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Wie ich beinahe die Welt gerettet hätte: Heute: Batterien

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An einem verwaschenen Hamburger Morgen stand ich mit Thommy am Fenster und starrte auf einen Klumpen Dreck, der sich auf der Gehwegplatte im Regen zu pfützigem Matsch auflöste. "Warum", fragte ich ihn, "fangen eigentlich so viele Bluesstücke an mit I woke up this morning?" Thommy wärmte seine Seele an einer Kaffeetasse und blickte weiter in den Regen. Thommy ist Hamburger, er kennt 131 Sorten Regen. Aber anders als die Eskimos hat er nicht für jede Sorte ein Wort. Dieser Regen war weich aber bestimmt, also heftig ohne zu pladdern. "Weil", sagte Thommy dann bedächtig als Antwort auf meine Frage, "weil morgens die ganze Scheiße anfängt." Und da hatte er Recht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich weiß das, weil ich Batterien in der Tasche hatte. Alte Batterien. Seit Tagen. Die Batterien lagen in einer kleinen Schale auf dem kleinen Schränkchen, das in der Nähe der Wohnungstür steht, damit ich etwas habe, worauf ich meine Taschen ausleeren kann, wenn ich nach Hause komme. Jeden Morgen gehe ich dran vorbei und denke: "Eigentlich sollte ich mal die Batterien abgeben." Denn Batterien sind ekelhafter Sondermüll, und deshalb kann man sie problemlos in jedem Laden, der welche verkauft, zurückgeben. Das ist ein vernünftiges System. Nur kann ich mich nicht erinnern, das jemals gemacht zu haben. Denn jedes Mal, wenn ich Batterien mitnehme, komme ich garantiert tagelang in keinen Laden, in dem welche verkauft werden. Nicht einmal in den Supermarkt. Es ist eine Art Naturgesetz, so als würden die leeren Batterien in der Tasche mit einer Art Magnetfeld alle Gedanken ans Einkaufen löschen. Und dann, spätestens wenn ich das nächste Mal eine andere Jacke anziehen will, räume ich die Batterien zurück in die Schale. "Ich habe alte Batterien in der Tasche", sagte ich zu Thommy. Er sah mich an, als würde er mich verstehen. "Ich tue meine immer bei Malte in den Spind", antwortete er. Malte war ein Kollege von uns. "Aber ich weiß auch nicht, was Malte damit macht." Ich war ein bisschen entsetzt: "Malte? Du kannst doch Malte mit den Batterien nicht trauen!" Thommy war ungerührt. "Ich trau denen im Supermarkt auch nicht", sagte er. Wir haben das Problem damals nicht gelöst. Wir haben einfach nur dem Matschklumpen zugesehen, wie er nach und nach verschwand. Kurz darauf habe ich geheiratet, das kleine Schränkchen mit der Schale steht auch in unserer neuen, gemeinsamen Wohnung. Seitdem verschwinden die alten Batterien regelmäßig aus der Schale an der Tür. Ich frage nicht nach. Ich vertraue.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Autor ist Chefredakteur des Magazins IVY. Seine Kolumne „Wie ich beinahe die Welt gerettet hätte“, erscheint fortan jede Woche auf jetzt.de.

Text: michalis-pantelouris - Illustration: katharina-bitzl

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