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Warum Musliminnen ihre Kopftücher abnehmen

Foto: Alexandra Stanic

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„Als ich das Kopftuch noch getragen habe, wurde ich zwei Mal auf offener Straße bespuckt“, erzählt Yara (Name geändert). Die 20-Jährige hat schulterlange braune Haare, trägt eine Brille und kleidet sich leger. „Ich wollte mich selbst nicht gefährden und habe mich deswegen dazu entschieden, meine Haare nicht mehr zu bedecken.“

Yara ist aufgebracht, während sie spricht. „Feindbild Nummer eins sind wir Muslime“, findet sie. „In den Medien geht es immer nur um den Islam und was bei uns Muslimen nicht alles falsch läuft.“ Dabei gäbe es viel wichtigere Dinge zu besprechen als die Scheindebatte rund um Burkas oder ein Kopftuchverbot für Mädchen. „Zum Beispiel, was man in der Gesellschaft gegen Rassismus tun könnte“, sagt Yara. In der muslimischen Community sind die Übergriffe auf Muslime ein großes Thema. Kürzlich sei einer Bekannten von Yara das Kopftuch im Park vom Kopf gerissen worden, eine andere junge Hijabi soll bei einer U-Bahnstation zusammengeschlagen worden sein. Solche Geschichten häufen sich, Yaras Freundinnen und sie unterhalten sich regelmäßig über die politische Entwicklung in Österreich. „Soll ich ehrlich sein? Wir haben Angst“, sagt die Muslima. Die Wienerin mit ägyptischen Wurzeln ist sich sicher, dass die politische Lage in Österreich schuld an der steigenden Zahl der antimuslimischen Übergriffe ist.

„Du wirst die ganze Zeit angestarrt, so als warte man nur darauf, dass du irgendwas falsch machst“

Die Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus, ein Projekt der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ), dokumentiert verbale und körperliche Übergriffe, Beschmierungen und Diskriminierungen seit 2015. Die Zahl der gemeldeten Vorfälle lag 2016 bei 256 und stieg im vergangenen Jahr auf 309, wobei das Projekt keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. In ihrem Jahresbericht sind etliche Situationen festgehalten, in denen MuslimInnen Opfer von Rassismus wurden. „Ihr werdet noch sehen!“, bedroht etwa ein Mann ein muslimisches Mädchen und deutet auf sein am Arm tätowiertes Hakenkreuz. Beleidigungen gehören zum Alltag sichtbarer Musliminnen: Sie werden als „Ziegenfickerin“, „islamische Scheiße“ oder „Flüchtlingsweib“ beschimpft, wie aus dem Bericht hervorgeht. Schon letztes Jahr berichtete biber-Redakteurin Nihal Shousha von islamophoben Vorfällen. Sie schreibt von zwei jungen Frauen, die auf der Mariahilfer Straße von einem circa 40-jährigen Mann und seinem Hund attackiert wurden. „Zuerst hat er uns angespuckt und dann laut ‚fuck arab terrorist’ und ‚put Mohammed in your ass’ geschrien“, beschreibt eine der Betroffenen den Übergriff.

Oft sind es aber auch die unangenehmen Blicke, die Unsicherheiten auslösen, so wie bei Lienah (Name geändert). „Du wirst die ganze Zeit angestarrt, so als warte man nur darauf, dass du irgendwas falsch machst“, erzählt sie. „Ich hatte auf die ständigen Vorurteile keine Lust mehr.“ Lienah ist 32 Jahre alt und hat das Kopftuch über 15 Jahre getragen. Vor zwei Jahren hat sie es zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester abgelegt. „Seither bin ich mutiger im Alltag, es ist so, als hätte jemand eine Last von meinen Schultern genommen“, erklärt die Arzthelferin. Sie ist zurückhaltend, das Thema scheint ihr anfangs nicht nahezugehen, erst im Laufe des Gesprächs verändert sich ihre Stimmlage und sie wird wütend. Ständig hätte sie sich rechtfertigen müssen, einmal habe sie sogar jemand gefragt, was sie eigentlich von den Terroranschlägen halte. „Irgendwann ist mir das zu viel geworden“, so die 32-Jährige. Außerdem hätte die mediale Berichterstattung Rechten in die Hände gespielt. „Muslime sind in den Medien immer die Bösen, aber in Wahrheit höre ich immer öfter von Angriffen gegen uns“, fasst sie zusammen. „Die politische Stimmung in Österreich ist wirklich beunruhigend.“ Der ausschlaggebendste Grund, das Kopftuch abzulegen, war für Lienah die Sorge um ihre Kinder. „Was, wenn ich angegriffen worden wäre, während meine Kinder anwesend sind?“, fragt Lienah. „Die zehnjährige Tochter einer guten Freundin, die ein Kopftuch trägt, wurde unlängst beschimpft.“

„Ich kann nicht mehr“

Diese Angst kennt auch Zeynep (Name geändert). Während des Gesprächs wirkt die 34-Jährige ruhig und bestimmt. Sie versucht, den allgegenwärtigen Rassismus mit Humor zu nehmen. Das gelingt ihr aber nicht immer. Als sie etwa darüber spricht, dass sie sich in ihrer Arbeit immer ein bisschen mehr beweisen musste als ihre österreichischen Kolleginnen, verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Zeynep ist frustriert. „Ich musste nicht nur mehr leisten, ich musste auch ‚beweisen’, dass ich ein ganz normaler Mensch bin und ähnliche Werte vertrete“, erzählt sie.

„20 Jahre habe ich das Kopftuch getragen und vertreten, aber ich kann nicht mehr“

Ein Leben lang, aber besonders, seit sie das Kopftuch trägt, müsse Zeynep gegen Vorurteile kämpfen. „20 Jahre habe ich das Kopftuch getragen und vertreten, aber ich kann nicht mehr“, so Zeynep. „Die Blicke, die mediale Berichterstattung, die vermehrten Übergriffe, das alles wurde mir zu viel. Es ist schon so weit gegangen, dass ich nicht mehr aus dem Haus gehen wollte.“ Deswegen setzt sie das Kopftuch vor zwei Monaten ab. Begonnen hat sie in Babyschritten: Das erste Mal hat sie sich nachts ohne Kopftuch vor ihr Haus gestellt. Die Male danach wagt sie es, einkaufen zu gehen, ohne ihre Haare zu bedecken – das Kopftuch immer mit dabei, falls sie es sich doch anders überlegt. 

biber
Foto: Alexandra Stanic

Ihre Entscheidung, das Kopftuch abzulegen, finden nicht alle aus ihrem sozialen Umfeld gut. Viele sind der Meinung, sie würde der Religion den Rücken zukehren, weil sie nicht mehr bedeckt ist. Andere bezeichnen sie als schwach. Dabei ist die 34-Jährige weiterhin sehr aktiv in der muslimischen Community, gibt etwa Islamkurse für Kinder und Jugendliche. „Sichtbar religiöse Menschen sollten Frauen, die sich gegen das Kopftuch entscheiden, nicht ausgrenzen“, kritisiert Zeynep. „Oft habe ich auch das Gefühl, dass es kein Problem ist, wenn man das Kopftuch nie getragen hat. Es wird erst zu einem, wenn man es dann ablegt.“

Zeynep möchte so wenig Infos wie möglich über sich verraten. Ihre Sorge, dass die Kritik gegen die muslimische Community von ebendieser missverstanden werden könnte, ist zu groß. Auf die Frage, ob der Druck, das Kopftuch abzulegen, durch die jetzige Regierung größer geworden ist, schüttelt sie den Kopf. „Die Politik spielt für mich weniger eine Rolle, weil die Stimmung schon 2015 gekippt ist. Es sind eher die Medien und die Art und Weise, wie über MuslimInnen berichtet wird“, so die 34-Jährige. „Außerdem bin ich überzeugt davon, dass bald ein allgemeines Kopftuchverbot kommen wird.“  

Trotzreaktion Kopftuch

Anders als Zeynep spielt Esma immer wieder mit dem Gedanken, das Kopftuch aufzusetzen - zum Teil auch aus Wut. „Manchmal bin ich kurz davor, es aufzusetzen, als Trotzreaktion auf den Rechtsruck in Österreich“, so Esma. Die 25-Jährige hat türkische Wurzeln und kommt aus einer traditionell-konservativen Familie, wie sie erklärt. Derzeit sei sie für ein Kopftuch noch nicht bereit, das ändere aber nichts an ihrer Verbindung zu Gott. „Ich hoffe darauf, das Kopftuch in der Zukunft zu tragen“, so die Jura-Studentin. Sie sei oft anwesend, wenn Hijabis Opfer rassistischer Übergriffe werden. „Deswegen stelle ich mich in Öffis immer direkt zu ihnen, fange ein Gespräch an oder spiele mit ihren Kindern. Außerdem schaue ich böse zurück, wenn sie wieder einmal angestarrt werden.“

Eine große Rolle spiele bei der Entscheidung, das Kopftuch noch nicht zu tragen, auch die Diskriminierung am Arbeitsplatz. „Ich kenne viele Frauen, die nach absolviertem Studium keinen Job gefunden haben, weil sie ihr Haar bedecken.“ Sie selbst arbeitet Teilzeit in einer Anwaltskanzlei und erlebt in ihrem Privat- und Berufsleben immer wieder islamfeindliche Aussagen. „Weil ich keine sichtbare Muslima bin, denkt man oft, dass ich nicht religiös bin“, schüttelt Esma den Kopf.

Frust bei der Jobsuche

Von den Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt weiß auch Emine Özkan, Sozialarbeiterin und Standortleiterin von Spacelab_girls im Sprungbrett. Die Produktionsschule spacelab ist ein arbeitsmarktpolitisches, breitgefächertes Angebot für Jugendliche zwischen 15 und 24.  „Wir haben beobachtet, dass junge Frauen, die ein Kopftuch tragen, bei der Jobsuche stark benachteiligt werden“, so Özkan. „Sie sind topmotiviert, gut vorbereitet, bewerben sich genauso oft wie andere und bekommen signifikant weniger Chancen.“ Entweder werden die jungen Frauen erst gar nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen, oder man sagt ihnen während des Gesprächs, dass sie die Firma gerne übernimmt, aber nur ohne Kopftuch. „Dabei sind die Mädchen sehr erfinderisch und bereit, Kompromisse einzugehen“, erklärt die 33-Jährige. „Wenn die Firmenfarbe zum Beispiel gelb ist, kaufen sie sich gelbe Kopftücher oder sie binden es anders, greifen zu Hauben und Rollkragen, aber all das bringt oft nichts.“ 

Manche Mädchen nehmen auch in Kauf, das Kopftuch nur am Weg zum Arbeitsplatz zu tragen und es dann abzulegen, aber selbst das reiche manchen Firmen nicht. Die Sozialarbeiterin hat auch beobachtet, dass die Übergriffe auf MuslimInnen seit 2015 zugenommen haben. „Den Rechtsruck spüren die Jugendlichen sehr: Sie werden beschimpft, bespuckt und angegriffen. Dann kommt noch die frustrierende Jobsituation dazu.“ Auch die 20-jährige Yara hat bei einem Bewerbungsgespräch eine Absage bekommen, weil sie ein Kopftuch getragen hat. „Das Hotel meinte, dass ich mit bedeckten Haaren keine Chance habe.“ Getragen hat Yara es insgesamt sechs Jahre, 2016 hat sie es abgelegt. Sie kann sich gut vorstellen, das Kopftuch in ein paar Jahren wieder zu tragen, sollte sich die politische Lage in Österreich wieder verbessern. „Ich werde es aber erst dann aufsetzen, wenn ich mich hier als Muslima wieder sicher fühle.“

Alle Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt.Das Model Mona kommt nicht in der Geschichte vor.

*Unsere Redaktion kooperiert mit biber  –  was wir bei JETZT ziemlich leiwand finden. Als einziges österreichisches Magazin berichtet biber direkt aus der multiethnischen Community heraus – und zeigt damit jene unbekannten, spannenden und scharfen Facetten Wiens, die bisher in keiner deutschsprachigen Zeitschrift zu sehen waren. biber lobt, attackiert, kritisiert, thematisiert. Denn biber ist "mit scharf". Für  ihre Leserinnen und Leser ist biber nicht nur ein Nagetier. Es bedeutet auf türkisch "Pfefferoni" und auf serbokroatisch "Pfeffer" und hat so in allen Sprachen ihres Zielpublikums eine Bedeutung. 

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