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Kleb's dir

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Wenn irgendetwas aufgebaut werden musste – sei es die Theateraufführung in der Schule oder die illegalen Party am Waldsee – irgendjemand musste vorher in den nächstgelegenen Handwerkermarkt fahren und raue Mengen an Gaffertape besorgen. „Ohne Gaffer geht gar nichts", „Gaffer hält die Welt zusammen" oder „Gaffer ist geil" riefen die anwesenden Technikermenschen. Sie sprangen in ihre alten Transporter und düsten los. Spätestens jetzt begriff man als Nicht-Technikermensch, dass Gaffertape etwas anderes sein musste, als Paketband oder Tesafilm. Mit Gaffer konnte man tonnenschwere Moltonstoffe an meterhohen Decken aufhängen, ohne eine einzige Schraube zu benutzen. Ritzen und Brüche in Außenbereichen ließen sich mithilfe des wahlweise schwarzen oder silberfarbenen Klebebandes wind- und wasserfest tapen. Als Mädchen hatte man zwar schnell raus, dass Gaffertape sich zum Beispiel super eignet, den trägerlosen BH unter dem Bandeau-Top eine halbe Ewigkeit lang rutschfest zu machen, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass es prinzipiell eher zu dem Typ Mensch gehörte, der auch sein Mobiltelefon in einer Handytasche am Gürtel herumtrug.

Bis eines Tages slackerhafte Modemenschen in hippen Weltstädten damit anfingen, Risse in Taschen, Jacken oder Schuhen mit Gaffertape zu flicken. Sie befestigten Geschenkpapier aus Vice-Magazinseiten mit dem Band und manchmal sah man in einer Ausstellung Bilder von Fotokünstlern, die ihre Models mit Gaffertape an eine Zimmerdecke geklebt hatten. Jeder, der das Klebeband fortan nicht an Bühnengerätschaften oder Molton zum Einsatz brachte sondern in einem beliebig anderen Kontext, konnte sich sicher sein, unter seinesgleichen als Gaffer-Insider erkannt zu werden, der das Prinzip avantgardistisch weitergedacht hatte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



In den USA hat sich dies jetzt zu einem großen Trend entwickelt. "Duct Tape" heißt das Klebeband dort und es flutet den Markt in allen Formen und Farben. Eine Designerin, die Beutel aus dem gehypten Material verkauft, die Designertaschen nachempfunden sind, formuliert es treffend: „Dass Gaffertape Mainstream ist, merkst du daran, dass du es rollenweise bei Urban Outfitters kaufen kannst."

Tatsächlich muss man es in den USA keineswegs mehr im Baumarkt erwerben. Das Band gibt es mittlerweile in jedem Drogeriemarkt – und zwar längst nicht mehr nur in den Standardfarben Schwarz, Weiß und Silber, sondern in Neonfarben, mit stofflichen Oberflächen wie Gras oder Fell und Aufdrucken von Hello Kitty oder Spongebob Schwammkopf. Auf Seiten wie ducttapefashion.com oder tapebrothers.com kann man neben den Rollen auch Taschen, Geld-, Tabakbeutel, Schmuck und sogar Jacken und Kleider aus dem Klebeband erstehen. Selbst die amtierende Schönheitskönigin der USA, die 18-jährige Teresa Scanlan, bezeichnet es als ihr Hobby, Dinge aus Gaffertape zu erstellen. Sie bastelt Shirts, Röcke und Hosen daraus und sagte der New York Times, dass sie auf die Frage, welche drei Dinge sie in die Wüste mitnehmen würde, nur noch antworten würde: „Ich brauche nur eine Sache: Gaffer Tape."

Auch auf diversen Facebookseiten hat das "Duct-Tape" mittlerweile unzählige Fans. Ein bisschen erinnert der Hype an den Trend, Dinge aus alten LKW-Planen und Autogurten herzustellen. Tatsächlich haben diese Dinge etwas gemeinsam: Sie sind ganz zufällig das, was gutes Design ausmacht: Klassisch schlicht, funktional und unkaputtbar robust. Weil sie in ihrer Alltäglichkeit gleichzeitig kunstfern sind, strahlen sie eine sympathische Uneitelkeit aus.

Vielleicht ist Gaffertape aber auch einfach ein zeitgemäßeres Bastelmaterial als beispielsweise Stricken, Häkeln oder Nähen. Weil es schneller geht und weniger empfindlich ist. Und wenn Klicken das neue Nachschlagen ist, könnte Kleben einfach das neue Nähen sein. Ganz vielleicht äußert sich in der Liebe zum Gaffertape aber auch einfach die Sehnsucht nach Stabilität in Zeiten des allgemeinen Normen- und Werteverfalls. Wenn es doch immerhin die Welt zusammenhält. 

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