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Krone der Schöpfung oder: Wenn Ich+Ich die Menschheit auslöschen.

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Ich bin mit einem Ohrwurm aufgewacht, und das ist meistens schlimm. Früher habe ich mich noch von einem Radio wecken lassen, da war es manchmal noch furchtbarer – ich habe einmal einen Tag mit der Liedzeile „Weil hier keiner seinen Hammer so gern hat / Ich bin der Presslufthammer … B-b-b-bernhard“ von Torfrock verbracht – dagegen war es heute nur so ungefähr Untersuchungshaft gegen Guantanamo: „So soll es sein so kann es bleiben …“ von Ich+Ich. Meiner ganz persönlichen Meinung nach ist das Lied schlimmer als kleinen Kindern Crack verkaufen, ich hasse es, aber ich sehe ein, dass meine Meinung nicht alles ist und ich muss es ja nicht hören. Jedenfalls dann nicht, wenn ich es nicht als Ohrwurm im Ohr habe und ständig in meinem Kopf höre, aber da kann nur ich was dafür, nicht Ich+Ich. Jedenfalls war ich gezwungen, den Text wieder und wieder durchzugehen: „So soll es sein so kann es bleiben, so hab ich es mir gewünscht / blabla / weil endlich alles stimmt …“ (oder so). Es ist eine Hymne auf die Zufriedenheit, oder den Wunsch nach Zufriedenheit, also vielleicht eher eine Abhandlung über die Unzufriedenheit. Und damit erklärt es in letzter Konsequenz, was uns als Menschen von allen anderen Lebewesen auf der Welt unterscheidet. Wir sind mit der Gesamtsituation unzufrieden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es gibt im Kern zwei Weltsichten: Die eine sieht den Menschen als Mittelpunkt von allem, sie ist anthropozentrisch. Es gibt auch ein paar Theorien, warum der Mensch der Mittelpunkt von allem sein soll. Die älteste ist wahrscheinlich diese: Gott wollte es so, denn er schuf den Menschen als Krone der Schöpfung. Die zweite besagt: Weil der Mensch als einziges Lebewesen ein Bewusstsein hat. Und die dritte geht nach Douglas Adams ungefähr so: Weil der Mensch New York, Kriege und Digitaluhren erfunden hat, während Delfine nur im Meer herumhängen und spielen (übrigens halten sich Delfine ebenfalls für die Krone der Schöpfung – mit der exakt gleichen Begründung). Die Begründung mit Gott ist nicht von der Hand zu weisen, allerdings haftet ihr für immer der Nimbus an, dass sie vom Menschen gemacht oder zumindest interpretiert ist. Was Gott genau gesagt oder gemeint hat, darüber wird unter den Vertretern dieser Theorie (Weltreligionen, Fernsehprediger, Selbstmordattentäter) schwer gestritten. Richtig interessant ist dagegen Theorie zwei: Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, weil er ein Bewusstsein hat. Denn dieses Bewusstsein hat uns als Spezies neben Digitaluhren und New York vieles gebracht, das zur Auslöschung unserer eigenen Art führen könnte: Gier, Hegemoniestreben und Ich+Ich. Für alle anderen Spezies galt bisher immer: So soll es sein, so kann es bleiben. Kein Tier und keine Pflanze hat je irgendein Interesse gezeigt, andere Spezies oder gar die eigene auszurotten. Sie waren eigentlich immer alle ganz zufrieden. Aber das ist natürlich auch leichter, wenn man keinen Ohrwurm hat.

Text: michalis-pantelouris - Illustration: Katharina Bitzl

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