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Was ist los mit dir, Deutschland?

Foto: Crowdspondent

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Trump ist US-Präsident, die Briten verlassen die EU und in vielen Ländern der Welt scheint es eine Sehnsucht nach gepflegtem Diktatorentum zu geben. Aber in Deutschland wird schon alles beim Alten bleiben. Oder?

Wir sehen das anders: Dieses Land hat sich verändert. Im Herbst 2015 kamen wir von einer mehrmonatigen Recherche aus dem Ausland zurück. Natürlich hatten wir online verfolgt, wie am Münchner Hauptbahnhof Flüchtlinge mit Klatschen und Teddybären begrüßt wurden, wie die AfD stärker wurde und wie die alten Parteien darauf irgendwo zwischen unbeholfen und kämpferisch reagierten. Trotzdem überraschte uns die politische Wut und die Wucht, mit der diese Wut auftrat, als wir zurück in Deutschland waren. Wir fanden ein zerrissenes Land vor, ein Land, in dem der Ton deutlich rauer geworden ist. Freunde erzählten uns, dass sie mit ihrer Familie aus Angst vor Streit nicht mehr über Politik sprechen.

Man kann die AfD belächeln, direkte Demokratie verteufeln, die immer ätzender werdende Diskussionskultur in sozialen Netzwerken ignorieren und es sich im „Uns geht’s doch hier echt gut - Modus“ in seiner eigenen Filterblase bequem machen. Oder man setzt sich ernsthaft damit auseinander, was eigentlich hinter den benannten Phänomenen steckt, wo die in vielen Ecken des Landes spürbare Unzufriedenheit herkommt und was dagegen getan werden kann.

Genau das haben wir versucht.

Wir haben uns gefragt: „Was ist eigentlich los mit dir, Deutschland?“ und seit Herbst 2016 in ganz Deutschland Antworten auf diese Frage gesucht. Mit unserem Recherche-Projekt „Crowdspondent - Deine Reporter“ haben wir uns von Usern die Agenda vorgeben lassen. Unser Konzept beruht darauf, dass nicht eine Redaktion die Themen vorgibt, sondern unsere Zuschauer und Leser. Die Crowd ist der Boss.

Auf diese Weise haben wir zuvor schon in Japan und Brasilien recherchiert, Favelas in Rio de Janeiro erkundet und nachgesehen, wie es den Bewohnern von Fukushima geht, die 2011 aus dem Sperrgebiet rund um das Atomkraftwerk evakuiert worden sind. Und wir sind auch schon einmal durch Deutschland gereist, 2014, drei Monate lang. Damals wurde "die Mannschaft" gerade Fußball-Weltmeister, überall hingen Deutschlandflaggen, es wurden weniger politisch motivierte Gewalttaten verübt und es gab noch nicht solche Massen von Hass-Kommentaren in sozialen Netzwerken.

Was hat sich seitdem verändert? Was muss vor der Bundestagswahl unbedingt noch diskutiert werden? Für die Themensuche haben wir in Facebook-Livekonferenzen und auf der Straße mit Leuten darüber gesprochen, welche politischen Themen sie wichtig finden, was sie von Medien und Politik erwarten und welche Meinungen ihnen in der aktuellen Debatte fehlen - und zwar unabhängig von Tagesaktualität, Klickoptimierung und Zeitdruck. Und ja, auch unabhängig von unseren persönlichen Wohlfühlbereichen. Danach sind wir losgezogen und haben diese Vorschläge nach Möglichkeit umgesetzt.  

Wichtig war uns: Politikjournalismus heißt für uns nicht, dass Politiker die Themen setzen, sondern die Wähler das Agenda Setting übernehmen. Und dass nicht wir als Journalisten den anderen unser Weltbild darlegen, sondern dass wir versuchen, zu verstehen, wie sich das Weltbild der anderen konstruiert. Wir wollten auch die mitreden lassen, die sich sonst nicht mehr zu Wort melden, die aus dem öffentlichen Diskurs rausgeflogen sind wie aus einem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel. Weil die Redundanz sie ermüdet und weil sie keine Lust haben, für ihre Meinung beleidigt zu werden.

Vorfinanziert wurde diese Recherche per Crowdfunding. Herausgekommen sind zehn Themen, mit denen wir uns genauer beschäftigt haben und für die sich Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Positionen interessieren: 

  • Wie kommt die deutsche Rüstungspolitik zustande?
  • Warum haben junge Politiker so schlechte Chancen, in den Bundestag zu kommen?
  • Wer lebt in Deutschland auf der Straße?
  • Wie können wir die Diskussionskultur wieder in den Griff kriegen? 
  • Was bringt direkte Demokratie?
  • Welches Verhältnis hat der deutsche Staat zur Religion?
  • Welche Menschen gehen jeden Montag in Dresden zur Pegida-Demo?
  • Wie geht es den Menschen, die aufgrund von körperlichen oder seelischen Erkrankungen aus dem Arbeitsmarkt fliegen?
  • Wie klappt die Integration von Flüchtlingen?
  • Wie lebt man eine politische Utopie?

Antworten haben wir unter anderem von Merkel-muss-weg Demonstranten, Antikapitalisten, Rüstungsgegnern, Lobbyismus-Kritikern, Frührentnern, atheistischen Ex-Muslimen, Kältebusfahrern, Bürgerinitiativen, AfD-Fans, ehemaligen Ministerpräsidentinnen, Jungpolitikern, Dorfbewohnern und Obdachlosen bekommen. Wir haben aber auch den Schulzparteitag alias Bundesparteitag der SPD besichtigt, uns in das Bedingungslose Grundeinkommen hineingedacht und eine Intensivwohngruppe für Jugendliche erkundet.

 

Alle, denen wir begegnet sind, haben wir gefragt, was aus ihrer Sicht los ist, mit diesem Deutschland, und darauf oft Antworten bekommen, die man nicht bei einer Schreibtischrecherche erfährt.

In den kommenden Wochen werden die Videos zu den zehn Themen hier und auf unserem Blog erscheinen. Wir hätten sicher vieles anders machen können und haben häufig mit unserer journalistischen Rolle gehadert: Welche Themen wählen wir aus? Wie verhalten wir uns adäquat auf einer Merkel-muss-weg-Demo oder bei Pegida? Wie schneiden wir provokante Aussagen fair zusammen? Wie kommt man überhaupt in Kontakt mit den Menschen, die sich aus dem politischen Diskurs zurückgezogen haben – und wie holt man sie wieder zurück?

 

Uns interessiert, was ihr anders gemacht hättet, worüber ihr euch mit uns streiten würdet, aber auch, was euch daran gefällt und ob es Themen gibt, die euch noch fehlen oder um die wir uns in Zukunft kümmern sollen.

 

Feedback gerne an info@crowdspondent.de oder per Facebook, Twitter, Snapchat oder wo auch immer ihr euch im Internet herumtreibt.

 

 

Hier geht es zu den bereits erschienen Videos: 

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