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Die Fernliebekolumne. Heute: Wiedersehen

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Nadja
Es ist März, die Mosel ist braun, die Hügel sind kahl, der Himmel ist grau und so habe ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Ich habe immer damit gerechnet, dass strahlendes Wetter ist und die ersten Knospen aufbrechen, wenn ich hier zum ersten Mal wieder entlangfahre, aber die Realität ist ja immer ein bisschen weniger kitschig als die eigene Vorstellung. In mir ist strahlendes Wetter und da sind auch aufbrechende Knospen und all sowas, aber ich bin vor allem furchtbar aufgeregt und ängstlich, denn, ja okay, sechs Monate sind keine besonders lange Zeit, aber wenn man sich sechs Monate kein einziges Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, dann ist das erste Mal danach doch eben irgendwie besonders. Der Zug rollt in den Trierer Hauptbahnhof ein und der sieht fast genauso aus wie vorher, die Sitzbänke wurden ausgewechselt, aber ansonsten alles wie gehabt. Ich bin schon seit zehn Minuten nicht mehr in der Lage, in meinem Buch zu lesen oder Musik zu hören und fühle mich so wie damals, als Kind, wenn meine Eltern mich morgens um vier weckten, um mit einem Auto voller Gepäck, Kinder und Hund in die Ferien aufzubrechen: Müde, nervös, gespannt und glücklich. Ich bin wirklich ein wenig zittrig, als ich auf den Bahnsteig trete, und dann steht er da, mein Dorian und genau wie der Hauptbahnhof sieht er fast genauso aus wie vorher. Ein bisschen dicker vielleicht und sein Bart ist etwas dichter, aber ansonsten alles wie gehabt. Natürlich habe ich jetzt das Bedürfnis, erst auf der Stelle zu hüpfen und dann filmreif in seine Arme zu stürzen, aber ich bin ja nicht bescheuert, sondern am Trierer Hauptbahnhof und daher marschiere ich festen Schrittes auf ihn zu, während das strahlende Wetter in mir tobt und Dorian das sicherlich ganz genau weiß. Aber gerade darum muss ich das ja auch gar nicht zeigen, zumindest nicht hier. Und dann bin ich da und meine Nase und seine Nase, die sechs Monate über 3000 Kilometer voneinander entfernt waren, sind plötzlich nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Dorian fasst mein Gesicht, meine Ellbogen und meinen Po an und fragt „Ist noch alles dran?“ und ich sage „Ja“. Und der Rest ist privat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Dorian
Wir waren vorher noch nie auf dem Dach. Geplant war das nicht, ich wusste überhaupt nicht, dass man hier so leicht hochkommt. Es war ihre Idee gewesen. Hey, wollen wir mal gucken, ob man bei dir aufs Dach kann, hatte sie gesagt und entschlossen die Weinflasche nach oben gehoben, wie eine Aufforderung. Komisch, dachte ich noch, früher hätte sie sowas nicht vorgeschlagen, aber da hörte ich mich schon sagen: Klar, lass mal gucken. Die erste Aufregung ist schon wieder verflogen. Als ich vor ein paar Stunden zum Bahnhof gelaufen bin, war ich noch ganz aufgewühlt. Ich stand viel zu früh am Gleis und rauchte nervös eine Kippe nach der anderen. Dabei hatte ich mir eigentlich vorgenommen schon mehrere Stunden vor ihrer Ankunft nicht mehr zu rauchen, damit ich nicht stinke. Das war nur eine meiner Vorüberlegungen gewesen. Ich habe mir stundenlang ausgemalt, wie dieser erste gemeinsame Abend nach einem halben Jahr möglichst perfekt ablaufen könnte. Die nötigen Vorbereitungen hatte ich alle getroffen. Ich habe das Bett frisch bezogen, die Blumen gegossen und wieder den tollen Riesling, den wir letzte Weihnachten getrunken hatten in der regionalen Weinhandlung gekauft. Den ganzen Tag habe ich so zugebracht, und spätestens als ich Bücher auf meinem Couchtisch drapierte wie Speisen auf einem Büffet, kam ich mir total albern vor. Als sie auf mich zulief, am Bahnhof, da war es dann schon fast ein ganzes Feuerwerk, das da in mir hochging, von dem Moment an, als ich sie das erste Mal zwischen den anderen Menschen erspäht hatte, bis zu dem Zeitpunkt, als wir uns endlich in den Armen lagen, Trommelfeuer. Lang standen wir dann so, ohne etwas zu sagen, wir hielten uns einfach nur im Arm. Und als wir uns dann ansahen, hatten wir beide Tränen in den Augen. Und sie sagte, lass uns schnell nach Hause. Ich nickte nur. In der Wohnung angekommen kam dann alles in Fluss. Wir tanzten umeinander herum und nahmen immer wieder unsere Gesichter in die Hände, bis wir erschöpft nebeneinander im Bett lagen und ich sagte, ich habe Gulasch gekocht. Wir aßen ohne den Blick voneinander abzuwenden, jeder mit einem verklärten Lächeln auf den Lippen. Der Dachboden war nicht abgeschlossen, und sogar eine Leiter, über die wir aus einer Luke klettern konnten, stand bereit. Jetzt baumeln unsere Beine vom Dach. Ihr Kopf liegt auf meiner Schulter und ich habe den Arm um sie gelegt. Und ich sage, gut, dass du wieder da bist, alleine wäre ich nie hier hoch gegangen. Ich auch nicht, sagt sie.

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