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Die Fernliebekolumne. Heute: Streiten

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Dorian Sina und ich waren verliebt. Wir liebten uns, so richtig. Wir hatten die gleichen Freunde und die gleiche Lieblingsspeise: Toastbrot mit Butter, Putenbrust und Sweet-Chili-Soße. Ein eingespieltes Team waren wir. Ich schmierte die Butter aufs Toast, Sina legte die Pute drauf und ich verstrich dann die Soße. Jeden Abend aufs Neue, immer abwechselnd. Zwischendurch haben wir uns angeguckt und uns gegenseitig gesagt, dass das mit dem Hundeblick gar nichts bringt. Es waren auch meist die gleichen Dialoge, nichts Weltbewegendes. Schatz, du hast einen Pickel auf dem Rücken. Stört er dich? Der weiße Punkt in der Mitte, der will, dass ich drücke, aber hier, ich leg dir die Decke um, dann sehe ich ihn nicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sina und ich, wir haben uns viele Briefe geschrieben. Obwohl wir zusammen wohnten, haben wir sie immer mit der Post verschickt. Sie schrieb mir, dass sie unglaublich glücklich ist, weil es mich gibt und ich antwortete, dass ich die Sommersprossen auf ihren Knien mag. Sonntags sind wir oft an den See gefahren. Sina hat die Zeitung gelesen und mir dabei den Rücken zugewandt. Ich streichelte mit einem Grashalm ihre nackte Schulter. Wenn sie Gänsehaut bekam, habe ich sanft darüber gepustet und Sina musste lachen und schlug mit der Zeitung nach mir. Friedliche Zeiten waren das. Die Schwäne liefen an uns vorbei. Auf dem Feld wendete der Bauer das Heu. Sina und ich waren irgendwo dazwischen und liebten uns. Beim Sex nuckelte ich immer an ihrer Brustwarze. Sie knabberte an meiner Schulter. Nur ihre Schuhe mochte ich nie. Sie trug immer irgendwelche Schuhe, in denen auf jeden Fall Stroh verarbeitet sein musste, in den Riemen oder im Absatz, so Naturtreter waren das, furchtbare Schuhe. Irgendwann kam Sina mit neuen Schuhen nach Hause, sie hatten kein Stroh und ich habe sehr unehrlich gesagt: Sina, da fehlt das Stroh. Und sie sagte: Ich weiß Jan, kein Stroh mehr, das geht alles so nicht mehr, ich fühle mich viel zu alt, ich brauche was anderes, eine neue Herausforderung, ich werde ausziehen Jan. Da bin ich aus allen Wolken gefallen. Und jetzt denke ich immer: Hättest du doch bloß mal gesagt, dass das Stroh scheiße aussieht, dass es richtig scheiße aussieht. Dann hätten wir vielleicht eine Chance gehabt. Und mir würde das Stroh heute nicht fehlen. *** Nadja
Am schlimmsten ist es ja, wenn man gegen eine Mauer redet. Wenn man wütend ist und der andere nicht, oder doch, ja, er ist ganz sicher sehr wütend, aber er tut so, als sei ihm alles gleichgültig - deine Wut, seine Wut, die Sache derentwegen ihr wütend seid, überhaupt die ganze Beziehung, die man hat und die Welt und das Universum. Keine Reaktion ist tausend Mal schlimmer als zu viel Reaktion und man möchte gegen diese unerbittliche Mauer springen und mit Fäusten auf sie einschlagen, damit sie erbebt und fällt, und man möchte sie anschreien, damit die Wut, die dabei herauskommt, in die Mauerfugen kriecht und sie sprengt. Denn manchmal ist streiten tausend Mal besser als nicht streiten. Aber wie streiten, wenn man sich immer nur kurz spricht oder sich ein paar Zeilen sendet? Und worüber? Man möchte doch die kurze Zeit, die man hat, dafür nutzen, zu erzählen, was man so gemacht hat, und um sich ein paar nette Worte zu sagen oder zu schreiben, bevor man wieder auflegen oder die Mail abschicken muss, weil man losmuss, jeder in sein eigenes Leben, der eine in ein Leben mit Busverkehr und Vorweihnachtsstraßenbeleuchtung, der andere in eines mit wilden Taxis und Novembertagen um die 25 °C. Da ist gar kein Platz für Streit und keine Zeit und keine Lust, man ist auch selten wütend, man ist höchstens mal traurig und meistens ist man einfach irgendwie lieb zueinander. Nur manchmal, wenn der Bus zu voll war oder der Taxifahrer ein Idiot, dann hat einer schlechte Laune und vergiftet die kurze Zeit mit Pamperei und Motzgesicht. Dann ist der mit dem Bus plötzlich sauer auf die mit dem Taxi, dass sie weggegangen ist, oder die mit dem Taxi ist sauer auf sich, dass sie weggegangen ist und auf den mit dem Bus, weil er nicht vorbeikommen kann. Denn der, der schlechte Laune hat, hätte den anderen gerne da, damit der was dagegen tun kann. Aber der andere ist bloß eine Mauer, gegen die man redet, nur ein Bildschirm oder ein Hörer und das ist überhaupt nicht, was man will, man will den anderen an der Hand nehmen und mit ihm die Busgesellschaft mit faulen Eiern bewerfen oder dem Taxifahrer faule Eier unter die Fußmatten legen oder man will den anderen einfach anfassen und fühlen, dass er ganz warm ist, damit man sich erinnert, dass es mehr gibt auf der Welt als verspätete Busse, idiotische Taxifahrer oder Mauern. Und wenn man dann dasitzt und überhaupt nicht hat, was man will, dann wäre alles andere tausend Mal besser, streiten wäre tausend Mal besser als nicht streiten, beieinander sein wäre tausend Mal besser als getrennt sein und dann ist man plötzlich sehr allein mit seiner Wut, weil Distanzwut so viel weniger gut funktioniert als Distanzzuneigung, und möchte diese unerbittliche Mauer anspringen und anschreien und alles ist eine riesige Scheiße und nichts, keine Vorweihnachtsstraßenbeleuchtung und kein Novembertag mit 25 °C, kann daran etwas ändern.

Text: nadja-schlueter - Illustration: Katharina Bitzl

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