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H wie Helfen - der Fall Anne H. und die Suche in sozialen Netzwerken

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Plötzlich ist Anne verschwunden. Nach einer Zugfahrt von Hamburg nach Bargteheide kommt die Arzthelferin nicht zu Hause an. Eine, die Anne schon seit Kindertagen kennt, ist Sarah. Als sie vom Verschwinden ihrer besten Freundin erfährt, ist sie sicher: Da ist etwas passiert. Die Polizei wird alarmiert. Außerdem beschließen Sarah, fünf ihrer Freunde und Annes Familie, auf eigenen Faust nach Anne zu suchen. Annes Mutter erstellt eine Homepage Homepage, Sarah kümmert sich um einen Aufruf in sämtlichen sozialen Netzwerken. Am Mittwoch, den 23. Juni, erscheint auch auf der jetzt-Startseite der Beitrag: „Suche Anne“ postet die Userin GMG. In dem Aufruf wird darum gebeten, die Website zu verlinken – über Facebook, Twitter und StudiVZ. Eine offizielle Meldung, die die Userin kopiert und veröffentlicht hat. „Wir hofften auf den bewährten Schnellball-Effekt“, erklärt Anne's Freundin Sarah. Dass sich so ein Schnellball schnell verselbständigt, daran dachte sie nicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als Sarah eine Facebook-Gruppe gründet, gibt es zunächst wirklich nützliche Kommentare: „Jemand hatte eine Jacke wie sie Anne trug, gefunden. Viele geben uns auch Tipps, wie wir unsere Such-Aktion verbessern könnten“. Sarah und die anderen Freunden werteten die Kommentare und Mails aus, freuten sich über die große Aufmerksamkeit und Unterstützung. Doch irgendwann kippt die Stimmung. „Plötzlich gab es nur noch Anfeindungen“. Ob das denn wahr sei, fragt auch ein User bei jetzt.de und gehört damit zur harmlosen Sorte Zweifler. In der Facebook-Gruppe häufen sich Kommentare, in denen Menschen behaupten, die Such-Kampagne sei ein PR-Gag. Schließlich sei die Website viel zu ansprechend gestaltet und Fotos von Anne sähen viel zu professionell aus. Am vergangenen Wochenende eskaliert die Lage: Freunde und Familie organisieren eine große Such-Aktion, fragen nach freiwilligen Helfern. Es gibt zahllose Anfragen, doch nicht allen wollen die Angehörigen trauen: „Man wusste ja nicht, wer da kommt“, sagt Sarah. Als sie die ersten Absagen per Mail verschickt, hagelt es Anfeindungen. Die Freunde werden beschimpft, die Familie sogar mehrmals angezeigt. Zwei, drei Leute behaupten, selbst mit der Polizei gesprochen zu haben und die Wahrheit zu kennen. „Dass hat natürlich viele in der Gruppe überzeugt, obwohl es gelogen war.“ Daraufhin ruft Sarah ebenfalls bei der zuständigen Dienststelle an, lässt sich beraten, was sie nun tun soll. Von da an schreibt Sarah nur noch das, was ihr die Polizei diktiert hat. Am Sonntag taucht Anne wieder auf. Statt „Suche Anne“ steht nun „Anne lebt!“ im Kopf der Webseite. Die Mutter der Verschwundenen bedankt sich für die viele Unterstützung, die Hilfe und die vielen Tips. Außerdem schreibt sie im letzten Absatz: „Nun ist Anne wieder zu hause. Sie hat unvorstellbar Grausames erleiden müssen aber SIE LEBT! Das ist ein großes Wunder und Geschenk.“ Der Mann, der Anne eine Woche lang in seiner Gewalt hielt, wurde am Mittwoch tot in seiner Wohnung aufgefunden. Seit dem 1. Juli ist der Fall Anne deshalb auch als abgeschlossen. Nicht für Sarah. Sie überlegt jetzt, ihr Facebook-Profil zu löschen. Drei ihrer Freunde haben es bereits getan, auch Anne und ihre Schwester sind nicht mehr bei dem Netzwerk dabei. Sarah erzählt, sie habe ein komisches Gefühl, schließlich waren auch private Informationen öffentlich auf ihrem Profil. „Ich war noch noch einmal online um mein Foto zu löschen und um zu überprüfen, dass wirklich alles Private gesperrt ist.“ Doch obwohl die Such-Kampagne mehr Öffentlichkeit brachte, als es ihr lieb ist: Es sei sinnvoll, über Soziale Netzwerke zu suchen. „Es ist natürlich nur ein Gefühl, aber ich glaube, es war richtig.“ Über 6.000 Menschen besuchten die Webseite, mehr als 3.000 Menschen wurden Mitglied in der Facebook-Gruppe - binnen einer Woche. Mit Handzetteln hätten die Angehörigen niemals eine so große Öffentlichkeit erreicht. Für die Fake-Vorwürfe hat Sarah keinen Kopf gehabt. Sie wollte Anne finden, der Rest war egal. Die Gruppe bei Facebook und all die absurden Nachrichten hat Sarah gelöscht. Auch Userin GMG hat die Vermissten-Anzeige nicht mehr online. Ihr neuester Eintrag:„Anne ist wieder da“.

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