- • Startseite
- • Ding_der_Woche
-
•
Das Ding der Woche: Das Urban Outfitters Rip Off
Dass es nicht einfach ist, mit dem Stricken, dem Anfertigen von Schmuck, Klamotten oder anderen hübschen Bastelarbeiten sein Geld zu verdienen, weiß jeder, der in der Branche tätig ist. Viele Kreative nutzen deshalb Plattformen wie Etsy, Dawanda oder andere SelberMach-Onlineshops, um ihre Produkte an die Kundschaft zu bringen. Auch die Amerikanerin Stevie Jones brachte vor kurzem auf Etsy eine Schmuckserie heraus, die ohne das Netz kaum eine so hohe Verbreitung gefunden hätte: "A World Of Love".
Jones Kollektion besteht aus Halsketten. Die einzelnen Stücke tragen einen silberfarbenen Anhänger in Form eines Bundesstaats oder eines ganzen Landes, in die jeweils ein herzförmiges Loch gestanzt ist. Sie heißen „I heart New York“, „I heart Colorado“ oder „I heart Israel“ und wurden innerhalb kurzer Zeit so erfolgreich, dass Stevie ihren Vollzeitjob kündigen konnte, um sich fortan nur noch auf ihr Hobby zu konzentrieren. Die Geschichte könnte als Beispiel für die Vorteile des Internets für Kleinkünstler dienen und hier zu Ende sein. Wenn nicht die Schmuckabteilung des beliebten Großkaufhauses Urban Outfitters auf die Linie gestoßen wäre und sie prompt kopiert hätte.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
In den Stores des Unternehmens wurden die Namen, den Stevie ihren Produkten gegeben hatte leicht verändert. Aus „I heart New York“ wurde im Handumdrehen „I heart local destinations“. Aus dem Werbeslogan „Wear your love“ machte Urban Outfitters „Wear your local love“.
Einem von Stevies Etsy Kunden fiel die dreiste Kopie vor etwa eineinhalb Wochen auf. Er machte die Designerin darauf aufmerksam. Schockiert veröffentlichte sie einen Blogpost über die Neuigkeit: „My heart sank a little bit. The World/United States of Love line that I created is one of the reasons that I was able to quit my full-time job. They even stole the item name as well as some of my copy.“ Außerdem fügte sie hinzu: „I’m very disappointed in Urban Outfitters. I know they have stolen designs from plenty of other artists. I understand that they are a business, but it’s not cool to completely rip off an independent designer’s work“.
Tatsächlich ist es kein Geheimnis, dass die Designer beinahe aller großen Kaufhausketten dieser Welt sich nicht mehr nur von den großen Laufstegen oder den kleinen Independentmachern beflügeln lassen. Immer häufiger übernehmen die Verantwortlichen nach Strich und Faden ganze Werke fremder Künstler und ändern bloß minimale Details, um den Eindruck der Kopie zu verwischen.
Urban Outfitters allerdings soll in der Szene dafür bekannt sein, dieses Spiel regelmäßig auf die Spitze zu treiben. Nicht nur gerieten sie bereits 2006 dafür in Verruf ein T-Shirt des Designers Johnny Cupcakes kopiert zu haben. 2007 gab es einen weiteren T-Shirt Skandal und auch im Jahr 2010 brachten sie erneut eine Kette auf den Markt, die vorher von zwei kleinen Designern nur auf Flohmärkten vertrieben wurde. Die meisten Fälle allerdings geraten oft noch nicht einmal an die Öffentlichkeit. Laut verschiedener amerikanischer Zeitungen behaupten Insider der Schmuckbranche, Urban Outfitters und seine kleine Markenschwestern FreePeople und Anthropologie seien in Sachen Kopien schlimmer, als alle anderen Unternehmen: "When Urban buys something from us, they specifically ask if its 'inspired by' someone. They know they have this reputation, and are trying to dispel it." Aus Angst vor Ärger wollte diese Aussage keiner der Informanten mit seinem echten Namen unterschreiben.
Überzeugen kann man sich von dieser Tatsache aber ohnehin selbst. Zum Beispiel auf dem Blog regretsy.com. In dessen Rubrik „Let‘s play a game“ wurde im Januar einen Post veröffentlicht, der den Titel „Etsy or Anthropologie - it‘s getting harder every day“ trug. Darin verglichen die Autoren Etsy Artikel mit Artikeln von Anthropologie. Man kann sie tatsächlich kaum voneinander unterscheiden.
Die Geschichte von Stevie Jones und ihrer kopierten Serie nahm ein lindes Ende: Die amerikanische Bloggerin und Twitternutzerin @amberkarnes fiel der schockierte Blogpost der Designerin auf. Als Reaktion darauf sendete sie unter anderem einen Tweet in die Welt, der dazu aufforderte, Urban Outfitters zu boykottieren. Binnen weniger Stunden wurde ihr Nutzername und das Stichwort Urban Outfitters Trending Topic in den Twitterstatistiken der USA, Canada und Großbritannien. Die Horde der aufgebrachten Independent Künstler, Blogger und weltweiten Sympathisanten bombardierte schließlich die Facebook-Fanpage von Urban Outfitters mit Vorwürfen zu dem Rip-Off. Kurze Zeit später war die Kopie aus dem Sortiment verschwunden.
Stevie Jones konnte zum Glück sogar von dem Desaster profitieren: Die Geschichte bescherte ihr so viele Bestellungen, dass auf ihrer Etsy Page nun der Hinweis vermerkt ist, es würde einige Wochen benötigen, den vielen neuen Bestellungen Folge zu leisten.
Damit wäre zwar wieder einmal bewiesen, wie groß die Macht der Social Media ist. Dennoch besteht die Gefahr, dass Urban Outfitters sich durch diesen Zwischenfall nicht aufhalten lässt. Für sie war die Angelegenheit mit der Löschung des Artikels und einem kleinen „Oops, sorry!“ vermutlich erledigt. Denn juristisch gesehen gibt es vor allem in der Mode noch immer keine festen Richtlinie, wo künstlerisches Eigentum beginnt, und wo es aufhört. Die Strategie von Urban Outfitters, gutes Design hart arbeitender Künstler zu kopieren beweist sich jedenfalls seit Jahren als erfolgreich. Der Konzern wird immer genug unwissende Fashionistas als Kunden haben, für die bloß der kleine Preis und das hippe Aussehen zählen. Nicht etwa ein fairer Geschäftshintergrund.