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Konversation mit Blinddarmnarbe

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Illustration: karen-ernst Balthasar umfasste mit festem Griff die Metallstange. Seine Hüften kreisten ungelenk, wie von einer unnatürlichen Kraft bewegt. Balthasar war nervös. Gleich sollte es soweit sein, gleich sollte er alles ausziehen. Langsam würde Balthasar erst das Hemd aufknöpfen. Dann die Hose abstreifen. Danach den Rest. Nackt, er würde vollkommen nackt dastehen. Der Strip stand kurz bevor.

Im Moment bemühte sich Balthasar noch verzweifelt, die äußerst unruhige Busfahrt zu überstehen, ohne vollkommen durchgeschüttelt zu werden. Das war nicht leicht. Denn der Mann am Steuer hatte vermutlich erst kürzlich von Schiffschaukelbremser auf Busfahrer umgeschult und sich noch nicht an die neuen Verkehrsverhältnisse gewöhnt. In wenigen Minuten - es waren nur noch vier Stationen – sollte Balthasar schon bei der Sauna ankommen. Genau genommen bei einer schwulen Sauna. In so einem Laden war Balthasar vorher noch nie gewesen. War es richtig, dass Balthasar Martins Einladung, gemeinsam in die Sauna zu gehen, angenommen hatte? Klar, Martin war ein netter Kerl. Martin stand nicht auf Balthasar und Balthasar stand nicht auf Martin. Das war großartig. Denn Balthasar brauchte ein paar schwule Freunde, die nur Freunde waren. Aber mussten sie sich in einer schwulen Sauna treffen? War das nicht ein seltsamer, unheimlicher Ort?

Kein Tamponfeuer

Während der Busfahrt wurde Balthasar einmal mehr klar: Ein Coming Out bedeutete, ständig neues Terrain zu erkunden. Tanzen zu gehen war anders als zuvor. Jemanden anzubaggern war anders. Auch in die Sauna zu gehen war anders, definitiv. Neu und aufregend. Aber zugleich eine nervliche Belastung. Manchmal fühlte Balthasar sich wie ein Dschungelcamp-Kandidat, der nie genau wusste, was seine nächste Aufgabe war. Doch zum Glück war Balthasar kein abgehalfterter D-Promi, der versuchen musste, seine Karriere wieder in Gang zu bringen, indem er erlernte, im Urwald mit Hilfe eines Tampons Feuer zu entzünden. Eigentlich, dachte Balthasar, war es gar nicht mal schlecht, ein durch und durch normaler schwuler Betriebswirtschaftslehre-Student zu sein.

Dennoch ging es Balthasar alles andere als gut. Seine Arme und Beine schwitzten. Ober-, Unter- und Sonstwaskörper - überall Schweiß. Warum schon vor dem Saunagang? Die rabiate Busfahrt war nicht Grund genug. Eher lag es schon daran, dass Balthasar sich einredete, alle im Bus würden ihn anstarren. Weil sie sicher schon ahnten, wo er hinfuhr und was dort passieren würde. Aber wie sollten sie etwas ahnen? Und wie sollten sie auch nur irgendetwas wissen, obwohl Balthasar selbst nicht wusste, wie es in einer schwulen Sauna zuging? Er hatte Martin nicht gefragt, weil er nicht zugeben wollte, wie unerfahren er in diesen Fragen war. Jetzt konnte er nur noch abwarten. Wartete ein schmuddeliger Ort wie aus einem schlechten Roman auf ihn? Wo die Sauna nur Vorwand war? Hoffentlich nicht, dachte Balthasar. Vermutlich lernten Schwule einander dort ganz normal kennen. Nur, dass sie dabei nackt waren. Das war ja auch kompliziert genug. Balthasar begann, sich auszumalen, wie eine Kennenlernen-Konversation ablaufen könnte. In seinem Kopf baute sich folgende Szene auf:

Balthasar, schüchtern in der Ecke des Raumes. Einige Meter entfernt von ihm Nackter Nr.1. Auftritt Nackter Nr. 2.
Nackter Nr. 2: Schöne ... äh ... Blinddarmnarbe hast du, Nackter Nr. 1
Nackter Nr. 1: Danke. Ich würde dein Kompliment gern erwidern, Nackter Nr. 2. Aber du hast ja keine Blinddarmnarbe.
Nackter Nr. 2: Dafür habe ich einen Blinddarm.
Kurze Pause.
Nackter Nr. 1: Du, ich muss gleich los.
Nackter Nr.2: Ich bleibe noch hier. Sollen wir Telefonnummern austauschen? Hast du zufällig einen Kugelschreiber dabei, Nackter Nr. 3?
Balthasar reagiert zuerst nicht. Dann blickt er fragend auf.
Nackter Nr. 2: Ja, genau du. Oder ist hier noch jemand, der Nackter Nr. 3 sein könnte?
Nackter Nr. 4: Und was ist mit mir? Nackter Nr. 2: Halt du dich da raus. Du bist noch gar nicht hier. Dein Auftritt ist erst in fünf Minuten.


Was sollte Balthasar tun? Sollte er der Höflichkeit halber unter seinen Achselhöhlen nachschauen, ob dort zufällig einen Kugelschreiber war? Sollte er Nackter Nr. 1 und Nackter Nr. 2 dazu raten, sich die Ziffern gegenseitig mit Duschgel auf den Arm zu schreiben? Vielleicht war es ja auch eine Möglichkeit, dass der eine dem anderen die Ziffern solange vortanzte, bis dieser sie sich eingeprägt hatte. Aber was, wenn man sich gleich drei oder vier Telefonnummern merken wollte? Wie sehr behindert es einen beim Gehen eigentlich, wenn man einen Kugelschreiber zwischen den Zehen einzuklemmt? Oder war es die beste Lösung, nach jedem Kennenlernen geschäftsmäßig zu sagen “Komm mal kurz mit in mein Büro”, zu den Schließfächern zu gehen und dort nackt den Filofax zu zücken? War es auffällig, ständig zu den Schließfächern zu gehen? Galt man dann als Schlampe? Während Balthasar noch angestrengt überlegte, wurde er durch ein abruptes Bremsmanöver des Schiffschaukelexperten aus seinen Gedanken gerissen. Er blickte aus dem Fenster auf das Schild der Haltestelle. Er war da. DA. DA. DA.

Epilog:

Martin wartete bereits an der Haltestelle. Neben ihm stand eine Frau, die Martin als seine ältere Schwester vorstellte.
Martin (zu Balthasar): Wir beide können ja schon mal vorgehen. Meine Schwester muss noch kurz auf ihren Mann und die Zwillinge warten.
Balthasar (irritiert, auf den Eingang zeigend): Dahin wollen die nachkommen?
Martin: Nein. Wir gehen in die Familiensauna da drüben. Das ist besser. Da können alle mitkommen.
Balthasar und Martin gehen los.
Martin: Ich geh nie in die schwule Sauna. Man muss als Schwuler auch nicht überall reingehen, wo schwul draufsteht.

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