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Die Fernliebekolumne. Heute: Schlafen

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Nadja Ich bin hier gut beschäftigt. Ich kann den ganzen Tag herumlaufen und Neues sehen und dort, wo ich nun arbeite, gibt es genug zu tun. Mein Kopf ist voll davon. Von all dem Neuen und all dem, was zu tun ist. Es bleibt gar keine Zeit, an irgendetwas anderes zu denken. Abends bin ich so müde, dass ich einfach ins Bett falle und einschlafe. Aber dann wache ich irgendwann auf. Und muss noch nicht aufstehen. Und will weiterschlafen. Und kann nicht. Ich mag das sehr: Nachts aufwachen, noch nicht aufstehen müssen, weiterschlafen können – und Dorian ist da. Vielleicht drehe ich mich dann um, aber egal, wie tief er schläft, er dreht sich mit. Ich bin nachts ungern alleine. Ich schlafe immer dann am besten, wenn er da ist. Ich habe hier ein sehr großes Bett in meinem Zimmer. Drei Leute würden hineinpassen, wenn man eng läge sogar vier. Ich liege immer ganz links am Rand, neben dem Nachtschrank. Auf der rechten Seite des Bettes liegen dann Dinge, mein MP3-Player und die Kopfhörer, ein zweites, unbenutztes Kissen, die Bettdecke, weil es so warm ist, die Klamotten vom Vortag, der Föhn. Die Dinge machen das Bett noch einsamer. Wenn ich dann daran denke, wie lange es noch dauern wird, bis Dorian wieder neben mir schläft, dass das hier mein Bett ist, in dem ich viele Nächte schlafen werde und er vielleicht kein einziges Mal, dann möchte ich am liebsten aufstehen, im Schlafanzug zum Flughafen fahren, nach Hause fliegen, im Schlafanzug ankommen und unter Dorians Decke kriechen. Meistens passiert das, wenn der Muezzin ruft. Dieser Ruf ist noch zu neu für mich, als dass er mich nicht morgens um fünf wecken würde. Und obwohl dies ein Geräusch ist, das ich bei mir zu Hause so gut wie nie zu hören bekomme, löst es in mir das größte Heimweh aus. Es ist ein Geräusch, bei dem ich das Bedürfnis habe, mich ganz fest an Dorian zu drücken und zu fragen: „Hörst du das?“ Ganz selten, wenn ich abends einmal nicht so müde bin, dass ich einfach einschlafe, dann ist auch das Schlafengehen selbst schwierig. Vor dem Schlafen kann man sich besonders gut unterhalten. Zumindest können wir das. Wir tun das, wenn wir beieinander sind, und wenn wir es nicht sind, tun wir es am Telefon. Hier sind wir nicht beieinander. Telefonieren ist zu teuer und Internet gibt es nur am Wohnzimmertisch. Oft schreibe ich Dinge auf. Manchmal schreibe ich eine SMS. „Gute Nacht“ steht dann darin. Wenigstens lässt die Zeitverschiebung es zu, dass wir ungefähr um die gleiche Zeit schlafen gehen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dorian Komm her, jetzt sofort, ich kann sonst nicht schlafen, hat Nadja gestern gesagt. Das sagt sie oft, also dass sie nicht oder schlechter schlafen könne, wenn ich nicht da bin. Mir geht das eigentlich nicht so. Ich schlafe gut und viel, mit oder ohne sie. Vor allem schlafe ich immer mehr als sie. Oft steht Nadja dann schon auf und macht was am Computer. Ich höre dann das Klackern der Tastatur im Halbschlaf, ich höre, dass Nadja da ist. Darum geht es, Nadja ist da, beim Einschlafen und beim Aufwachen. Das sind die verändernden, die Gemeinschaftsmomente für mich, nicht das Schlafen selbst. Einmal hat sie mich am Computer sitzend vom Schreibtisch aus beim Schlafen fotografiert. Das machen doch nur Schulkinder auf Klassenfahrt, sich schlafend fotografieren, habe ich später gesagt und nicht gedacht, dass ich mir mal wünschen würde, dass Nadja vor mir wach ist und auf der Tastatur rumklackert und Fotos macht und mir später sagt, wie schön ich beim Schlafen aussehe, denn eigentlich finde ich das kitschig. Aber eben das fehlt besonders: einen Tag gemeinsam beginnen. Jemand ist schon da, wenn man aufwacht, jemand, für den man vor dem Duschen einkaufen geht und Sachen kauft, die man selber nie kaufen würde. Schokocroissants zum Beispiel und Marmeladen in Geschmacksrichtungen, die einem skeptische Falten auf die Stirn werfen. Dann kann man am Frühstückstisch Witze machen über die Vorlieben des anderen und sich wundern, wie verschieden man gemeinsam frühstücken kann und beim nächsten gemeinsamen Start in den Tag mit einem Grinsen die Marmelade aus der hintersten Ecke des Kühlschranks holen, wo sie stand und von niemandem angefasst wurde, und sich darüber freuen, dass da ein Teil, ein kleiner Teil vom anderen immer im Kühlschrank stand. Es sind diese Rituale, die dem Zusammensein ein Fundament bauen, auf dem man alles teilt und das Gefühl bekommt, es wäre schon immer so gewesen. Über Skype können wir das nicht. Über Skype bleibt nur das Erzählen, ein routiniertes Erzählen über die Tageserlebnisse, über die Arbeit und die Neuigkeiten, die ein Tag gebracht hat. Ein gemeinsames Erleben ist nur über den Bildschirm möglich, der immer den gleichen Ausschnitt abbildet, Nadja an ihrem Wohnzimmertisch, im Hintergrund ein Fenster, die Rollos sind meistens schon geschlossen, denn meistens sprechen wir uns abends. Gut zum anderen sein, da zu sein, zu teilen, das geht nur durch Worte und Worte zu wiederholen ist viel emotionsloser als bei jedem Frühstück komische Marmelade aus dem Kühlschrank zu holen.

Text: nadja-schlueter - Illustration: Katharina Bitzl

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