnest. Wer alleine ist, stört – schon alleine durch sein singuläres Anwesenheit. Führt er den Pärchen doch vor Augen, dass ihr Gesellschaftsmodell nicht das einzige ist. Neuerdings trifft man in Thailand auch Gruppen, Jungs, mit Tshirts, auf die einheimische Biermarken gedruckt sind und die gerade Abitur gemacht haben. Mit Vietnam ist es dasselbe, wenn nicht noch schlimmer. Weder die Gruppen, noch die Pärchen haben Interesse, jemanden kennenzulernen. Alleine reisen ist dann schlimm, wenn alle anderen nicht alleine sind. Sonst ist alleine zu reisen immer besser. Es gibt niemanden, der nörgelt, quängelt, schlecht gelaunt ist, zu lange braucht, sein Frühstücksei mit Butter isst, woanders hin will, stinkt oder mit Frauen schläft, mit den man selbst gerne schlafen würde. Alleinreisende werden nicht öfter belästigt, ausgeraubt oder vergewaltigt als andere. Die Menschen, die man alleine trifft, lernt man nur kennen, weil man eben ist, wie man ist. Man lernt sie nicht kennen, weil jemand anderes sie anquatscht oder weil sie unsere Freunde interessant finden. Es sind – und das klingt jetzt ein bisschen nach Erich Fromm – echte Begegnungen. Jurek und ich reisten die nächsten vier Wochen zusammen, wir feierten Weihnachten in einer Bar, mussten dann die Zeche zahlen, zerstörten versehentlich ein Hotelzimmer, tranken Schnaps auf der Ladefläche eines Pickup-Trucks, um uns aufzuwärmen, stiegen auf eine Pyramide und fuhren an die Pazifikküste. Dort wollte Jurek plötzlich kein Hotelzimmer mehr mieten, sondern lieber in seinem eigenen Zelt übernachten. Am nächsten Tag aßen wir noch einmal zusammen Mittag. Dann war er weg. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Aber das macht nichts.

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