Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Berlinkolumne. Tiere in der Stadt

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Und dann passieren eben doch manchmal so Sachen, die man sich vorher nicht so recht vorstellen konnte. Neulich, mittags: Ich laufe vom Schlesischen Tor nach Neukölln, um eine Freundin zu besuchen. Dabei quere ich den Görlitzer Park. Keine Ahnung, ob das jetzt der kürzeste Weg ist, aber er ist der schönste. Weil ich gleich zu Beginn an zwei meiner Lieblingsmöbelladen vorbeikomme. Weil auf dem Weg eine Bäckerei ist, bei der es die besten Schokocroissants Kreuzbergs gibt. Und weil nicht so viel los ist, man aber immer irgendetwas sieht.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zum Beispiel, und das verblüfft mich doch, einen Esel. Mitten im Görlitzer Park steht ein Esel. Er wirkt ein kleines bisschen derangiert, scheint aber prinzipiell guter Dinge zu sein. Er knabbert am Gras, schnauft, macht und tut. Vor dem Esel ist ein Zaun, und an dem gehe ich ein paar Meter entlang und stelle plötzlich fest: Da sind noch mehr Tiere. Schafe, Ziegen und irgendwas, was mit seinen langen Haaren so sortenmäßig genau dazwischen liegt. Außerdem meine ich, ein paar Hühner zu hören. Auf die ist der Blick allerdings durch eine Holzbaracke verstellt. Ich bin begeistert. Ein Streichelzoo, mitten in der Stadt! Zwei Minuten vorher wollten mir noch Jugendliche am Eingang des Parks die üblichen Drogen verkaufen, und jetzt so eine ländlich wirkende Idylle. Leider habe ich keine Zeit, da jetzt großartig rumzuschmusen oder irgendjemanden zu füttern oder wenigstens ein paar Fotos zu machen oder so, ich bin ja verabredet. Aber extrem guter Dinge laufe ich weiter. Die Berliner Tierwelt sieht eigentlich anders aus. Klar, Knut. Das Eisbärenwunder, für das die Leute einst stundenlanges Schlangenstehen in Kauf nahmen. Mit so Society-Tieren ist das aber ein bisschen wie mit Lieblingspullovern: Sie geraten irgendwann außer Form. Für Knut interessiert sich ein Jahr nach dem großen Hype kaum jemand mehr. Auf einer eigens eingerichteten Seite des RBB sieht man in kurzen Videoclips, wie er Tag für Tag orientierungslos durch sein Gehege planscht, sein stumpfes, langsam gelb werdendes Fell kratzt und ab und an einen Fisch knabbert oder sein Lieblingsspielzeug, ein großes Brett, von einer auf die andere Seite wirft. Er wirkt unruhig, ganz offenbar kommt er gar nicht klar damit, dass die Karawane weitergezogen ist. Einen Lichtblick gibt es aber noch: Jetzt, so steht's bei Wikipedia, soll ein Film über ihn gedreht worden. Übrigens mit Suri, dem Kind von Katie Holmes und Tom Cruise, die ja bestimmt auch bald Berliner sind, als Synchronstimme. Andernorts liest man schon seit geraumer Zeit, dass er nach Neumünster solle - back to the roots, quasi, denn aus einem Tiergarten in jener mir völlig unbekannten Stadt (kurze Recherche ergibt: liegt in Schleswig-Holstein, hat 77.000 Einwohner, ist Geburtsort von Christine Haderthauer und Austragungsort der "Nordbau", Nordeuropas größter Baumesse) stammt sein Vater. Das wäre ein herber Verlust, denn der Berliner Zoo scheint momentan bisschen Pech mit seinem Nachwuchs zu haben: Das "süße Springhäschen Sophie" (BILD) starb, ein Baby-Jaguar stürzte unglücklich vom Klettergerüst und musste eingeschläfert werden. Dass es im Aquarium neuerdings ein paar frisch geschlüpfte Störe gibt, scheint niemanden zu interessieren. Beim Essen erzähle ich meiner Verabredung von dem neu entdeckten Streichelzoo. Sie rührt mäßig interessiert in ihrem Milchkaffee herum und erklärt, dass es den ja schon eine ganze Weile lang gebe und er eigentlich eher so eine Art Kinderbauernhof sei, von dem ich vermutlich nur die eine, dem Weg zugewandte Seite gesehen hätte. Da würden Schulklassen aus der ganzen Stadt hingehen, um einmal zu erleben, wie so ein Schaf aussieht, was es isst, was es den ganzen Tag lang macht und was man im Gegenzug mit ihm machen kann. Das sei auch für Problemkinder eine total gute Sache - quasi eine enorm kostengünstige Alternative zu Delfintherapien. Man könne aber auch als Erwachsener Patenschaften für einzelne Tiere übernehmen. Da dürfte man dann alle paar Tage vorbeischauen und hätte gewissermaßen einen neuen besten Freund, der einen vorbehaltlos akzeptiert und nach ein bisschen Überzeugungsarbeit auch liebt, für den man aber auch Verantwortung übernehmen müsse. Eine Idee, die ich wirklich sehr schön finde, was ich vorsichtshalber diverse Male erwähne. Vielleicht bekomme ich so etwas ja zu Weihnachten geschenkt. Gibt es dort Hängebauchschweine? Ich würde sehr gerne ein bisschen Zeit mit einem Hängebauchschwein verbringen, das mich vorbehaltlos akzeptiert. Zwei Tage später spreche ich einen anderen Freund aus Kreuzberg auf meinen neuen Berliner Lieblingsplatz an. Der wiederum weiß weiteres zu berichten: Man könne, so sagt er, den Gemeinschaftsraum des Kinderbauernhofs für Veranstaltungen mieten. Kurze Recherche (schon wieder!) ergibt: Stimmt, auch wenn sich seine Berichte über eine Party, die dort vor Jahren stattfand und ein bisschen außer Kontrolle geriet, nicht ganz mit dem harmlosen Ausdruck decken, den die Homepage des Anwesens verwendet. Aber hey, so eine "Familienfeier" mit Ziege, Schaf, Huhn und Hängebauchschwein, das wäre schon was. Ich muss da am Samstag ohnehin vorbei und werde mal die Rahmenbedingungen checken.

Text: jochen-overbeck - Illustration: Katharina Bitzl

  • teilen
  • schließen