Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Hauptsache Krawall und Remmidemmi?

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Ich verstehe Spaß. So ist das nicht. Die Konsumgesellschaft anprangernde Elfen und Trolle, die in der Fußgängerzone herumspringen und „Kaufrausch ist die geilste Droge“ schreien, entlocken auch mir ein Lachen. Es sind viel mehr die unüberlegten Spaßaktionen, die mich nerven. Viel zu oft weiß der Zuschauer nicht mehr, was sinnlose Krawallmache und was eine notwendige Protestaktion ist. Die Grenzen verschwimmen. Warum frage ich mich da, muss man Guttenberg eine Torte ins Gesicht werfen? Mal davon abgesehen, dass mir bis heute unklar ist, was das Medium Torte zu bedeuten hat, ist eine solche Aktion nur entwürdigend und nichtssagend. Durch seine lässige Reaktion, wie er sich die Creme aus dem Gesicht wischte und die Sahne probierte, bewies Guttenberg dann im Endeffekt sogar Coolness.  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Mit Guttenberg-Masken haben sich am Freitag in Berlin Teilnehmer des Guttenberg Carnivals zur Tortenschlacht aufgestellt.

Wir sehnen uns alle nach Protesten. Einem Thema, dass uns zum Kochen bringt, für das wir uns mit Herzblut einsetzen. Schauen wir doch mit neidischem Blick auf unsere Eltern, wenn sie von dem stürmischen Zeiten erzählen. Damals, als es noch was zu verändern gab. Wie ihre Augen anfangen zu strahlen, wenn wir vor ihnen sitzen und fragen: „Mutti, wie war das 68?“ 

Neid kommt ins uns auf. Schließlich ist unsere Jugend nicht vom Kampf für Ideale geprägt. Auch haben wir noch kein weltveränderndes Musikfestival miterlebt, in einer Kommune gelebt oder durften unter den ersten sein, die im Trabi das neue alte Deutschland entdeckten. Uns bleibt das Gefühl auch protestieren zu wollen. Wir müssen protestieren. Doch bitte liebe Leute, nicht um des Protestierens wegen. Dahinter sollte etwas stehen. Eine Forderung, eine Hoffnung auf Besserung und vor allem Wissen.  

Auf der letzten ACTA-Demo fiel mir ein Junge auf. Vielmehr sein Plakat. „Ich bin so wütend, ich habe sogar ein Schild dabei“ stand darauf. Im ersten Moment fand ich es sogar raffiniert. Dann aber ging ich zu ihm und schnell wurde klar, dass er gar nichts anderes auf sein Schild hätte schreiben können, denn er hatte von nichts eine Ahnung. Warum er hier sei? „Na, einfach aus Spaß.“ Was er für ein Problem mit ACTA hätte? „Eigentlich keins, ich will Party machen.“  

Eine Stunde später sah ich, wie ein paar der Demonstranten mit ihren Anonymus-Masken alten Leuten auflauern. Hinter einer Hausecke warteten die Verkleideten auf sie und sprangen dann schreiend hervor. Eine alte Frau fiel vor Schreck hin.  

Es sind genau diese Aktionen, die eine Protestbewegung lächerlich erscheinen lassen. In den Medien heißt es dann, eine Horde Pubertierender habe sich versammelt und randaliert. Merkt denn niemand, dass zuviel „Spaß“ schlechtes Licht auf das ganze Vorhaben wirft? Und kommt mir jetzt nicht mit: "Nur so könntet ihr junge Leute für etwas begeistern!" Was bringen schon viele Leute, wenn sie nicht ernst genommen werden? Wer keine Ahnung hat, sollte lieber Zuhause bleiben.  

Aber die Deutschen haben nunmal ihr Lieblingshobby: Meckern. Es wird schlecht gemacht, was schlecht gemacht werden kann. Und alles andere auch. Doch irgendwann sind sogar sie davon genervt und begeben sich auf die Suche nach einem neuen Stilmittel. Gefunden haben sie die Ironie. Ein ganzes Land eifert Herrn Sonneborn nach. Immer wieder forderte der Deutsche: „Wir brauchen mehr direkte Demokratie!“ Gibt es dann aber mal eine Möglichkeit der Bundeskanzlerin Anregungen zu geben, kommen 65 000 vermeintliche Spaßvögel daher und wollen Deutschlands größtes Dilemma bekämpfen und Drogen endlich legalisieren lassen. Aus Protest. Weil alles so langsam vorangeht. Weil es lustig ist. Und überhaupt. Da kann ich nur den Kopf schütteln. Geht es so weiter, mache auch ich bald wieder Gebrauch von meinem Demonstrationsrecht und protestiere gegen sinnlose Proteste.

Auf der nächsten Seite liest du die Gegenmeinung von Vanessa: Sie findet, dass gerade scheinbar sinnlose Aktionen Menschen zum Nachdenken bringen.



Chuck Norris braucht keine Brücke – Chuck Norris ist eine Brücke. Zumindest stehen seine Chancen dazu gut, denn in den letzten Tagen stimmten fast zehntausend Slowaken für diesen Namen ab. Die Online-Umfrage rief Bratislavas Regionalrat ins Leben, doch mit so einer Antwort hätte dort niemand gerechnet. Den meisten Konservativen wären Namen mit weniger Testosteron lieber, Namen wie Marie-Theresien-Brücke. Oder Freiheitsbrücke.  
Ähnlich skurrile Bestrebungen gab es auch im Schwäbisch Gmünd, als einige Bürger einen Bud-Spencer-Tunnel forderten und nur ein Bud-Spencer-Freibad durchsetzen konnten, oder in London, als die Engländer den Weg zu ihrem neuen Wembley-Stadion nach dem zur Ikone gewordenen weißen Polizeipferd „Billy“ benannten.  

Natürlich kann man über den Sinn und Unsinn solcher Aktionen streiten. Aber wie trostlos wäre die Welt ohne fliegende Spaghettimonster, Torten auf Politikergesichter oder Spendensammlungen für das Feierabend-Bierchen! Viele der Spaßproteste wirken ziellos, inhaltslos, manchmal auch hart an der Grenze zum Geschmacklosen. Und trotzdem, oder gerade deswegen hören und lesen wir besonders gerne davon. Ob nackte Wohnungsbesichtiger, zum Kaufrausch anfeuernde Weihnachtsmänner oder eine unerwartet applaudierende Menge mitten unter FDP-Freunden bei einer Verkündung der Rekord-Wahlniederlage; nicht nur die Dadaisten hatten Ihre Freude am Absurden, das alles Konventionelle auf den Kopf stellte. Ich finde: Spaß muss sein.  

Gerade vermeintlich sinnlose Aktionen haben das Potenzial, Menschen zum Nachdenken anzuregen, weil sie sie auf einer anderen Ebene ansprechen, ganz ohne autoritären Fingerzeig oder besserwisserischen Zurechtweisungen. Die Wirkung erscheint paradox: Gerade durch Absurdität erlangen solche Aktionen eine enorme Medienöffentlichkeit und werden manchmal dadurch ernst genommen, so etwa der Clip „Ursula Stressned“, eine Adaption von „Barbra Steisand“ als Reaktion von Wienern auf die von ÖVP-Politikerin Ursula Stenzel eingeführte Sperrstunde. Passiert ist seitdem trotzdem nichts.  

Aber das muss es auch nicht. Für mich verhält es sich bei Spaßprotesten wie mit der Kunst: Mal ist sie politisch, meistens dient sie nur der Unterhaltung oder der Selbstinszenierung des Künstlers. In jedem Fall sind beides Formen der Meinungsäußerung und damit grundsätzlich nicht schlecht. Diese Haltung finde ich nur konsequent, denn ich weigere mich, allem Sinnlosen die Daseinsberechtigung abzusprechen. Sinn macht, was gefällt. Der Rest wird eben ignoriert. Und Humor gefällt.

Von Vanessa Vu



Text: lena-niethammer - Foto: dpa

  • teilen
  • schließen