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Appeal for Redress: Ein US-Soldat kämpft für den Abzug aus dem Irak

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Du entsprichst als Uniabsolvent und Politaktivist nicht unbedingt den Klischees, die man von einem Soldaten hat. Warum hast du dich entschlossen, zur Navy zu gehen? Nur wegen des Geldes Nun, Bildung ist in Amerika kein Grundrecht, sondern ein Privileg. Ich wollte die Schulden nach dem Abschluss meines Studiums nicht über dreißig Jahre hinweg in Raten abbezahlen, sondern sie möglichst schnell loswerden. Daher habe ich beschlossen, mich bei der Navy zu verpflichten. In diesem Fall übernimmt die Navy die Rückzahlung deines Studentendarlehens, bis zu 60.000 Dollar bei einer Dienstzeit von fünf Jahren. Außerdem möchte ich noch meinen Master machen und brauche dafür Kapital. Und ich wollte reisen. Die Navy gibt mir die Möglichkeit, etwas von der Welt zu sehen. Es gibt also viele Gründe. Ich wollte auch etwas Struktur in mein Leben bringen und mal einen anderen Weg einschlagen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie viel Redefreiheit hat man, wenn man in der Army oder der Navy ist? Wenn du in den USA beim Militär bist, ist deine Redefreiheit zwar begrenzt, aber nicht völlig ausgelöscht. Wenn ich begrenzt sage, meine ich damit, dass du dich nicht für einen bestimmten politischen Vorschlag oder ähnliche Dinge engagieren darfst, wenn du deine Uniform anhast und im Dienst bist. Was du nie machen darfst, egal ob mit oder ohne Uniform, ist, den Oberbefehlshaber oder einen hohen Offizier zu verleumden. Was du aber auf jeden Fall darfst, vor allem in deiner Freizeit, ist, mit einem Kongressabgeordneten zu reden, ohne dass du dafür die Erlaubnis deines Vorgesetzten brauchst oder dir Repressalien gefallen lassen musst. Der „Appeal for Redress“, also der Aufruf zur Wiedergutmachung, soll US-Soldaten die Gelegenheit geben, ihren Kongressabgeordneten dazu aufzufordern, die Truppen aus dem Irak zurückzuholen, sie gut zu versorgen, wenn sie wieder zuhause sind, und den Irakern Reparationen zukommen zu lassen. Kennen die Soldaten ihre Rechte denn überhaupt? Das Militär in Amerika ist so was wie ein Mikrokosmos der Arbeiterklasse. Die meisten, die dort beschäftigt sind, haben ein gewisses Maß an Angst, was die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes und die Versorgung ihrer Familien betrifft. Nein, ich denke nicht, dass sich die Mehrheit von ihnen über ihre Rechte und ihre Pflichten als Bürger dieses Landes bewusst ist, abgesehen davon, dass man sich als Wähler registrieren lassen und zur Wahl gehen muss. Aber Wählen ist nun mal nicht der einzige Weg, um an einer demokratischen Gesellschaft teilzuhaben. Der „Appeal for Redress“ soll den Bediensteten des Militärs nicht nur Bildung und Inspiration verschaffen, sondern sie auch darüber aufklären, dass man mit der Vereidigung seine verfassungsmäßigen Grundrechte nicht aufgibt. Wenn du diesen Eid leistest, verpflichtest du dich ja dazu, diese zu verteidigen, aber gleichzeitig sollte er auch beinhalten, dass du sie förderst und für sie wirbst. Warum hast du dich dazu entschlossen, deine persönliche Meinung zum Irakkrieg öffentlich zu machen? Als ich mich dem Militär angeschlossen habe, das war im Januar 2004, hatte ich wie viele andere junge Leute gewisse Vorbehalte und Zweifel im Hinblick auf diesen Krieg. Gleichzeitig wurde ich natürlich angestellt, um bei der Operation „Iraqi Freedom“ mitzuhelfen. Angesichts der kommenden Truppenverstärkung um 20.000 Soldaten könnte es sein, dass viele von uns, auch bei der Navy, vielleicht in den Irak müssen. Das Programm nennt sich „Indiviual Augmentee Program“. Unter diesen Umständen sehe ich mich gezwungen, mich für den politischen Diskurs in diesem Land zu engagieren und zwar auf der Basis meines Gewissens und meiner Verbundenheit mit diesem Land, das ja auf dem Recht begründet wurde, sich für das Recht einzusetzen. Das ist doch das Konstruktivste, was ich tun kann, wenn ich mit der Politik unzufrieden oder enttäuscht bin. Warum bist du persönlich gegen diesen Krieg? Ich glaube nicht, dass die irakische Bevölkerung und auch das Regime von Saddam Hussein eine Bedrohung für die arbeitenden Männer und Frauen in den USA dargestellt haben. Zweitens denke ich, dass die Summe von 350 Milliarden Dollar nicht angemessen ist angesichts der Herausforderungen, mit denen Amerika konfrontiert ist. Drittens meine ich, dass es kein amerikanisches oder irakisches Leben wert ist, für das geopfert zu werden, um was es angeblich in diesem Krieg geht: Es wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Der Sturz des Regimes und die anschließende Exekution Saddam Husseins haben weder das Leben der irakischen Bevölkerung verbessert noch das der amerikanischen. Kürzlich ist eine Studie der Johns Hopkins-Universität erschienen, die schätzt, dass etwa 650.000 irakische Männer, Frauen und Kinder als Folge dieses Kriegs ums Leben gekommen sind. Ich habe ehrlich gesagt das Gefühl, dass niemand mehr kapiert, warum wir noch da drüben sind. Was hatten denn die anderen Militärangehörigen für Gründe, den Aufruf zu unterschreiben? Da gibt es ein ganz breites Spektrum. Manche hatten politische Gründe, andere persönliche, wieder andere religiöse oder moralische. Sie alle eint die Überzeugung, dass dieser Krieg in den Augen der amerikanischen Bevölkerung nicht gerechtfertigt ist. Wir haben doch erst kürzlich mitangesehen, dass im Kongress eine andere Partei an die Macht gekommen ist. Und obwohl der „Appeal for Redress“ eine parteiunabhängige Initiative ist, müssen wir feststellen, dass der Machtwechsel das Resultat des Abscheus und der Enttäuschung der US-Bevölkerung ist, was die Situation im Irak angeht. Für diesen Wahlausgang war sicher nicht die Wirtschaftslage verantwortlich. Es gab in den Sechzigern schon mal eine Protestbewegung innerhalb des Militärs, damals gegen den Vietnam-Krieg. Wie sehr bist du inspiriert von dieser so genannten „GI Movement“? Die Idee für unseren Aufruf ist inspiriert von der „GI Movement“, insbesondere vom Buch „Soldiers in Revolt“, das ein gewisser David Cortright geschrieben hat. Er selbst hatte sich in den späten Fünfzigern bei der Armee verpflichtet und wurde dann ein aktives Mitglied der Protestbewegung. Ich habe das Buch gelesen, als ich auf einem Flugzeugträger vor der irakischen Küste stationiert war, und habe danach Kontakt zu David Cortright aufgenommen, der mittlerweile Friedensforscher ist. Wir haben ihn nach Virginia eingeladen, um dort eine Rede zu halten. Dort entstand dann ein Dialog darüber, wie man als Militärangehöriger seine Regierung konstruktiv zur Umkehr bringen kann. Das Ergebnis ist dieser Aufruf. Was ist der Unterschied zwischen der Bewegung von damals und der von heute? Die Bewegung damals war keine homogene Bewegung, in der alle die gleichen Ziele hatten und die gleiche Taktik. Es gab die einen, die mit den Politikern zusammenarbeiten wollten, und es gab andere, die es für sinnlos hielten, sich an Politiker zu wenden. Ein Unterschied ist auch, dass wir nicht gegen das Militär an sich sind. Wir drängen niemanden dazu, zu desertieren, oder sich den Befehlen zu widersetzen. Wir sagen den Leuten immer, dass sie vertrauensvoll unseren Aufruf unterschreiben können. Wir veröffentlichen ihre Namen auch nicht. Die einzigen Menschen, die ihre Namen zu lesen bekommen, sind die jeweiligen Kongressabgeordneten. Bereust du es manchmal, dass du dich verpflichtet hast? Nein, ich bereue das nicht. Ich mache einen Unterschied zwischen den einfachen Leuten und der Regierung. Ich glaube nicht, dass die Leute, die beim Militär für dieses Land dienen, schlechte Absichten haben. Aber ich denke, dass es gewisse Politiker gibt, die nicht unbedingt das Wohl der Bevölkerung im Sinn haben, insbesondere nicht das der Militärangehörigen. Du bist generell ein Mensch, der sich gegen Unrecht wehrt, zum Beispiel auch gegen Rassendiskriminierung innerhalb der Streitkräfte. Bist du so was wie ein Enfant Terrible innerhalb des Militärs? Ich bin sicherlich nicht der typische Rekrut. Das heißt jetzt aber nicht, dass die Themen, die ich ansprechen konnte, zuvor niemals angesprochen wurden. Aber wir leben nun mal im Jahr 2007. Kein Afroamerikaner, der beim Militär seinen Dienst verrichtet, sollte Witze über Galgen oder Kommentare über Lynchings ertragen müssen. Ich habe so was in der Navy miterlebt, eine Kombination von fremdenfeindlichem und rassistischem Benehmen. Weil wir das Bewusstsein dafür schärfen konnten, hat sich die Situation geändert. In meiner Zeit als Aktivist habe ich gelernt, wie man auf konstruktive Weise Autoritäten konfrontiert, so dass die sich gezwungen sehen, ihr Verhalten zu ändern. Es ist nicht mehr 1966 und die Lehren, die aus dem Kampf um die Bürgerrechte gezogen wurden, sollten weiterhin helfen, dieses Land vorwärts zu bringen. Foto: Helen Jones

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