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Die Fernliebekolumne. Heute: Telefonieren
Nadja Heute skypen 21 Uhr Amman/20 Uhr Trier? schreibe ich oft in meine Mails und Dorian antwortet dann Jajaja! und das mag ich. Neulich sah ich die How I Met Your Mother-Folgen, in denen Ted und Victoria versuchen, eine Fernbeziehung zu führen. Long distance is a veeeery bad idea hieß es da und ich habe danach ziemlich schlecht geschlafen. Aber morgens habe ich gedacht: Ach, überleg mal, die hatten ja auch kein Skype, die haben ja bloß so telefoniert, wie man früher immer telefoniert hat, ohne Bild, und Ted ist dann dabei eingeschlafen. Dorian schläft nie ein, wenn wir skypen. Skype ist immer das oberste Argument dafür, dass Fernbeziehungen funktionieren können. Man kann sich ja sogar sehen, begeistern sich alle, oder, um es mit den Worten meiner Oma zu sagen: Es ist, als würdest du neben mir stehen! Und ja, es hilft mir tatsächlich, diese lausprecherschnarrende Stimme zu hören und dieses pixelige Etwas, diese schlechte Kopie des eigentlich gutaussehenden, eigentlich ziemlich unpixeligen Dorians auf dem Bildschirm zu haben, und ja, es hilft, diesen Pixeldorian anzusehen, dessen Bewegungen immer wieder stocken und von dem ich weiß, dass er mir nicht in die Augen schaut, wenn es so aussieht, als täte er es, weil er in dem Moment in die Kamera schaut und nicht auf den Bildschirm und mich also gar nicht sehen kann. Ja, das hilft ungemein. Doch trotzdem steckt in Alles easy, es gibt doch Skype! doch nur ein Funken Wahrheit. Ich schätze, long distance funktioniert oder funktioniert nicht. Wenn es funktioniert, macht Skype das Vermissen erträglicher. Wenn es nicht funktioniert, führt Skypen bloß dazu, dass man hinterher auflegt und ein komisches Gefühl hat, weil man während des Gesprächs gemerkt hat, dass irgendwas nicht stimmt. Die Möglichkeit, zu telefonieren, hilft einem vielleicht einfach nur dabei, schneller zu merken, ob die Beziehung auf Distanz funktionieren kann oder nicht. Wenn man sich nur Briefe oder Mails schreibt, dann braucht man dafür eventuell drei Wochen länger. Aber man merkt es so oder so. Ich telefoniere mit Dorian, ich schreibe ihm Mails und SMS und ich schreibe ein Büchlein für ihn voll, damit ich nicht vergesse, wie er aussieht, sich anhört und anfühlt und damit er nicht vergisst, wie ich aussehe, mich anhöre und anfühle. Wir haben uns eine kleine Kommunikationsmaschine geschaffen, einen schwachen, aber notwendigen Ersatz für unser sonstiges Zusammenleben, die irgendwo zwischen Trier und Amman steht und brummt und an die zwei Hörer angeschlossen sind, die wir zwischen Kinn und Schulter geklemmt mit uns herumtragen und in die wir immerzu: Ich bin noch da, hier bin ich! rufen. Wir tun das, damit wir bei meiner Rückkehr hoffentlich nahtlos an den Moment anschließen können, in dem ich weggegangen bin. Die Maschine brummt und brummt und in regelmäßigen Abständen hört man diese Stimme vom Band, die da sagt: Please hold the line. ***
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dorian
Ich möchte deinen Arm, sagt sie. Der Kies im botanischen Garten knirscht unter unseren Sohlen und ich lege meinen Arm um ihre Schulter. Ich habe das vermisst, sage ich, ganz leise, damit nichts kaputtgeht. Der Moment ist ein zarter Zeitgenosse, leicht zu verscheuchen. Wir haben das erste Mal den Geschmack von Frühling im Mund, Blütenstaub und Singvogelkacke, alles sprießt und fliegt und klatscht auf, die Welt - eine Rundumerneuerung, Naturchirurgie zum einatmen, und wir mittendrin, mit offenen Augen und juckender Nase, das Streusalz des Winters noch als weiße Kruste auf den dicken Lederstiefeln.
Wir blinzeln noch ein bisschen. Die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres machen einen misstrauisch, unsere Haut traut der Sache nicht richtig, wie ein fremdes Tier, das man mit Futter lockt, genauso zurückhaltend recken wir die Hälse vor, immer mit der Möglichkeit ausgestattet, den Kopf schnell zurück zu ziehen, falls es einem doch wieder nasskalt und windschräg von vorne in die Fresse knallt. Wir kennen das, wir kennen den Gegenwind, kalt und nass, windschräg von vorne. Nicht nur aus dem Winter. Damals, als es schwer war haben wir uns aneinander festgeklammert, die Köpfe zwischen Brust und Schulter gesteckt und "bitte jetzt nicht loslassen!" geflüstert. Eigentlich war es ein Schreien, wir haben immer gehört, wenn das Flüstern eigentlich ein Schreien war. Deshalb sind wir so gut, gemeinsam. Damals, das kann ich schon sagen, ganz ohne zu lügen. Und heute könnten wir es auch wieder, festklammern und nicht loslassen, dran glauben macht stark.
Wir verlassen den Kiesweg und setzen uns auf die Wiese. Wir bekommen nasskalte Ärsche und bleiben einfach sitzen, nebeneinander, ganz ohne festklammern, nur ein Arm und Nähe, so geht das heute. Und ich sage, weißt du noch, du warst weg, ist kaum zu glauben. Da fielen die Blätter von den Bäumen. In den Vorgärten der Reihenhäuser wurden die Hecken das letzte Mal gestutzt, für dieses Jahr. Die Straßen waren wochenlang nass. Und die Gesichter der Menschen wurden grau mit roten Nasenspitzen und alle zogen beim gehen die Schultern etwas nach oben; der Körper ändert seine Haltung, wenn es kälter wird, weißt du. In den Supermärkten füllten sich die Gefriertruhen mit fetten Gänsen und die Gemüsefächer mit Rotkohl und Wirsing. Johannes ist von Kaffee auf Tee umgestiegen, drei Kannen am Tag. Und du hättest wieder deinen Nierenwärmer getragen und trotzdem die ganze Zeit gefroren. Aber das hast du mir doch alles am Telefon erzählt, sagt sie. Ich weiß, sage ich, das war aber nicht anders, sondern schlechter, ganz einfach. Blöder T-Shirt-Spruch, sagt sie.
Text: nadja-schlueter - Illustration: Katharina Bitzl