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Facebook-Debatte: Schweigen oder Mitreden?
Seit einigen Monaten verfolge ich verschiedene Diskussionen im Internet. Eine Obergrenze für Geflüchtete, sexualisierte Gewalt, Rassismus an Hochschulen, Gamergate, und während ich schweige, flüstert ein Teil von mir “say something”. Aber ich sage nichts. Liest man sich meine Tweets der letzten Zeit durch, findet man Alltagsbeobachtungen, Fotos von meiner Katze, fast schon unangenehm viele Selfies, aber nichts mit Substanz. Vor drei Jahren habe ich einen Blog erstellt, der einzig und allein dazu diente, dass ich mich über Dinge beschweren konnte; er hieß sogar katikuerschmeckert. Letztes Jahr erschienen dort ganze fünf Einträge.
Wahrscheinlich werde ich es als Alterserscheinung und Zeichen des Erwachsenwerdens werten müssen, aber ich habe festgestellt, dass es oft nicht auf meine Stimme ankommt. Ich muss mich nicht immer zu allem äußern; ich muss nicht erwarten, dass Menschen auf mich hören; ich darf nicht davon ausgehen, dass ich auch für andere spreche, vor allem nicht, wenn ich nicht ihre Erfahrungen als Teil einer marginalisierten Gruppe teile. Als jemand, der cis, heterosexuell und weiß ist, sollte ich mich und meine Meinung nicht über Menschen stellen, die darüber sprechen, wie eine heterosexistische und rassistische Gesellschaft ihr Leben prägt. Als jemand, der nicht Sexarbeit nachgeht, sollte ich denen, die das tun, zuhören statt mit “ja, aber…” mein angelesenes Wissen über ihre Lebensrealität zu stellen.
Manchmal weiß ich auch einfach nichts oder nur wenig über ein Thema und sage dann auch nichts dazu – für viele Menschen komplett unvorstellbar. Wenn ich doch etwas zu den Erfahrungen von Benachteiligten sage, kann ich bestenfalls durch meine Reichweite andere Menschen für gewisse Themen sensibilisieren. Schlimmstenfalls rede ich über Betroffene hinweg. Das Gegenteil von gut ist nun mal oft gut gemeint.
Das Schweigen der Lämmer
Es wäre aber gelogen, würde ich die Stille meinerseits nur darauf schieben, dass ich nichts falsch machen will. Ich sehe nämlich, was passiert, wenn man es wagt, online eine Meinung zu haben und diese zu äußern – insbesondere als Frau*. Dass jemand Advocatus Diaboli spielt, einfach, weil er*sie es kann, und dadurch meine Zeit in Anspruch nimmt und vor allem meine Nerven strapaziert, ist noch harmlos. Nervig, aber harmlos. Über einen längeren Zeitraum geäußerte Drohungen von einer ganzen Gruppe von Menschen zu erhalten ist nicht nur zermürbend, sondern beängstigend.
Selbst, wenn man es nicht selbst erlebt, bekommt man mit, wie es anderen passiert und wie es sich auf sie auswirkt. Wie sie ihr Auftreten – nicht nur online – ändern müssen, um weiteren Angriffen zu entgehen. Es handelt sich so gut wie nie um sachliche, argumentative Kritik an einzelnen Positionen, sondern nur um gegen sie als Person gerichtete Einschüchterungen und Beleidigungen. Daraus zog ich für mich eine Konsequenz: Ich entschied mich für einen prophylaktischen Rückzug.
Let's get loud
Sich dem Ganzen entziehen zu können, indem man sich auf die Banalitäten des Alltags beschränkt, ist ein Privileg. Wie bereits gesagt: Ich bin cis, hetero und weiß. Von Haus aus biete ich also deutlich weniger “Angriffsfläche” als andere. Wenn doch jemand ausfallend wird, kann ich auf meinen eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen – wer hätte gedacht, dass all die Beleidigungen mal nützlich sein könnten? Außerdem weiß ich, dass ich mich auf meine Follower und Freund*innen verlassen kann, die einschreiten und/oder mich wieder aufbauen.
Wenn ich die Klappe halte, haben die anderen™, diejenigen, denen es nicht in den Kram passt, dass diese Sache mit der unantastbaren Würde des Menschen auch für alle Menschen gelten soll, gewonnen. Das kann’s doch auch nicht sein. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich meine Stimme wiederfinde.
Kati Kürsch
Dieser Text ist zuerst bei kleinerdrei.org erschienen, einem der Blogs, mit denen wir kooperieren.
kleinerdrei.org ist ein Gemeinschaftsblog, das 2013 von Anne Wizorek gegründet wurde. 10 feste Autor_innen und 7 Kolumnist_innen schreiben hier regelmäßig über alles, was ihnen am Herzen liegt. Daher auch der Name kleinerdrei, der im Netzjargon für ein Herz steht: eben ein <3. Die Themen reichen dabei von Politik bis Popkultur und werden stets aus einer feministischen Perspektive betrachtet.
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