Evelyn (rot gefärbte Haare, Pferdeschwanz, hässlicher Pony) hat sich soeben von ihrem Cousin in Prenzlberg abwimmeln lassen. Auch bei der schlecht berlinernden Lesbe in Friedrichshain findet sie keinen Unterschlupf. Keiner mag mich, denkt Evelyn, und ist frustriert, genau wie Lolle zu Anfang von Berlin, Berlin, und lässt sich den Pferdeschwanz entfernen genau wie Lolle. Ich bin nicht frustriert! Ich bin nicht Lolle!, keift sie jetzt metafiktiv in die Kamera, ganz genau so, wie das Lolle immer getan hat.
Um sich zu widersetzen, nicht zuletzt, um uns zu langweilen, wühlt sie demonstrativ und stundenlang in hautfarbener Miederware bei H&M. „Ich will nicht länger in das Format einer Seifenoper passen“, schnauft sie in einen BH der Körbchengröße D und überlegt, sich die Brust verkleinern zu lassen. Und weil ihre Sponsoren das so wollen, „Ich werde nicht gesponsort!“, stellt sie sich mit H&M-Tüten bepackt in die Verkaufshalle eines bewährten Autohändlers – Opel Vectra. Behalten Sie einfach die Kontrolle, genießen Sie souveräne Fahrfreude – und sagt das Wort „Hybridmotoren“.
Ein Mann, der aussieht wie ihr Cousin, schnellt auf sie zu, um ihr zum geringeren Energieverbrauch eines Hybridantriebs zu gratuliert: „Die Leistungskennlinien eines Elektromotors und eines Benzinmotors ergänzen sich, da das geringere Drehmoment eines Benzinmotors im unteren Drehzahlbereich durch das hohe Drehmoment des Elektromotors ideal …“
Lolle sieht in die hochgradig Umweltbewusstsein ausstrahlenden Augen des Autohändlers, verliebt, verlegen, ein bisschen … „Nein! Ich! Bin! Nicht! Lolle!“ Ein bisschen schade, dass der Opel-Mann sich augenblicklich abwendet, als reichere, reifere, reizendere Menschen die Verkaufshalle beschreiten. „Meine Damen und Herren, genießen Sie souveräne Fahrfreude“, lässt man sich begeistern.
Woraufhin Lolle in die U6 steigt, danach in die U1, scheinbar ziellos.
„Was machst du denn hier?“, staunt Lucas. „Was machst du denn da!“, schreit Lolle und zeigt an Lucas vorbei auf ihren Cousin. „Ich guck Fernsehen, ja und?“ – „Du guckst Gute Zeiten, Schlechte Zeiten!“ – „Sind doch nur die alten Folgen“, verharmlost Lucas, „ab und zu guckt das doch jeder mal.“ – „Nein!“, Lolles Stimme erreicht Oktaven, die nur durch Kreischen erreicht werden können, ihr Gesicht trifft dabei exakt den selben Rotton wie ihre modische Kurzhaarfrisur, „wir verkommen in diesem Daily-Dreck! Wir lassen uns bedudeln, betäuben! Wir befürworten das Ausschalten des eigenen Willens! Du bist saudoof!“
Da Lucas kein Gero ist, lässt er sich Lolles Wutausbruch nicht länger gefallen, schiebt sie vor die Tür, schließt die Tür. Lolle steht da, verwirrt, depressiv und vor allem: immer noch ohne Wohnung.
„Keiner mag mich“, schluchzt sie, und weil all die Mia’s und Paula’s und Sportfreunde Stiller’s in Mitte, Prenzlberg oder Friedrichshain sie eh nicht bei sich wohnen lassen, trottet Lolle nach Neukölln und drückt auf die Klingel eines gewissen Vier-Katzen-Künstlers. „Ich bin Commodore“, sagt der Vier-Katzen-Künstler. „Ich bin Evelyn“, sagt Lolle und verfällt in Nostalgie, weil sie an ihren guten alten Commodore 64 denken muss. „Der war noch so schön langsam.“ – „Wer ist hier langsam!“ Commodore fühlt Provokation und entblößt sofort seine Brust. Lolle blickt auf den mit blutigen Striemen übersäten Oberkörper, bekommt fast Mitleid und sagt: „Wieso nennst du dich eigentlich Vier-Katzen-Künstler?“ – „Wir sind eins“, antwortet Commodore mit italienischem, vielleicht auch spanischem Akzent, „der Vier-Katzen-Künstler und ich, wir sind eins.“
Bei dem Gedanken, dass auch nur einer von beiden in sie eindringen könnte, bekommt Lolle scheidenpilzbedingten Ausfluss. Trotzdem zieht sie ein.
Illustration: dirk-schmidt