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Die Bräuteschule

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Die erste Mail (vergangenen Mittwoch): Lieber Dirk, gestern Abend habe ich mir also einen Fernsehtermin gemacht und Abends die erste Folge der neuen Realityshow auf ARD angesehen. In der "Bräuteschule" wird eine Gruppe Mädchen in ein Internat aus den Fünfziger Jahren geschickt. Zu gewinnen gibt es dort nichts - außer, dass sie lernen, wie man "perfekte Hausfrau", "ideale Gastgeberin" und "hingebungsvolle Ehefrau" wird. "Diese modernen jungen Frauen werden lernen, wie ihre Großmütter zu leben", erzählt der Kommentator. Was da passiert ist: Das ganze Selbstverständnis, das man als Mädchen heute von sich hat, wird wieder einmal in Frage gestellt, im Namen der Einschaltquote. So als modernes Mädchen macht mich das ganz schön wütend. Und du als moderner Mann? Deine Meredith

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Klasse von 58: Barbara Dittrich in der Bildmitte umrahmt von den Schülerinnen der 'Bräuteschule'. Foto: dpa Die erste Antwort (vergangenen Donnerstag): Hihi, Meredith, Du denkst ich sei ein moderner Mann. Das macht mich schmunzeln. Ganz anders als diese Bräute-Sache. Habe die Werbung dafür auch gesehen - und musste gähnen. "Sei deinem Mann eine angenehme Frau" oder so was ähnliches las ich gestern morgen an der Bushaltestelle und musste sofort an Eva Hermann, Frank Schirrmacher und die anderen Marketingfachleute denken, die sich mit ähnlich rückwärtsgewandten Themen unlängst in alle Talkshows reaktionärt haben. Das interessiert doch keinen zivilisierten Menschen mehr, oder? Niemand stellt doch die Gleichberechtigung noch ernsthaft in Frage (es sei denn, er will damit Bücher verkaufen oder Fernsehsendungen bewerben). Vielleicht bin ich naiv, aber ich habe einfach keine Lust mehr, auf diese Verkaufstricks reinzufallen. Darüber zu diskutieren, raubt doch vor allem die Zeit für wichtige Fragen: Warum verdienen Frauen noch immer weniger als Männer - im gleichen Job? Warum ist die Frage des durchschnittlichen Nachwuchses eines Landes noch immer eine Frauenfrage und warum gilt eine weibliche Führungskraft noch immer als Ausnahme? Darüber sollte man reden und nicht über diese billige Marketing-Versuche von Eva, Frank und ARD. Oder? fragt der moderne (und deshalb) ratlose Mann Wie antwortet Meredith darauf? Lies ihre Mail und die anschließende Diskussion auf der nächsten Seite.


Die zweite Mail (diesen Montag): Natürlich kann man sagen, dass die ganze Sendung einschließlich Kampagne auf ziemlich eingeschlafenen Füßen daher gestapft kommt. Diese "Heimchen am Herd"-Debatte ist ja so dermaßen 2005. Und natürlich ist es wichtiger, tatsächliche sozialpolitische Diskussionen zu führen, als sich stundenlang über Fernsehsendungen zu unterhalten. Nur findet der Diskurs über weibliche und männliche Rollenbilder, Demographieprobleme oder Disziplin nunmal auch in den Medien statt und gelangt darüber doch wieder in die Köpfe. Wenn da die moderne Frau durch sämtliche Sendeanstalten und Feuilletons als Sündenbock getrieben wird, kann man das doch nicht einfach wegignorieren - selbst wenn das Ganze aus offensichtlichem Kalkül geschieht. Offensichtlich glaubt die ARD, sie könne mit dummen Hühnern im Petticoat die Zuschauer fesseln - damit stellt sie die Gleichberechtigung in Frage. Warum werden nicht Jungs zurück in die Vergangenheit geschickt? Oder noch besser: Warum bekommen die Mädchen nicht die Möglichkeit, sich aus ihrer aktuellen Noch-Nicht-Ganz-Gleichberechtigung zu befreien und topverdienende Chefs zu werden? Das wäre mal eine Herausforderung, die heute angebracht wäre. Bloß interessiert sich scheinbar dafür niemand. Solange sich das nicht ändert, und Produzenten und Publizisten sich damit ihre Sendeplätze und Auflagen sichern, werden die wichtigen Debatten genau dadurch verdrängt werden. Und deswegen halte ich Shows wie die Bräuteschule leider weiterhin für böse. Na, haste Bock, mitzumachen? Oder sollte ich meine Stirn doch wieder entrunzeln?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Stramm stehen am Herd: Melanie, Nadja und Sabrina werden in der Lehrküche auf perfekte Ehefrau getrimmt.. Foto: ARD/Andrea Enderlein Die zweite Antwort (heute): Liebe Meredith, ich hatte es ja schon befürchtet: So modern wie du annimmst, bin ich dann doch nicht. Wäre ich es, würde ich über meinen männlichen Hirnrand hinausdenken können und bemerken, dass ich mir meine arrogant-genervte Haltung nur deshalb leisten kann, weil mich die Bräuteschule nicht betrifft. Wahrscheinlich würde mich die Kadettenschmiede, in der junge Männer lernen, wie ihre Großväter zu leben, genauso ärgern wie Dich die Bräuteschule. Und zwar eben weil ich genau weiß, dass kein ernstzunehmender Junge heute noch so leben möchte oder so denkt wie 1958. Vielleicht würde ich dann sogar bemerken, dass die Verkaufsmasche natürlich nur auf Einschaltquote zielt, dabei aber nebenbei auch die Leute trifft, die das ganze angucken und sagen: "So schlecht war es damals doch gar nicht." Ich war damals nicht dabei, aber soviel weiß ich trotzdem: So möchte ich es nicht wieder haben. Gute Grüße Dirk Texte: meredith-haaf und dirk-vongehlen

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