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Die Fernliebekolumne. Heute: Ausgehen

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Dorian Die Stimmung war ausufernd wie ein natürliches Flussbett. Wir tanzten, wir tanzten das erste Mal gemeinsam. Und am Ende der Nacht zog Nadja das Etikett von ihrer letzten Bierflasche ab und steckte es mir in die Hosentasche. Am nächsten Morgen, bevor ich ging, ließ ich es rückseitig beschriftet auf ihrem Schreibtisch zurück: „Ist unsere Jugend so verdorrt, dass sie dieses Gusses bedarf, dieses Gusses aus Rausch, Alkohol, braucht unsere Jugend, unser Gefühl die Luft der Ungefühle? Ich weiß es noch nicht, aber es war sehr schön.“ Ein Zitat von Wolfgang Koeppen, den letzten Satz habe ich ergänzt. Das Etikett hängt immer noch an ihrer Pinnwand. Mittlerweile ist klar geworden: Wir wissen, wir brauchen den beschriebenen Guss nicht, finden ihn immer noch schön und gehen trotzdem selten zusammen Tanzen. Dafür gibt es keinen richtigen Grund, es fehlt nicht, es hat sich einfach so etabliert. Den Moment, an dem wir gesagt hätten: Nee, ist doch doof, Trinken, Tanzen, Weggehen, da sind wir raus gewachsen, den gab es nicht. Und wenn wir gemeinsam weggehen, dann würde uns wahrscheinlich jeder, der nicht weiß, dass wir zusammen sind, nicht für ein Paar halten. Wahrscheinlich ist das der Grund: Das Weggehen hat so wenig mit uns als Paar zu tun, dass wir es einfach nicht besonders oft machen, weil wir die Zeit, die wir miteinander verbringen, mit uns verbringen möchten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und doch stelle ich es mir aufregend vor, mit Nadja in Amman auszugehen. Es wäre anders als hier, hier kennt man alles, die Abläufe sind klar und eingespielt, die Restaurants, die Bars, die Clubs sind bekannt. In einem fremden Land das Nachtleben gemeinsam zu entdecken, ist etwas anderes, etwas dass man sehr gut gemeinsam machen kann, weil es mehr ums Entdecken als ums Feiern geht. Wir würden zuerst in irgendeinem Restaurant, das wir beim Herumstreunen in irgendeiner Nebenstraße gefunden hätten, fremde Gerichte essen, darüber mutmaßen, welche Gewürze verwendet wurden und unsere Teller hin und her schieben, damit jeder beim anderen probieren kann. Wir würden den Kellner nach einer guten Bar fragen, wo wir nach dem Essen hingehen können, und vielleicht wäre es eine ganz grausame Empfehlung und wir würden rückwärts wieder aus der Bar hinaus stolpern und von den Gästen komisch angeguckt werden und wieder herumziehen und sagen: Schau mal, hast du das gesehen? Die spinnen die Araber. Wir würden in einem Club landen, in dem Musik läuft, von der man nicht weiß, wie man sich zu ihr bewegen soll, und alles wäre fremd und neu und alles würde man gemeinsam entdecken und vielleicht hätte ich am Ende ein Bieretikett in der Hosentasche, dessen Aufschrift ich gar nicht lesen kann. ***


Nadja Eigentlich gehen wir nie besonders oft zusammen aus. Zumindest würden die meisten, die Dinge, die wir oft zusammen machen, nicht als „ausgehen“ bezeichnen. Tanzen z.B. waren wir noch nicht oft gemeinsam, und in Kneipen sitzen wir auch selten. Unser Ausgehen besteht aus Freunde besuchen oder Essen gehen oder Herumlaufen. Wenn ich Dorian von einem Abend in einer Kneipe hier erzähle, fühlt sich das kaum anders an als sonst. Die Kneipen sind ja auch kaum anders als sonst. Irgendetwas ist aber doch anders und ich denke sogar, dass etwas anders sein muss, nur weiß ich nicht so genau, was es ist. Vielleicht die so ganz andere Stadt um die Kneipe herum. Vielleicht, dass ich nicht sagen kann: „Da war es schön, da sollten wir mal zusammen hingehen.“ Vielleicht auch einfach, weil Dorian die Menschen nicht kennt, mit denen ich da war. Weil ich nicht sagen kann: „Der und der hat das und das gemacht, das hätte ich nie von ihm gedacht“ oder „Der und der hat das und das gemacht, wie typisch für ihn“ und weil Dorian dann nicht „Ja“ sagen kann oder „Findest du?“ Aber bei einem Abend in der Kneipe fehlt er mir doch am wenigsten. Wenn es laut ist und viele Leute da sind, ist das keine Umgebung für uns zu zweit. Manchmal sehe ich Dorian an solchen Abenden lange nicht, bis wir irgendwann gemeinsam nach Hause gehen. Man geht ja auch nicht aus, um Zeit mit dem Partner zu verbringen. Zumindest gehe ich nicht aus, um Zeit mit Dorian zu verbringen. Es ist gut, wenn er in der Nähe ist, aber er muss nicht in der Nähe sein. Man trifft beim Ausgehen Freunde und Fremde und man plaudert herum und trinkt und tanzt. Und das ist hier nicht anders als daheim. Vielleicht fehlt Dorian mir dabei auch nicht so oft, weil der Alkohol hier so teuer ist. Wäre er günstig und würde ich mehr trinken, dann würde ich sicher gefühlsduselig. Es passiert mir oft, wenn ich irgendwo bin und etwas trinke, dass ich mir plötzlich wünsche, gar nicht dort zu sein, wo ich bin, sondern an einem Ort, an dem nichts los ist und an dem niemand ist außer Dorian. Ich schreibe ihm dann Sms oder rufe an. Hier trinke ich Cola und vielleicht ein Bier für umgerechnet fünf Euro und der Abend geht nüchtern, unaufgeregt und gut gelaunt vorüber. Dorian ist nicht mein Kneipenpartner. Er ist mein Spazier- und Rumguck-Partner. Und dabei, bei unserem Ausgehen, fehlt er mir dann auch sehr. Beim Rumgucken und „Sieh dir das an“-Sagen, beim Dasitzen und essen und reden. Und vor allem beim Dasitzen und nicht reden.

Text: nadja-schlueter - Illustration: Katharina Bitzl

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