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Sophia beim Chinesen. Heute: Feuerwerke auf meiner Haut?

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Lektion 5: Ausflug nach dorthin wo die Kunst wohnt Die Taxifahrer in Peking sollen sich auf Olympia 2008 vorbereiten und rechtzeitig ihr Englisch aufmöbeln. Soweit der Plan der chinesischen Regierung. Auf unserem Weg in das Künstlerviertel „Dashanzi“ im Nordosten der Stadt wünschen wir uns sehnlichst, dass das Vorhaben schon weiter gediehen sei: Leider hat der Taxifahrer noch nie etwas von Dashanzi gehört, auch wenn es zu den derzeit angesagten Vierteln der Stadt gehört. Unsere chinesischen Halbsätze und der englische Stadtplan helfen nichts. Schließlich rufen wir eine chinesische Freundin an - sie lotst den Taxifahrer per Handy zu dem orangenen Hochhaus, das den Eingang zum Künstlerquartier „798“ markiert. Hier prallen zwei Welten aufeinander. Die roten Backsteingebäude beherbergten früher einen „danwei“, einen staatlichen Großbetrieb, der in den 1950er Jahren von DDR-Experten entworfen wurde; dort wurden Munitions- und Rüstungsgüter hergestellt. Für die etwa 20.000 Arbeiter gab es Wohnungen, Schulen und sogar ein eigenes Theater. Dann kam die „Wirtschaftsreform“ und der Betrieb musste schließen. Künstler entdeckten das stillgelegte Fabrikgelände für sich. Heute beherbergen die Backsteinhäuser avantgardistische Galerien, Clubs und Ateliers von Künstlern. Als wir an diesem Sonntagnachmittag durch die schmalen Gassen laufen und nach den kleinen, versteckten Galerien suchen, sind wir nicht alleine. Fotografierende Kulturtouristen und potentielle Käufer scheinen das Viertel fast zu stürmen. Dashanzi ist populär geworden, das Fabrikgelände ist ein wichtiges Zentrum für junge chinesische Künstler. Chinas junge Kunst ist in den internationalen Galerien sehr gefragt. Auch ein deutscher Galerist, Alexander Ochs, hat im Viertel eine Galerie eröffnet: „White Space“. Dort ist derzeit eine Ausstellung des Künstlers Chen Shaofeng zu sehen. „The Voiceless people“ heißt sie und von den Wänden blicken Gesichter. Junge und alte Menschen. Manche mit zerfurchten Gesichtern, mit ernsten Blicken oder eher schüchtern, lächelnd. Sie scheinen Zwiesprache mit uns zu halten, so lebendig wirken sie.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es handelt sich um chinesische Dorfbewohner, mit denen sich der Künstler in mehreren Projekten beschäftigt hat. Für das Projekt „Dialog mit den Bauern von Tiangongsi“ ist Chen Shaofeng mit einer speziellen Doppelstaffelei durch die ländlichen Regionen Chinas gereist und hat Bauern porträtiert. Gleichzeitig hat er sie dazu aufgefordert, auch ihn zu porträtieren. So ist eine ganze Serie von Doppelporträts entstanden: Auf der einen Seite die professionellen Bilder des Künstlers von den einfachen Bauern, daneben die Zeichnungen der Bauern von Chen Shaofeng, die manchmal fast wie Kinderzeichnungen wirken.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In der Ausstellung sind mehrere der Projekte des Künstlers zu sehen. Sogar eine Porträtserie von deutschen Dorfbewohnern, die in Groß Leuten bei Berlin entstanden ist. Im Buchladen der Galerie entdecken wir schließlich kleine Karten, die jeweils nach den Konturen eines Astronauten ausgeschnitten sind. Eine Einladung zu einer Vernissage. „Soft Landing“ steht auf der Rückseite des kleinen Astronauten. Wenn wir dort dabei sein wollen, dann müssen wir uns beeilen, denn die Eröffnung ist am gleichen Nachmittag. Am Eingang der Tokyo-Galerie, einer der „großen“ und bekannten Galerien in Dashanzi, grüßt ein „echter“ Astronaut und streckt uns ein Sektglas entgegen. Der Astronaut passt gut ins Konzept: Das Innere der Halle ist in eine Landschaft verwandelt, die aus Sand und kleinen staub-spuckenden Vulkanen besteht. Wir wandeln durch diese künstliche Marslandschaft und wissen nicht so ganz, was wir davon halten sollen. Uns ist nach einem „Soft Landing“ im Café nebenan: Wir beenden unseren Kunst-Ausflug auf der Terrasse des Cafés mit einem richtig schönen, italienischen Latte Machiatto. Den findet man in Peking nämlich genauso selten wie einen Astronauten. Auf der nächsten Seite findet Sophia Erlösung - beim Herr der langen Spieße.


6. Lektion: Besuch beim Doktor für Traditionelle Chinesische Heilmedizin Mein Kopf brummt. Seit heute Morgen. Migräne-Attacke. Vielleicht ist auch der Sekt schuld. Davon gab es gestern auf der Geburtstagsfeier einer Mitpraktikantin eindeutig zu viel. Nicht einmal die zweite Aspirin will so richtig wirken. Dafür ruft mich schon zum dritten Mal meine chinesische Freundin Li an. Sie will mich davon überzeugen, dass es eine Lösung für mein Problem gibt: Den Arzt für traditionelle chinesische Medizin. Mit ein paar Akupunktur-Nadeln wären meine Kopfschmerzen ganz schnell beseitigt, erklärt sie mir am Telefon. Am Nachmittag hat sie mich soweit: Schlimmer als die Kopfschmerzen können die Nadeln nicht sein. Im Wartesaal der Klinik für traditionelle chinesische Medizin (TCM) nehme ich Platz und die Chinesen in der vollbesetzten Halle richten alle Blicke auf mich. Musterung. Zwei chinesische Mädchen neben mir beginnen zu kichern. Europäer gehen hier nicht gerade ein und aus. Eine Dame mit weißter Haube holt mich ab. Sie spricht Englisch und ist während der Behandlung meine Dolmetscherin. Doktor Zeng sitzt in seinem Zimmer hinter einem riesigen Schreibtisch. Darauf stapeln sich Bücher und Zettel. Er sieht fast ein bisschen verloren aus, wie er da hinter seinen Papierbergen hervorschaut. Er sieht wie ein weiser Mann aus, mit dem weißen Haaransatz und der randlosen Brille, die er jedes Mal, wenn er aufblickt, wieder auf der Nase zurechtrückt. Die Chinesin beginnt Doktor Zeng zu übersetzen, was mir fehlt. Er blickt mich mit einem ernsten Blick an, macht sich Notizen, stellt Fragen. Ob ich mich „hitzig“ fühle oder Durst habe, will er wissen. Meine chinesische Freundin hat mich darauf vorbereitet, dass der Doktor mir Fragen stellen wird, die mich überraschen. Und sie hat mir auch ein bisschen über TCM erzählt: Laut chinesischer Medizin ist der Mensch gesund, solange er sich im Gleichgewicht befindet. Ungleichgewicht bedeutet Krankheit. Im menschlichen Körper gibt es bestimmte Grundsubstanzen. Zum Beispiel das Xue, das Blut oder das Jin Ye, die Körperflüssigkeiten, oder Shen, den Geist, die Psyche. Das Blut wiederum besteht dann aus verschiedenen Yin (Substanz) und Yang (Energie) Anteilen. Das Yang bringt kann beispielsweise das Blut zum Fließen bringen. Mir soll´s genügen, wenn Doktor Zeng möglichst bald herausfindet, ob in mir noch genug Yang ist. Doch so schnell geht das in der chinesischen Medizin nicht. Zuerst will Doktor Zeng noch meinen Puls fühlen. Er blickt skeptisch und sagt etwas auf chinesisch zu meiner Dolmetscherin. „Dein Puls ist leer“, übersetzt sie. Hm? Sie führt mich in den Behandlungsraum nebenan.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dort bin ich nicht alleine. Zehn weitere Chinesen sitzen neben mir auf Bänken. Sie haben alle circa zehn Nadeln im Gesicht. Nicht, dass ich zu Hause noch keine Akupunktur-Nadeln gesehen hätte - aber bislang wusste ich nicht, dass es auch Varianten von circa fünf bis zehn Zentimetern gibt. Ein bißchen habe ich nun: Angst. Aber der Fluchtweg ist versperrt, Doktor Zeng steht in der Tür. Und ich befürchte, dass sich die chinesischen Leidensgenossen sehr amüsieren würden, träte ich nun den Rückzug an. Doktor Zeng rammt mir Nadeln in meinen rechten Nasenflügel, in meinen Nacken und in meinen Daumen. Es tut richtig weh. Und an den Hautstellen, in denen die Nadeln stecken, beginnt es zu kribbeln. Als ich die Augen wieder öffne, sitzen die anderen Patienten grinsend neben mir auf der Bank und beäugen mich interessiert. Bei ihnen scheint es mit dem Schmerzempfinden nicht so weit her zu sein. Wenn Doktor Zeng ihnen riesige Nadeln ins Gesicht sticht, zucken sie nicht mal mit der Wimper. Und es kommt noch schlimmer: Doktor Zeng zündet auf den Nadeln kleine Kegel an und auf dem Handrücken meines Nachbarn fängt es an, etwas zu qualmen. Ich bin geschockt. Doch wie ich nachher herausfinde, ist auch das ein Teil der Therapie, „Moxibustion“ genannt. Die Akupunkturpunkte werden erwärmt, indem „Moxakraut“ abgebrannt wird. Das ist eine Heilpflanze. Und diese wir in kleinen Kegeln auf die Akupunkturnadeln gesteckt. Bin froh, dass ich von einem kleinen Lagerfeuer auf meinem Handrücken verschont werde. Und bin erstaunt, dass der Schmerz tatsächlich gerade nachlässt. Nicht schlecht. Und, ämm: Was war Aspirin nochmal? +++

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sophia Seiderer +++

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