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Endlich endlich: Gold für Deutschland! Gott sei es gedankt!

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Contra Medaillenspiegel Dienstag war es dann soweit, die Rettung hörte auf den Namen Alexander Grimm und kam aus Augsburg. Der 21-Jährige Kanute gewann das erste Olympia-Gold für Deutschland. Endlich. Endlichendlich. Man hörte bei deutschen Sportfunktionären und vor allem bei deutschen Fernsehsportmoderatoren die Erleichterung von den gequälten Seelen bröckeln. Verbrachte man nämlich den Montag gemeinsam mit der ARD und deren Olympiaprogramm, gewann man den Eindruck, das Leben sei nur für den auch ein Leben, der mit seinem Land im vorderen Teil des Medaillenspiegels steht. Noch am Morgen schienen Moderatoren wie Michael Antwerpes Höllenqualen zu leiden, weil in der imaginären deutschen Volksvitrine erst eine Bronzemedaille hing. Jede Überleitung ins Programm einer anderen Sportart begann mit der Frage, ob denn da was zu putzen sei? Jedes Olympiatelegramm begann mit der Meldung, dass wieder nix geputzt worden war und stündlich nahm die Beklemmung zu, ehe sich die männlichen Synchronspringer erbarmten und – danke - zwei Silbertäfelchen vorzeigten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Endlich! Gold für Deutschland! Judoka Ole Bischof zeigt sie in die Kamera. Foto: dpa Warum begibt sich ein Teil der Reporter in die Knechtschaft einer Statistik, wie sie der Medaillenspiegel ist? Sicher, Olympia ist schlussendlich ein großer Nationenvergleich, gut. Und mit unseren Steuergeldern werden Randsportarten wie Schießen ja erst olympiareif gefördert, weshalb ein finaler Blick auf den Medaillenspiegel immerhin ganz spannend ist. Aber bitte nicht vergessen: Die deutsche Olympiamannschaft mit ihren 438 Menschen ist alles, nur keine echte Mannschaft. Das Synchronschwimmerschicksal hat mit dem Bogenschützenschicksal nichts zu tun und jeweilige Verfehlungen oder Niederlagen sind je eigene Verfehlungen und Niederlagen. Wie kann man da von einer Niederlage der deutschen Olympiamannschaft sprechen? Was aber nun noch viel schlimmer ist, ist die schlechte Laune, die man beim Fernsehen bekommt. Notorisch wird sie von Verbandsfuzzis, Fernsehmenschen und selbst von den Sprechern der Nachrichtensendungen verbreitet - „immer noch keine Goldmedaille“ lautete den Montag über die geläufigste Nachrichtenphrase. Die übertragenen Wettbewerbe wurden zu bloßen Bestandteilen eines Mosaiks namens „Medaillenspiegel“ degradiert. Wenn sich dann später kleine, sehenswerte Geschichten wie die von Paul Biedermann ereignen, der Platz 5 im Schwimmen erreicht und sich gescheit freut („Es hat Spaß gemacht, hier zu schwimmen“), dann dauert es nicht lange und Menschen vom Schlage einer Franziska van Almsick erklären, dass Platz 5 keine Medaille bedeutet! Empfehlung: 2012 schicken wir nicht 438 sondern nur einen Athleten, der dann alle Sportarten macht. Der heißt dann auch „Deutschland“ und bei dem können alle mosern, denen es zuwenig Medaillen gegeben hat. Wir Zuschauer machen in der Zwischenzeit dann besser selbst Sport. peter-wagner *** Olympia und der Medaillenspiegel sind nicht zu trennen, sagt dirk-vongehlen in seiner Einlassung PRO Medaillenspiegel.


Medaillenspiegel ist die Pisa-Studie für Sportler Nein, mich interessiert der Medaillenspiegel auch nicht. Ich habe sogar sofort wieder vergessen, wer „uns“ (also die nicht weiter benannte Verbindung zwischen Fernseh-Reporter und Zuschauer) heute auf Platz sieben dieser olympischen Rangliste gehoben hat. Dass ich trotzdem hier drüben, auf der anderen Seite des FallfürZwei, schreibe, liegt daran, dass ich die Verwunderung nicht verstehe. Überall, wo es um Listen und ums Bessersein geht, konzentriert sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Gewinner und auf die, die scheitern. Insofern ist die Fixierung auf Medaillen das Ergebnis des gewinnorientierten Denkens, das an jeder Ecke auf uns wartet. Der Medaillenspiegel ist also im Kern nichts anderes als die greifbar gewordene Globalisierungsangst, die Pisa-Studie für Sportler, der internationale Konkurrenzkampf in den Farben gold, silber und bronze. All überall hören wir, dass wir in dieser modernen Welt nur bestehen können, wenn wir uns der Gefahr aus China stellen. Da passt es doch nur zu schön ins Bild, wenn man diese Kampfmetaphorik zur besten Sendezeit vor Millionenpublikum verbreiten kann. China hat schon sechs Goldemedaillen gewonnen und wir? Erstaunlich daran ist also weniger der Inhalt als die Verpackung. Dass Journalisten nämlich in die Rolle eines Fans schlüpfen und Erfolge und Misserfolge als Gemeinschaftsprojekt darstellen, beschreibt den tieferen Grund des Medaillenspiegel-Problems: Der Sportjournalismus in Deutschland versteht sich nur noch in löblichen Ausnahmen als objektive Berichterstattung eines sportlichen Wettstreits. Gerade im Fernsehen geht es vielmehr um ein mediales Begleitprogramm zu einer hysterisierten Gemeinschafts-Emotion. Anfang August hat der Sportjournalist Christian Zaschke in der Süddeutschen Zeitung diese Entwicklung sehr lesenswert auf den Punkt gebracht. Die Fixierung auf den Medaillenspiegel ist nur die jüngste Ausprägung dieses Problems, das seine Steigerung in einer Entwicklung findet, die ich sehr viel nerviger finde: Wenn nämlich das schlechte deutsche Abschneiden zum Anlaß genommen wird, um die Leistungen der anderen auf Manipulationen zurückzuführen. Das sollte sich mal jemand erlauben, derart an der Leistung von Michael Phelps zu zweifeln, wenn der in Buxtehude und nicht in Baltimore geboren worden wäre. dirk-vongehlen

Text: peter-wagner - und Dirk von Gehlen

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