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Der On-Off-Rausch
Professor David Nutt ist bekannt in England. Nicht nur, weil er lange für die Regierung arbeitete, sondern vor allem wegen seiner gezielten Provokationen. So verglich Nutt im Jahr 2009 die Gefahren von Ecstasy mit den Risiken des Reitsports und kam zu dem Ergebnis: Reiten ist viel gefährlicher als Ecstasy. Beim Reiten geschieht nämlich auf 350 Aktivitäten ein schwerer Unfall, bei Ecstasy nur einer auf 10.000. Seine Schlussfolgerung war deshalb, Ecstasy von einer A-Droge in die weniger schwerwiegende Kategorie B runterzustufen, womit der Konsum von Ecstasy auch weniger hart bestraft werden würde. Obwohl Nutt zu diesem Zeitpunkt Leiter der Drogenabteilung des Innenministeriums war, wurde seine Empfehlung - Überraschung! - ignoriert. Als Nutt dann auch noch öffentlich die Aufstufung von Cannabis zu einer Kategorie-B-Droge als "politische Kampagne" beurteilte, war er seinen Posten beim Innenministerium los. Seitdem betreibt er unabhängig vom Staat das "Independent scientific committee on drugs".
Gemeinsam mit der Organisation ist David Nutt gut damit beschäftigt, sich dem aus seiner Sicht sinnvolleren Kampf gegen Drogen zu widmen - in dem er neue erfindet. Am Montag stellte er in der BBC seine neuste vor: Ein Präparat, das den gleichen Effekt wie Alkohol hat, aber ohne dessen Nebenwirkungen. Das soll funktionieren, indem der Rauschwillige sich einen Tablettencocktail einwirft, der zur gleichen Neurotransmitterausschüttung führt, wie wenn man trinkt. Vorteil daran ist allerdings, dass man mit einem entsprechenden Gegenmittel die Ausschüttung auch wieder stoppen kann und schlagartig nüchtern ist. Dementsprechend soll der on-off-Rausch auch nicht abhängig machen. Nutt sieht darin nur Vorteile: Man kann direkt wieder Autofahren, hat keinen Kater und die zahlreichen jährlichen Toten durch Alkoholmissbrauch würden auch reduziert. Er vergleicht seine Erfindung deshalb mit der E-Zigarette - diese würde schließlich auch den gleichen Effekt wie beim "echten" Rauchen hervorrufen, sei aber nicht krebserregend.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Obwohl das alles großartig klingt und Nutt auch schon persönlich seine Wunderdroge erfolgreich getestet hat, gibt es trotzdem ein Problem: Niemand hat Lust, in sein Produkt zu investieren. Anscheinend ist das Interesse der Alkohol-Industrie, sich weiter ihre Stammtrinker zu erhalten, zu groß. Nutt appellierte deshalb in der BBC persönlich an mögliche Investoren, ihn in seiner Arbeit für die Gesundheitindustrie finanziell zu unterstützen. Dabei würde auch der Staat von seiner Erfindung profitieren. Denn so könnten die Nebenwirkungen von Alkohol reduziert werden, ohne, wie beispielsweise durch eine höhere Alkoholsteuer, Druck auf die Bevölkerung auszuüben.
Und noch eine weitere Sache ist ungeklärt: Auch, wenn die Droge physisch nicht abhängig macht, wie steht es um die psychische Abhängigkeit? Ein ständiger Rausch auf Knopfdruck kann immerhin ziemlich verlockend sein, wenn man dafür nicht einmal am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen bestraft wird. Ob es dann trotz Dauerrausch tatsächlich keine Nebenwirkungen gibt, müsste ebenfalls erforscht werden - Heroin galt schließlich auch lange als prima Hustensaft, ganz ohne Nebenwirkungen.
Text: charlotte-haunhorst - Illustration: yinfinity