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Mitleid für die Ex-Prinzessin? - Ein Fall für Zwei über Britney

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Wäre ich Britney Spears, wäre ich auch so. Ein Plädoyer für Mitleid Ich bin nicht Britney Spears. Ich habe Eltern, die mir einen Kuchen vor die Tür stellen und mir Geld leihen. Ich gehe bei schönem Wetter in den Park und lese Bücher. Britney Spears hat einen Mann, der sie schlecht behandelt und den sie schlecht behandelt. Sie ist Mutter zweier Kinder, für die sie aber nur Besuchsrecht hat. Sie ist stets von vielen Menschen mit Handykameras umringt, selbst wenn sie aufs Klo geht. Ein paar Stunden später erscheinen dann die Bilder von ihrem Toilettenbesuch im Internet und im Fernsehen und alle sagen demütigende Dinge über sie.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als sie noch ein Teenager-Idol war. Bild: ap Ich musste als Kind in die Grundschule an der Nadistraße gehen, nachmittags habe ich mit meinen Freunden gespielt, und abends mit meinen Eltern gegessen. Britneys Tage waren währenddessen länger und härter als meine je sein werden: Sie wurde von einem Talentwettbewerb zum nächsten gezerrt, drehte Werbespots und moderierte im Disney-Channel. Mit 17 Jahren war sie die erste Künstlerin in Amerika, die mit ihrem Debütalbum auf Anhieb Platz Eins der Billboard-Charts erreichte. Die nächsten Jahre waren sehr erfolgreich, Britney Spears galt als der größte Popstar ihrer Generation. Es ist unzweifelhaft, dass Britney für diese Karriere seit vielen Jahren sehr, sehr hart arbeitete. Außerhalb der Teenagerwelt wurde sie wenig beachtet, um als Wunderkind zu gelten, war ihre Musik zu simpel, um Skandalnudel zu sein, ihre angebliche Jungfräulichkeit und ihr neckisches Auftreten zu lahm. Ich versuchte parallel bestenfalls die Schule abzuschließen oder schlechtestenfalls linksruckverteilend die Welt zu verbessern. Ich nahm von Britneys Existenz Kenntnis, wie man von Parteiaffären und Terroranschlägen Kenntnis nimmt. Ich dachte kurz darüber nach, aber mein Weltbild blieb unberührt. Manchmal war ich ein bisschen eifersüchtig - Britney Spears hatte mit Justin Timberlake einen lieben, talentierten Freund und konnte sich viele niedliche, kleine Hunde kaufen. Ob Britney einige Zeit später einem Imagewechsel oder den Folgen ihrer bizarren Karriere erlag, weiß ich nicht. Am Valentinstag 2003 überredete Britney ihre komplette Crew, sich Brustwarzenpiercings stechen zu lassen. Im Sommer küssten sich Madonna und Britney während der MTV Video Music Awards. Januar 2004 heiratete Britney Jason Allen Alexander, ließ die Ehe aber nach 58 Stunden wieder annulieren. Im September des gleichen Jahres heiratete Britney ein zweites Mal, diesmal Kevin Federline, gegen den sie zwei Jahre später die Scheidung einreichte, und der der Vater ihrer zwei Kinder ist. Im Dezember 2006 wurden Fotos aufgenommen, die zeigen, wie Britney angetrunken, ohne Unterwäsche, aus einem Auto aussteigt. Bald darauf rasierte sie sich eine Glatze und ließ sich tätowieren. Britney Spears gilt spätestens seitdem als alkoholabhängig, manchmal auch als drogensüchtig, ihre Suchtklinikaufenthalte brach sie sehr zeitig ab. Der Auftritt, der zu einem Comeback verhelfen sollte, scheiterte grandios: Britneys Performance bei den MTV Video Music Awards wurde wochenlang von den Medien verhöhnt. Auch wenn ich persönlich nur durchschnittliches Interesse an der Person Britney Spears aufbringe, verstehe ich, dass Britneys Fehler eigentlich ganz gewöhnliche Fehler sind, nur im größeren Ausmaß. So großartig wie ihre Erfolge gelangen, so furchtbar sind ihre Abstürze, die Dimensionen sind bizarr verzerrt. Die meisten jungen Menschen begehen Idiotien, lassen sich mit den falschen Männern ein, nehmen Drogen und trinken viel Alkohol, manche lassen sich schwängern, viele tragen seltsame Kleidungsstücke. Was Britneys Fall so speziell macht, ist die Tatsache, dasse ihr Fehler, die ein Dutzend Menschenleben mit peinlichen Anekdoten füllen könnten, innerhalb kürzester Zeit gelingen und sie sich nicht lernfähig zeigt. Dennoch verstehe ich viele der Dinge, die sie tut, denn ich bin auch ein Mädchen in ihrem Alter, das manchmal gerne in einer rosa Villa in Los Angeles wohnen, auf Oscar-Parties gehen und Fotos von mir selbst auf Zeitschrifterncovern sehen würde. Mein Leben würde nicht weniger katastrophal verlaufen, wenn meine Mutter aus ihrer Tochter einen Star hätte machen wollen, und wenn es nicht immer Menschen gegeben hätte, die mir Gutes wünschten. Warum ist es so schwierig, Empathie für Britney Spears zu zeigen? Reagiert man so gehässig auf Britney Spears, weil sie den Erfolg, das Geld, das vermeintlich bedeutsame Leben hatte, auf das man immer ein bisschen geschielt hatte? Gönnt man ihr die Katastrophe, um all den Neid, den sie hervor gerufen hatte, zu nivellieren? Ich glaube, die Prinzessin in der Gosse hat als Opfer von viel Hass, Missgunst und Bevormundung Mitleid verdient. Nächste Seite: Eva zeigt Gefühlskälte


Dagegen: Oops, Brit - selber schuld. Wir sind gleich alt, liebe Britney, und das ist noch nicht alles: Ich habe mich auch schon tätowieren lassen, und ich habe mir auch mal den Kopf rasiert, zumindest die Seiten – da war ich aber 17 und Punk. Ich habe auch zwei Geschwister, aber keine Mutter, die Allüren verspürt hätte, mich aus der Windel vor die Kamera zu reißen. OK, ich hätte mich auch nicht mit 17 hinstellen und kokett über meine Jungfräulichkeit singen mögen, und es ist wahrscheinlich zu viel erwartet, dass du damals die ganze Dimension dessen erfasst haben könntest. Wenn du einfach Britney hättest sein können, du wärst heute eine hübsche Arzthelferin oder Grundschullehrerin. Aber jeder ist seines Glückes Schmied, und unsereiner hätte angesichts der strahlend hellen MTV-Awards-Bühne vielleicht gesagt: „Ich hab zu viel Tabletten eingeworfen, ich geh da jetzt nicht raus, und außerdem könnt ihr mich alle mal mit Glitzer-BHs, ich hab jetzt Bock auf ´n Pyjama.“ Du nicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zweifelnder Blick, ganz zu Recht. Foto: ap Neidisch war ich trotzdem auf dich – vor Jahren. Ich war auch ein jungfräulicher Teenager, aber einer mit sackförmigen Sweatshirts und Pickeln, und wenn du mir vom Bildschirm herab „Oops, I did it again!“ entgegenhauchtest, hatte ich nichts zu erwidern. Nicht, dass ich so hätte sein wollen wie du. Nein. Aber ein kleines bisschen schon. Dann, als wir beide die Volljährigkeit überschritten, hätte man dich endlich einfach Britney sein lassen sollen. Andere wurden mit Erreichen des Erwachsenenalters von der Medienmaschinerie ausgespuckt wie ein alter Kaugummi und konnten sich den persönlichen Angelegenheiten widmen: Shirley Temple, Heintje... Du nicht. Du hast es versucht und mit dem nächstbesten Deppen eine Familie gegründet, um endlich dein eigenes Ding zu machen. Kann man dir noch nicht einmal vorwerfen, denn in deiner Position lernt man halt nur die nächstbesten Deppen kennen, und Familie gründen ist ziemlich löblich. Bei dir hat man allerdings den Eindruck, dass du dir damit noch geschätzte zehn Jahre Zeit hättest lassen sollen, weil man sich die fünf Babysitter nämlich für dich wünscht. Sean und Jayden können sich in der Zwischenzeit schon mal mit den Blagen von Pamela Anderson anfreunden, jemand anders darf mit denen später eh nicht spielen. Ich hörte tatsächlich erst auf, neidisch auf dich zu sein, als ich den dritten Unten-Ohne-Schnappschuss von dir sah. Denn so ein Schlüpfer, das weiß sogar meine Oma, ist schon eine gute Sache, und das besonders in Kombination mit etwas breiteren Gürteln anstelle von Röcken. Lieber eine ordentliche Unterhose als willenlos mit Paris Hilton durch die Nächte kriechen, beschloss ich. Heute bin ich nicht mehr neidisch. Ich bin dir sogar dankbar für deine jüngsten Ausfälle, denn du bist eine wunderbare Messlatte für deine Altersgenossinnen. Im Vergleich mit dir darf ich mich erwachsen fühlen. Klar, du kannst gar nichts dafür, du hattest nie besonders viele Möglichkeiten für etwas Individualität, und eventuell würde ich auch mal verwirrt meinen Schlüpfer vergessen, wenn mir jeden Tag vier Paparazzi am Fenster hängen. Trotzdem: Du tust mir nicht leid. Du magst mit deiner mega-ehrgeizigen Mutter Pech gehabt haben, aber das Wörtchen „Nein“ hast sogar du gelernt. Man muss es nur anwenden: Nein, schlechter Song, Nein, Alkoholfahrt, Nein, Drogenkonsum, Nein, Glitzer-BH. Niemand, der von 1999 bis 2006 die meisten Tonträger der gesamten Musikbranche vercheckt hat, muss einem leid tun, denn mit der Restkohle kannst du dich immer noch von deinen schlimmen Beratern lossagen und für den Rest deines Lebens an einem schönen Plätzchen untertauchen. Vielleicht ja zusammen mit Lindsay Lohan, die scheint das auch nötig zu haben. eva-bader Hier findest du die Britney-Spears FAQs

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