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Die Fernliebekolumne. Heute: Trösten

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Dorian
Am schlimmsten sind die Sonntage. Es regt sich nichts, das einzig Produktive, was man machen kann, ist Staubsaugen und Blumengießen. Oder der alten Tante aus dem Norden mit einem seltenen Anruf eine Freude machen. Alles ist zu, alle ruhen sich irgendwie aus, damit sie weitermachen können, weitermachen am Montag, darum geht es doch, schön auf dem Damm bleiben und weitermachen, muss ja, muss ja, sagen sie. Und ich bin alleine und klicke mich durch das schnöde Internet. Sonntage, denke ich zwischendurch, das waren mal unsere Tage. Da war mehr als ausruhen um weitermachen zu können. Wir haben vor allem die Zeit genossen, uns den Stillstand zu eigen gemacht. Wie in einer Zeitkapsel, so war das. Wir sind aufgewacht, nur um weiterzuschlafen. Du hast dich in die Kissen gewühlt und geschnurrt. Dein T-Shirt ist immer etwas nach oben gerutscht, so dass man deinen Bauchnabel sehen konnte. Ich habe dich gekitzelt. Du hast wild um dich geschlagen. Dann habe ich dich gestreichelt und gesagt, dass du den wahrscheinlich schönsten Bauch der Welt hast. Die Mauer hätte wieder aufgebaut werden können, wir hätten nichts mitgekriegt. Mittags haben wir gefrühstückt, immer mit etwas besonderem, Pancakes zum Bespiel. Nachmittags haben wir die Arme aus dem Fenster gehängt und uns Geschichten zu den Menschen ausgedacht, die unten auf der Straße vorbeiliefen. Es war wie ein kleiner Wettbewerb, wir haben uns immer weiter in die Biografien hineingesteigert und heraus kamen ganze Menschengeschichten. Bis wir selber irgendwann auf die Straße sind, einfach um ein bisschen herumzulaufen und Kleinigkeiten in der Stadt zu entdecken. Es war das Gegenteil von trostlos.
Heute und in letzter Zeit fällt es mir schwer, diese freie Zeit so müßig zu gestalten, ich kann das alleine nicht so gut und andere Menschen scheinen das zu merken und sagen dann: "Dorian, dir geht es nicht so gut im Moment, oder?" und legen mir die Hand auf das Knie. Und ich kann nur sagen, ja, sie fehlt mir. Freunde von mir trösten mich im Moment über diese Zeit hinweg und am ehrlichsten sind die, die sagen: Es ist scheiße und es gibt keinen Trost in einer solchen Situation. Ich glaube, die Trostlosigkeit anzuerkennen, kann manchmal der größte Trost sein.   

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Nadja
Ob du es glaubst oder nicht: Es wird langsam Winter, sogar hier. Jeden Tag klarer Himmel und rundherum die Wüste, da wird es nachts auf eine ganz eigene Weise kalt. Im Supermarkt an der Ecke gibt es jetzt Lebkuchen und Christstollen und heute Abend lief sogar Weihnachtsmusik, obwohl hier so gut wie niemand Weihnachten feiert. Das ist irgendwie tröstlich, weil es mich an das erinnert, was ich vermisse, gleichzeitig ist es das Gegenteil von Trost, weil es das Vermissen verschlimmert und genauso gleichzeitig ist es irgendwie blöd, weil ich doch nicht hergekommen bin, um Lebkuchen zu essen und Weihnachtsmusik zu hören. Und so ist es mit so vielen Dingen hier. Alles ist so seltsam ambivalent, alles hat zwei Seiten. Wenn es mir nicht gut geht, ist es tröstlich, deine Stimme zu hören, die Trostworte sagt, gleichzeitig macht das alles noch viel schlimmer, weil ich dann bei dir sein will. Manchmal ist es das Tröstlichste auf der Welt, dich trösten zu können, gleichzeitig ist es aber auch schlimm, weil es dir schlecht geht und ich nicht in deiner Nähe bin. Und in beiden Fällen ist es gleichzeitig irgendwie blöd, weil ich doch nicht hergekommen bin, um getröstet zu werden oder zu trösten.
Manchmal weiß ich gar nicht, warum ich hergekommen bin und manchmal ist es mir vollkommen klar, aber weil ich es zwei Tage später eventuell wiederum nicht weiß, führt das alles zusammen zu einer einzigen großen Verwirrung. Lauter kleine Medaillen regnen auf mich herab, mal trifft mich die eine, mal die andere Seite, das tut ziemlich weh, aber gleichzeitig macht es mich reich, glaube ich, ich weiß es nicht sicher. Was ich weiß, ist: Wenn wir uns trösten, du und ich, ich dich und du mich, dann hat das viel mit Stillhalten zu tun. Der, der getröstet wird, muss ganz stillhalten und durchatmen, und der andere ist die Ruhe selbst und sagt viele Dinge, aber all die vielen Dinge meinen eigentlich bloß Alles wird gut, denn trösten bedeutet nicht nur stillhalten sondern auch: alles einfach machen, eine ruhige Kugel schieben, schippern auf flachem, unbewegtem Gewässer. Aber wir haben das nicht. Nicht mehr. Zumindest gerade nicht. Für uns gibt es kein Stillhalten und kein "einfach machen", es gibt ständige Böen auf hoher See, es gibt von allem zwei Seiten, alles ist eine einzige große Verwirrung, alles ist gut und schlecht zugleich, ich will hier sein und daheim sein, du willst mir sagen, dass ich nach Hause kommen soll und willst es nicht. Keine Ruhe für Trost, Trost kann da auch immer nur zwei Seiten haben, wird herumgeworfen, kommt nicht richtig an. Aber: Bitte, bitte, lass uns einfach damit weitermachen, damit wir nicht vergessen, wie es funktioniert. Der Lebkuchen schmeckt hier ja auch ganz anders, passt nicht in meine Zeit hier, kommt nicht richtig bei mir an. Und trotzdem werde ich ganz sicher einen essen.

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