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Basishelden: Einsteigen, bitte - "Bahn für Alle"

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Was ist das Problem? Das Problem ist, dass mit dem Börsengang der Bahn eine beispiellose Verschleuderung öffentlichen Eigentums zur Diskussion steht. Zwei Modelle werden diskutiert. Entweder soll die Bahn als ganzes Stück, also mit Schienennetz, verkauft werden. Für ungefähr 18 Milliarden Euro, obwohl sie 130 Milliarden Euro wert ist. Das ist grotesk. Aber auch das andere Modell, bei dem nur die Transportgesellschaften, also das so genannte rollende Material, verkauft werden soll, ist absurd. Obwohl der Wert 20 bis 25 Milliarden Euro beträgt, läge der Verkaufspreis zwischen fünf und sieben Milliarden Euro. Nach der Privatisierung würden die Staatszuschüsse in gleicher Höhe erhalten. Das bedeutet im Klartext, dass wir erst unser in 170 Jahren aufgebautes Schienensystem an private Investoren verschenken und danach bezahlen wir mit unseren Steuergeldern ihre Rendite. Die Fahrpreise würden sich erhöhen. Selbst Bahnchef Mehdorn hat in Interviews gesagt, dass nach einer Privatisierung die Fahrpreise sicher nicht sinken würden. Warum, denkst du, plant die Bundesregierung dann den Börsengang? Einmal ist Herr Steinbrück scharf darauf, die Milliarden für seinen Haushalt zu bekommen, wobei da absurd wenig zusammenkommt, wenn man die Zahlen in Relation zum Volumen eines normalen Bundeshaushalts setzt. Zum anderen gibt es auch die Vorstellung, dass die Bahn durch mehr Wettbewerb leistungsfähiger und effizienter werden könnte. Dabei existieren ganz viele Beispiele, dass das gar nicht so stimmt. Man kann jeden Engländer fragen. Alle sind ganz bestürzt, was nach der Privatisierung mit ihrer Bahn passiert ist. Es gab Fahrplanchaos und mehrere schwere Unfälle, weil Sicherheitsstandards nicht eingehalten wurden. Und Bahnfahren ist im Endeffekt auch teurer geworden. Wenn man sich hingegen die Schweiz anguckt, wo die Bahn noch vollständig in öffentlicher Hand ist, stellt man fest, dass die Schweizer Bahn mit den niedrigsten öffentlichen Zuschüssen in ganz Europa auskommt. Die Schweizer fahren pro Kopf ungefähr doppelt so viel Bahn wie die Deutschen. Das ist ein Erfolgsmodell, wird aber von der Bundesregierung gar nicht in Betracht gezogen. Aber die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) fahren riesige Verluste ein, und Chaos gibt es da auch. In letzter Zeit haben Stromausfälle die SBB immer wieder lahm gelegt. Mit dem Vorbild Schweiz meinen wir nicht nur die SBB allein. Die wickelt dort ja auch nur circa die Hälfte des Verkehrs ab. Uns geht es um das Modell an sich: Viele kleinere Bahnen sind dort in der Hand der Kantone. Damit haben die BürgerInnnen, um deren Mobilitätsbedürfnisse es geht, selbst die Kontrolle über die Bahn. Es kann sicher sein, dass auch in der Schweiz nicht alles reibungslos funktioniert. Aber ich kann es nur wiederholen: Trotz der deutlich schlechteren geographischen Bedingungen fahren in der Schweiz doppelt so viele Menschen mit der Bahn wie in Deutschland. Wer sind die Bösen? Der Gegner ist auf jeden Fall die Regierung der Großen Koalition. Die treiben das mit aller Kraft voran. Im Bundestag gibt es inzwischen erhebliche Skepsis, aber die Regierung will das durchdrücken und stellt sich damit klar gegen den Willen der Bevölkerung. Eine Forsa-Umfrage von Mai hat gezeigt, dass nicht mal ein Drittel der Bundesbürger für den Verkauf der Bahn ist. Aber Bahnchef Mehdorn scheint wie besessen von dem Gedanken, die Bahn jetzt endlich an die Börse zu bekommen, um sie zum Global Player zu machen. Aber warum soll die Bahn zum Global Player werden, wenn sie doch einfach nur hierzulande Menschen befördern soll? Was macht Ihr dagegen? Das Bündnis, dem ja verschiedene Organisationen angehören, darunter Attac, BUND und Robin Wood, hat eine breite Palette von Protestformen entwickelt. Es gab verschiedene spektakuläre Aktionen. Zum Beispiel haben im Juli Aktivisten von Robin Wood und Attac vom neuen Berliner Hauptbahnhof ein großes Transparent entrollt, auf dem draufstand: „Bahn für alle statt Profite für wenige“. Was Ähnliches gab’s in Leipzig. Aber wir machen auch ganz viele dezentrale Aktionen, von der Unterschriftensammlung bis zum Straßentheater. Und unter Bahn für Alle kann man seinem lokalen Bundestagsabgeordneten die Meinung zur Privatisierung der Bahn mitteilen. Was habt Ihr bisher erreicht? Ein großer Erfolg ist, dass diese dritte Position, also die Frage, ob die Bahn überhaupt an die Börse muss, jetzt endlich gehört und in der Öffentlichkeit vermehrt diskutiert wird. Es ist inzwischen so, dass im ehemals geschlossenen Regierungslager immer mehr kritische Stimmen laut werden, die finden, dass die Bahn eigentlich gar nicht verkauft werden müsste. Lothar Mark, ein SPD-Bundestagsabgeordneter, hat zum Beispiel explizit gesagt, dass er den Börsengang verhindern möchte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Chris Methmann Die Bahn hat sich aus verschiedenen Regionen in Deutschland zurückgezogen und ganze Strecken still gelegt, wobei dann oft andere private Anbieter eingesprungen sind. Ist die Privatisierung der Bahn nicht notwendig, weil die Bahn einfach nicht mehr das leisten kann, was sie früher geleistet hat? Das würde ich so nicht sagen. Zum einen muss man sich immer vor Augen halten, dass das, was wir in den letzten zehn Jahren erlebt haben, passiert ist, um die Bahn fit für die Börse zu machen. Das ist ein Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, wenn die Bahn erst mal an der Börse ist. Das bedeutet eben, dass sich die Bahn nur auf betriebswirtschaftlich rentable Strecken konzentriert. Das sind eigentlich hauptsächlich die zwischen den Metropolen, und die Bahn in der Fläche wird dann abgehängt. Aber was ist gegen private Bahnen einzuwenden? In Gegenden, in denen es sie gibt, kommen sie teilweise sehr gut an, weil die Züge moderner und auch pünktlicher sind. Das Argument hört man oft, aber das sind zumeist sehr oberflächliche Effekte. Die privaten Bahnen sind allesamt im Nahverkehr zu finden. Dort werden die Kosten aber zu 70 Prozent aus den Regionalisierungsmitteln, sprich: vom Bund finanziert. Dass bei solchen Zuschüssen die privaten Bahnen erfolgreich wirken, verwundert nicht - gerade im Kontrast zu einer Bahn, die mit dem Ziel Börse am Service spart, wo sie nur kann. In Großbritannien hat man jedoch ganz andere Erfahrungen mit den Privaten gemacht: Die Connex, hierzulande der größte Konkurrent der DB, hat dort auf einzelnen Strecken die Lizenz zur Personenbeförderung wieder verloren - aufgrund von Sicherheitsmängeln und dem steigenden Bedarf nach öffentlichen Zuschüssen. Das soll aber nicht heißen, dass wir gerne die zentralisierte Staatsbahn behalten wollen. Regionale Anbieter hierzulande, die in öffentlicher Hand sind, wirtschaften sehr effizient und sind erfolgreich. In diese Richtung sollte eine Bahnreform wirken. Wann hättet Ihr Euer Ziel erreicht? Unser Ziel ist dann erreicht, wenn sich der Bundestag im Oktober gegen einen Verkauf der Bahn ausspricht und gleichzeitig den Auftrag an die Bundesregierung erteilt, zu prüfen, wie denn eine moderne und effiziente Bahn in öffentlichem Eigentum realisierbar ist. Es gäbe aber auch die Möglichkeit, dass der Bundestag im Oktober entscheidet, die Entscheidung erst mal auszusetzen und weiter zu prüfen, was die Bahnprivatisierung eigentlich bringen soll. Wie passt der kleine Konflikt ins große Bild? Erstens ist es ein Paradebeispiel dafür, wie unsinnig und ideologisch Privatisierungen im Allgemeinen sind. Die Bahnprivatisierung wäre die größte in der Geschichte der Bundesrepublik und hätte damit natürlich auch eine große Signalwirkung, also das wäre so eine Art Dammbruch, denke ich, wenn auch das letzte große Staatsunternehmen verkauft wird. Das könnte dann auf viele kleinere Privatisierungen ausstrahlen. Fotos: Bahn für Alle

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