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Fall für Zwei: Weltrettung oder Weltwerbung - der Fall "Live Earth"

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Es gibt viele Gründe, gegen „Live Earth“ zu sein. Zum Beispiel, dass Shakira dabei singt. Oder dass in acht Städten in der ganzen Welt aberdutzende Künstler auftreten werden, die dafür durch die halbe Welt fliegen, mit ihrer Band, ihrem Manager, ihrem Toningenieur, den Freunden des Managers und deren Hund. Vielleicht lassen sie den Hund aber auch weg. Egal. Sie fliegen, um dann den zwei Milliarden Menschen, die sie insgesamt erreichen wollen, das Hohelied des Klimaschutzes vorzusingen, wofür der Großteil der Konzertgäste wiederum selbst von überallher anreist, mit Zug, Auto oder gar Flugzeug. 1A-Konzept. Ich wünsche mir als nächstes ein weltweites Anti-Hunger-Konzert, auf dem jeder Käufer einer Karte exklusiv mit den originalen letzten Lebensmitteln eines Verhungernden aus Afrika verköstigt wird, und zwar von magersüchtigen Models als Caterer, der Gewinn aber „zu 100 Prozent“ an Bedürftige geht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Klimaschützer und Konzert-Veranstalter: Al Gore nach der Pressekonferenz im Londoner Wembley Stadion, wo der das Konzept von Live Earth am Donnerstag vorstellte. Foto: AP Auch spricht gegen Live Earth, dass hier ein Haufen Promis einen Almauftrieb des Egos veranstalten, an dem sie via Gutmenschen-Bonus und Image-Transfer selbst am meisten profitieren, selbstverständlich ausschließlich des guten Zwecks wegen. Aber vielleicht bin ich nur ein böser, böser Mensch, der alles zwanghaft zynisch sieht. Deswegen – alles geschenkt. Aber eine Sache, die lässt wirklich die Wut in mir hochsteigen. Das ist die Künstlichkeit dieser Veranstaltung. Was wird da passieren? Typen wie Xzibit, Yusuf Islam oder Jan Delay und Bands wie Linkin Park, die Beastie Boys oder die Red Hot Chili Peppers werden ihre üblichen Lieder in der üblichen Reihenfolge mit der üblichen Professionalität spielen. Nur zwischendrin, da werden sie ein bisschen ins Mikro rufen, dass wir alle die Welt retten müssen, und zwar jetzt, sofort, letzte Chance und so. Nichts gegen diesen Befund. Stehe ich voll dahinter. Aber wie schön diese Künstler und diese Bands das in ihr Alltags-Lineup einfügen werden, in ihre Standard-Playlists und die üblichen Stimmungs-Tricks, das ärgert mich: Hey, was machen wir denn heute? Ach, heute retten wir mal die Welt – und jetzt will ich eure Hände sehen! Ich dachte immer, dass ein Sänger oder eine Band, wenn ihnen etwas wirklich wichtig ist, wenn sie wirklich etwas umtreibt, wenn sie wirklich etwas quält, zu dem greift, was ihr ureigenstes Können ist – zur Kunst. Und dann ein Lied schreibt, zum Beispiel. Ein richtiges zorniges, aufwühlendes, die Menschen erreichendes Stück. Wie „If the kids are united“ von Sham 69 beispielsweise. Wie „Fight the Power“ von Public Enemy. Wie “Killing in the Name” von Rage Against the Machine. Oder wie einer der unzähligen anderen Songs, die jemand schrieb und spielte, weil ihn etwas in Wut, in Trauer, in Rage versetzte. Wo sind denn die Lieder gegen den Klimawandel? Wo ist der Künstler, den dieses Thema tatsächlich so angeht, so ergreift, dass er es zu seinem Thema macht? Wo? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Bei „Live Earth“ sind sie nicht.


Das stichhaltigste Gegenargument, lieber Durs, hast du gar nicht formuliert. Es hört auf den Namen Lotto King Karl. Der Stadionsprecher des Hamburger Sportverein zählt zu den "über 100 der weltbesten Stars", die bei Live Earth auftreten - wie man hier nachlesen kann. Dort steht auch, dass die Veranstaltung in Hamburg "nach den bestmöglichen Umweltstandards organisiert" werden soll und dass "im Eintrittspreis eine CO2-Abgabe in Höhe von 0,30 Euro inbegriffen" ist. All das ist Wasser auf deine wahrlich zynischen Mühlen. Und dennoch bin ich anderer Meinung als du: Live Earth ist ein Symbol, eines, dessen Wirkung mich erfreut.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Klimaschutz an der Copacabana: ein junger Mann nimmt ein Sonnenbad in Rio de Janeiro. Hier soll am Samstag das südamerikanische Live Earth Konzert stattfinden. Foto: AP Live Earth ist ein gutes Symbol, auch wenn die Bands dort nur routinemäßig auftreten und kein moralisch angestrengtes, ernsthaftes Lied gegen den Klimawandel einspielen. Dass zu fordern, ist mir ehrlich gesagt viel zu dogmatisch. Geht es doch von der merkwürdigen Vorstellung aus, gutes Handeln sei nur dann gut, wenn es auch mit dem nötigen moralischen Ernst verbunden ist. Für Religion mag das gelten, den Klimawandel zu stoppen, hilft es nicht. Und darum geht es doch im Kern: Nicht um die moralisches Haltung von Madonna oder Mia, sondern um ein Symbol gegen den verschwenderischen Umgang mit der Ressource Natur, die wir uns alle zu eigen gemacht haben. Das zu ändern und darauf hinzuweisen, ist eine wichtige Aufgabe. Wenn diese Aufgabe über den Erdball verteilt von heute nacht 5 Uhr bis morgen Spätabend von Prominenten (und Lotto King Karl) erfüllt wird: umso besser. Es ist ganz einfach (und keine Frage von cool und uncool): Wenn Pro Sieben am Samstag abend den Film "Eine unbequeme Wahrheit" von Al Gore zeigt, finde ich das gut. Ich hoffe, dass Menschen, die sonst Tanzlehrer Detlef anschauen, sehen, dass sie mit ihrem Handeln etwas ändern können. Das kannst du, lieber Durs, gerne naiv nennen. Ich glaube aber daran, dass sich etwas zum Besseren ändern kann - selbst bei Zuschauern von Pro Sieben.

Text: durs-wacker - dirk-vongehlen

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