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jetzt-Facebook-Seite gedrosselt wegen angeblichen Clickbaits
Es ist unwahrscheinlich, dass du diesen Text liest, weil du ihn auf Facebook gesehen hast. Seit vergangener Woche ist die Facebook- Seite von jetzt gedrosselt. Wir dürfen weiter Beiträge verfassen und Links teilen, aber wir erreichen viel weniger Leser*innen als üblich. Das soll insgesamt zwei Wochen so gehen.
Facebook wirft jetzt vor, dass wir Clickbait geteilt hätten, also Inhalte, die nicht einhalten, was die Überschrift verspricht. Nach dem zweiten Verstoß wurde die komplette Seite gedrosselt. Dabei geht es um die Postings zu zwei Texten: ein Artikel über LGBTQ-Proteste gegen die Fast-Food-Kette „Chick-fil-A“ und ein Text, der spöttische Reaktionen auf ein neues Unternehmenslogo sammelt – das neue Logo von Facebook.
Daraufhin haben wir zwei automatisierte Nachrichten erhalten, die auf Facebooks Richtlinien verweisen. Diese sollen helfen, Clickbait einzuschränken, der Nutzer*innen in die Irre führt und mit sensationsheischenden Überschriften zum Klicken verleitet. Das ist ein nachvollziehbares Anliegen – doch die Regeln müssen für alle Beteiligten nachvollziehbar sein.
In unserem Fall können wir das nicht. Wir haben Fragen: Nach welchen Kriterien entscheidet Facebook, was es als Clickbait einstuft? Passiert das automatisch, oder sind dafür Menschen verantwortlich? Und warum schränkt Facebook ausgerechnet die Reichweite eines Beitrags ein, der sich kritisch mit Facebook auseinandersetzt?
Wir müssen vielleicht nichts tun – aber wir wollen
Deshalb haben wir vergangenen Donnerstag mit Facebook Kontakt aufgenommen und in einem automatisierten Verfahren Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt. 28 Stunden später hat uns das Unternehmen eine Erklärung geschickt, die keine unserer Fragen beantwortet. Darin steht unter anderem: „Wir untersuchen nun, ob eine Überschrift Informationen zurückhält oder ob sie Informationen übertreibt. Wir testen dieses Vorgehen in weiteren Sprachen." Diese Informationen lassen sich seit zweieinhalb Jahren in Facebooks eigenem Blog nachlesen, mit unserem Fall haben sie kaum etwas zu tun.
Kurz darauf teilte uns Facebook auch mit, dass unser Einspruch erfolglos war. Am Freitagabend erhielten wir eine automatisierte Nachricht: „Überprüfung abgeschlossen: Du hast wiederholt Clickbait gepostet“, schreibt das Unternehmen. Die Drosselung bleibt bestehen. „Du musst nichts weiter tun.“
Die automatische Nachricht von Facebook, die über die Drosselung der jetzt-Seite informiert.
Wir müssen vielleicht nichts tun – aber wir wollen. Denn das Problem betrifft nicht nur die jetzt-Redaktion. In Hintergrundgesprächen haben uns mehrere deutsche Online-Medien berichtet, dass ihre Seiten wegen des Clickbait-Vorwurfs gedrosselt wurden, allerdings mit unterschiedlicher Dauer. Oft verstehen die Betroffenen nicht, worin genau der Verstoß besteht und bekommen vom Unternehmen keine überzeugende Antwort darauf – so wie wir.
Natürlich ist kein Medium gezwungen, eine Facebook-Seite zu betreiben. Man könnte argumentieren, dass Facebook auf seiner Plattform Hausrecht hat und frei entscheiden kann. Das stimmt aber nicht: Auch Facebook muss sich an die Regeln halten, die es sich und seinen 2,5 Milliarden Nutzern gibt. Die Gemeinschaftsstandards und Nutzungsbedingungen gelten für beide Seiten, Facebook darf nicht willkürlich blocken, löschen und drosseln.
Facebook bleibt wie so oft eine Black Box
Wir wissen nicht, ob das Thema des zweiten Textes etwas mit der Drosselung zu tun hat. Doch wenn ein Unternehmen Inhalte einschränkt, die sich kritisch mit ihm auseinandersetzen, wirft das zumindest Fragen auf. Denn so kann Facebook, das nach eigenen Angaben unabhängigen Journalismus wichtig findet, kritische Berichterstattung sehr einfach verhindern.
Widersprechen also die beiden Überschriften, die Facebook für Clickbait hält, tatsächlich den Richtlinien? Da Facebook uns die genaue Auskunft verweigert, können wir nur mutmaßen: Über den Text zu „Chik-fil A“ hatten wir geschrieben: „Fast-Food-Kette schließt nach Protesten die einzige Filiale in Europa“. Da der Name der Kette in Deutschland nicht so bekannt ist, haben wir ihn umschrieben. Womöglich denkt Facebook, dass wir so absichtlich Informationen vorenthalten. Mit typischen Clickbait-Überschriften wie „Du glaubst nicht, was danach geschah“ oder „Beim siebten Bild wirst du weinen“ hat das aber nichts zu tun.
Der erste von Facebook als Clickbait beanstandete Post: „Fast-Food-Kette schließt nach Protesten einzige Filiale in Europa".
Noch rätselhafter ist für uns, warum Facebook den zweiten Post als Clickbait beanstandet. „Das neue Facebook-Unternehmenslogo sorgt für Spott auf Twitter“, steht dort als Überschrift. Das beschreibt genau, was der Text enthält: Er erklärt, warum Facebook mit dem neuen Look auch sein Image ändern und die Marke FACEBOOK von der blauen App Facebook abgrenzen will. Dann folgen vier Tweets und eine Einschätzung: „Die Reaktionen im Internet zeigen aber, dass sich Facebook auch gleich hätte umbenennen können.“
Der zweite beanstandete Post: „Das neue Facebook-Unternehmenslogo sorgt für Spott auf Twitter"
Facebook gibt Medien sogar Workshops und erklärt, wie sie verhindern können, versehentlich Clickbait zu posten: Halte keine Informationen zurück, übertreibe nicht, führe nicht in die Irre. Überschriften sollen präzise und informativ sein und den Text widerspiegeln. Das haben wir aus unserer Sicht beachtet. Aus irgendwelchen Gründen stört sich Facebook trotzdem daran und hat sich entschlossen, unsere Seite abzustrafen.
War es ein übereifriger Algorithmus? Spielt es eine Rolle, dass wir einen Text über Facebook geteilt haben? Hat den Einspruch ein Mensch überprüft, oder waren das auch Maschinen? Wir wissen es nicht. Facebook bleibt wie so oft eine Black Box.
Das ist ein Problem für Nutzer*innen, die wissen wollen, warum ihre Accounts gesperrt oder bestimmte Beiträge gelöscht werden. Das ist aber auch ein Problem für Medien, die über Facebook berichten oder mit dem Unternehmen zusammenarbeiten wollen. Im vergangenen Jahrzehnt hat das Unternehmen immer versucht, Verlage anzulocken. Sie sollten Inhalte auf Facebook teilen, Videos für Facebook produzieren und statt auf ihrer eigenen Webseite lieber direkt auf Facebook veröffentlichen. Das werde ihnen helfen, Geld zu verdienen, versprach Facebook. Doch Ankündigung und Wirklichkeit klafften oft auseinander. Unter anderem hat Facebook
- Metriken für Videos vollkommen falsch berechnet und Medien dazu gebracht, große Summen in Videoproduktion zu stecken.
- Verlage überzeugt, ihre Inhalte als „Instant Articles“ vollständig auf Facebook auszuspielen, statt sie auf der eigenen Seite zu behalten. 2018 war über die Hälfte der Partner aus dem Projekt ausgestiegen.
- Medien Geld dafür gezahlt, dass sie Videos exklusiv für Facebook Live und Facebook Watch produzieren. Das Projekt ist ebenfalls gescheitert.
- Sich Ärger mit seinen „Trending Topics“ eingehandelt, in denen Facebook-Mitarbeiter angeblich angewiesen wurden, konservative Nachrichten zu unterdrücken.
- Das berühmte Foto des vietnamesischen „Napalm-Mädchens“ Phan Thị Kim Phúc als pornografisch eingestuft (und etliche weitere berühmte Fotos und Kunstwerke zensiert). Später stellte Facebook das Foto wieder online und entschuldigte sich.
- Medien als externe Faktenprüfer bezahlt, um Falschmeldungen zu identifizieren – doch etliche dieser Partner ziehen sich frustriert zurück und werfen Facebook vor, sich nicht um Journalismus und Faktentreue zu kümmern.
In den USA will Facebook jetzt große Medien dafür bezahlen, dass sie Inhalte zu Verfügung stellen, die in einem separaten News-Bereich direkt bei Facebook auftauchen. Unter anderem soll auch die Rechtsaußen-Seite Breitbart mitmachen.
Nach unseren Erfahrungen fragen wir uns: Wer profitiert von dieser Zusammenarbeit eigentlich mehr? Wir, die journalistische Inhalte produzieren und sie für Facebook aufbereiten? Oder das Unternehmen, das kostenlos darüber verfügen darf, so wie es ihm passt? Eine Gruppe profitiert von der Zusammenarbeit derzeit auf jeden Fall nicht: unsere Leser*innen.