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Streaming: Warum wir nichts mehr kaufen
Ist man offiziell erwachsen, wenn die ersten Kontogebühren fällig sind? Was haben Heels mit der Wirtschaftslage zu tun? Warum gehört der so genannten Gen Z nichts mehr? In ihrer Kolumne „Cash, Card oder Krise“ geht Lilian Schmitt den großen Finanzfragen ihrer Generation nach. In Folge 1: Streamen ist bequem, besitzen ist besser.
Ich liebe Musik. Wirklich. Ich zahle brav mein Streaming-Abo, bin sogar auf einen Dienst gewechselt, der angeblich fairer zu Künstler:innen ist. Trotzdem besitze ich nicht einen einzigen Song. Ich habe keinen CD-Player mehr, wahrscheinlich nicht mal eine CD.
Dabei bin ich mit Musik groß geworden. Damals, als meine Eltern für mich noch Songs bei iTunes für 99 Cent kauften und wir sie dann vom Familienrechner auf mein Handy gezogen haben. Ich erinnere mich an Bravo-Hits-CDs. Damals gehörte Musik noch wirklich mir.
Heute? Höre ich, was mir vorgeschlagen wird. Ich streame alles: Musik, Filme, Serien. Wenn ich meine Abos kündige, verliere ich alles. Vielleicht liegt genau darin das Dilemma meiner Generation. Die einen zählen mich – Jahrgang 1999 – noch zu den vermeintlichen Millennials, die anderen schon zur sogenannten Generation Z. Ich selbst zähle mich klar zur Gen Z: als ich auf die Welt kam, gab es Google schon, ich bin in den 2000ern aufgewachsen mit Internetanschluss, PlayStation 2 und dem iPod. In einer Welt, in der fast alles jederzeit abrufbar war. Und wenn alles immer verfügbar ist, warum sollte ich es dann noch besitzen?
Neulich habe ich meinen Musik-Streaming-Dienst gewechselt. Als ich mein altes Abo kündigte, war mir plötzlich klar: All die Jahre habe ich gezahlt und am Ende hat mir nichts gehört. Hätte ich von Anfang an Alben gekauft, hätte ich jetzt eine Sammlung. Stattdessen: nichts. Besitz ist für viele aus unserer Generation trotzdem ein Ziel, zumindest bei Dingen, die sich lohnen wie Immobilien und Aktien. Eigentum soll sich rechnen. Bei Kultur dagegen rechnet sich nichts. Sie hat keinen messbaren Gegenwert, keine Rendite. Deshalb sammeln wir Kultur nicht mehr, sondern streamen sie nur noch.
Ironischerweise galten Spotify und Netflix einst als Fortschritt: Statt gebrannter CDs und dubioser Downloads sollten Musiker:innen und Filmschaffende endlich fair vergütet werden. Ein Fortschritt, dachte man. Heute wissen wir: die meisten Musik-Streaming-Umsätze landen bei einem kleinen Prozentanteil der Artists. Als Spotify 2006 gegründet wurde, war ich in der ersten Klasse. Kultur wurde zugänglicher und bequemer. Doch für mich fühlt sich streamen manchmal leer an. Ich merke das, wenn ich Stunden damit verbringe, eine Serie oder einen Film zum Anschauen zu finden. Vielleicht liegt es daran, dass mir die Dinge nicht mehr wirklich gehören.
Laut einer repräsentativen Umfrage der Unternehmensberatung Simon-Kucher streamen 95 Prozent der Deutschen im Jahr 2025 Musik. Auch beim Video-Streaming ist das Abo-Modell Standard: 85 Prozent streamen regelmäßig und jede:r Dritte nutzt mehr als drei Plattformen. Viele zahlen somit mehrere Monatsbeiträge, ohne etwas zu besitzen.
Mit dem Streaming verändert sich auch unser Verhalten: Algorithmen optimieren, was wir hören und sehen. Aber sie pushen uns auch zu mehr Serien, mehr Musik, mehr von allem.
Die Bequemlichkeit, die uns besitzlos macht
Leider schätze ich aber nicht wirklich, wie viel mehr Auswahl ich heute habe. Ich bin nicht so dankbar für eine Netflix-Serie, wie früher für die die DVD-Box, die ich mir zum Geburtstag gewünscht habe. Und das Album, das ich letzten Monat vierzigmal gestreamt habe, rahme ich nicht ein. Ich weiß oft nicht mal, was ich am meisten gehört habe, bis „Spotify Wrapped“ es mir im Jahresrückblick im Dezember verrät.
Die Verhaltensökonomie hat sogar einen Begriff dafür: den Endowment-Effekt – auf Deutsch auch Besitz-Effekt genannt. Er beschreibt, dass wir Dingen mehr Wert beimessen, sobald sie in unserem Besitz sind. Ein gekauftes Album ist plötzlich nicht nur Musik, sondern Erinnerung. Ein Buch im Regal bedeutet mehr als ein E-Book. Und ein Mixtape mit handschriftlichem „for when you’re sad“ auf dem Cover berührt mehr als die x-te Playlist, die morgen schon vom Algorithmus ersetzt wird.
Wenn ich das so klar spüre, wieso ändere ich dann nichts an meiner Art des Konsumierens? Ich könnte meine Fotos auch einfach auf einer externen Festplatte sichern. Das wäre günstiger, als 2,99 € im Monat für iCloud zu zahlen. Aber ich tue es nicht. Weil es bequemer ist, sich an Apple zu binden. Weil ich keine Lust habe, meine Daten zu sortieren. Speicher zu mieten ist einfach. Sortieren ist anstrengend. Besitz bedeutet Verantwortung. Entscheidungen. Aufwand. Ein Abo ist dagegen: automatisch, monatlich, endlos. Ich konsumiere, ohne nachzudenken. Komfort ist das eigentliche Versprechen des Streamings: Alles sofort, alles überall.
Manchmal allerdings ist Aufwand auch etwas Schönes. Gerade bei physischen Dingen: Stadt-Bibliotheken zum Beispiel. Ich liebe sie. Dort kann ich nicht nur Bücher und Filme ausleihen, sondern auch Spiele, Mikrofone oder sogar Werkzeugkästen. Und trotzdem fühlt sich das anders an als Streaming. Weil ich mir bewusst etwas aussuche. Weil ich stöbere, statt zu scrollen. Der Aufwand verleiht dem Ausgeliehenen einen anderen Wert. Aber selbst das wird schnell unbequem, wenn das eine Buch schon vergriffen ist. Und ich vorher vielleicht wissen muss, was ich überhaupt will.
Und dann bleibe ich eben doch im Stream hängen. Wie alle anderen auch. Und am Ende konsumieren wir alle irgendwie alle dasselbe. Ich erinnere mich an mehrere Situationen, in denen ich dachte, einen ganz besonderen Song entdeckt zu haben, nur um dann festzustellen, dass meine Freund:innen exakt dieselbe Playlist hatten. Wir alle dachten, wir hätten etwas Eigenes gefunden. Dabei hatte Spotify es uns allen gleichzeitig unter „Made for You“ ausgespielt.
Ist das schlimm? Vielleicht nicht. Früher waren es Radiosender oder Musikzeitschriften, die vorgaben, was wir hörten. Heute sind es Algorithmen, die uns unsere „persönlichen“ Vorlieben servieren, während sie uns doch alle in dieselben Hörmuster lenken.
Ich streame, klar. Aber ich bin nicht komplett raus aus dem bewussten Musikhören. Ich besitze Alben, nur eben nicht als CD, sondern als Vinyl. Weil es retro ist. Ja zugegebenermaßen, auch weil es schöner aussieht. Ich gehe auf Konzerte. Ich investiere in Musik. Trotzdem fühlt sich Streaming anders an. Weniger verbindlich. Und ich mache weiter. Weil es bequem ist. Auch wenn ich weiß: Dabei geht etwas verloren.