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KZ-Nummern zum Abwaschen
Sirenen heulen, sogar auf den Autobahnen stehen die Autos für kurze Zeit still. An diesem Montag ist ganz Israel in einer Schweigeminute verharrt. Landesweit gedenken die Menschen der sechs Millionen Juden, die im Holocaust ums Leben kamen. Einigen reicht das nicht. Sie wollen, dass sich junge Israelis mit den Holocaust-Überlebenden unmittelbarer identifizieren. Und zwar, indem sie die KZ-Nummern ehemaliger Insassen tragen - zumindest für ein paar Tage.
Seit Sonntagabend verteilen die Organisatoren der Aktion "6million" an vier Schulen und einem Gemeindezentrum Klebe-Tattoos mit den Nummern ehemaliger KZ-Häftlinge. Knapp 30 originale Zahlenkombinationen der ehemaligen Häftlinge gibt es. Den Überlebenden ist es wichtig, dass die Jugendlichen ihre Geschichten erfahren. Deshalb haben sie ihr Einverständnis dafür gegeben, dass ihre Nummern als Tattoos gedruckt werden dürfen. Auch Verwandte von bereits verstorbenen KZ-Überlebenden stellen deren Nummern für das Projekt zur Verfügung. Die Aktion findet in diesem Jahr zum ersten Mal statt, ob es eine Wiederholung geben wird, ist noch nicht klar.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ein Holocaust-Überlebender und seine Enkelin zeigen die KZ-Nummern
"Manchmal muss man etwas Extremes tun, um Aufmerksamkeit zu bekommen", findet Aviva Silberman. Sie ist die Vorsitzende des Vereins "Aviv for Holocaust survivors", der sich für die Rechte der Holocaust-Überlebenden engagiert. Mit 18 Jahren kam Aviva nach Israel, vorher wuchs sie in der Schweiz auf. Zusammen mit der Gruppe "Future Generations" und der Werbeagentur "Saatchi" organisiert sie das Tattoo-Projekt.
Es sei schwer, eine Verbindung zwischen den ehemaligen KZ-Häftlingen und jungen Israelis herzustellen, meint Aviva. „Wir haben überlegt, wie man junge Leute gefühlsmäßig mit dem Thema verbinden und wie man es schaffen kann, dass sie sich mehr für das Thema interessieren. Wenn sie einen Film sehen, schlafen sie ein. Deshalb sind wir auf die Idee mit den Tattoos gekommen“, sagt sie.
Zusätzlich zu den Tattoos erhalten die Schüler eine Postkarte und einen QR-Code, mit dem sie zu den Lebensgeschichten der ehemaligen Auschwitz-Häftlinge gelangen können. "Das Ziel ist auch, dass sich die Jugendlichen mit den Leuten treffen und persönlich mit ihnen über ihre Vergangenheit sprechen. Es soll ein Austausch zwischen ihnen stattfinden," erzählt die 43-Jährige.
Doch die Aktion ruft auch Kritik hervor. Jizhak Kashti etwa hält das Projekt für unangemessen. Er ist selber Überlebender und stellvertretender Leiter des Massuah-Instituts für Holocaust-Studien. In einem Artikel mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagt er: „Es ist die Mühe wert, die Verbindung zwischen der heutigen Jugend und den Überlebenden zu verstärken, aber nicht so“. Schließlich seien die Juden mit den Tätowierungen damals wie Tiere gehalten worden, meint er. Aviva versteht die kritischen Äußerungen: "Wir haben lange damit gehadert, ob wir das Projekt in der Art umsetzen sollen. Aber es waren sehr viele der Überlebenden damit einverstanden."
Die Klebe-Tattoos werden allerdings in einigen Tagen wieder von den Unterarmen abgewaschen sein - im Gegensatz zu den KZ-Nummern der eigenen Vorfahren, die sich manche Israelis dauerhaftunter die Haut stechen lassen. Für sie ist es ein besonderer Weg, um sich den Eltern oder Großeltern verbunden zu fühlen. Im vergangenen Jahr ist mit "Numbered" eine Dokumentation über das Phänomen erschienen. Für streng religiöse Juden sind Tätowierungen eigentlich verboten, denn im dritten Buch Mose heißt es: "Für einen Toten dürft ihr keine Einschnitte auf eurem Körper anbringen, und ihr dürft euch keine Zeichen einritzen lassen."
Eines haben Aviva und ihre Mitstreiter mit ihrer Tattoo-Aktion auf jeden Fall geschafft: Über den Holocaust und die Überlebenden wird gesprochen - vielleicht sogar mehr als in den vergangenen Jahren.
Text: feline-gerstenberg - Cover-Illustration: Marie-Claire Nun Foto: 6million.info