Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Es ist doch nur ein halbes Jahr

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Dorian

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wir haben uns Headsets gekauft. Damit wir skypen können. So richtig, mit Bild und Ton. So werden wir unsere Beziehung weiterführen, über das Internet. Das haben wir uns versprochen: Beziehung weiterführen. Es ist toll, dass die Menschen sowas erfunden haben, Internet, hat Nadja gesagt. Ich habe gegrummelt. Ich grummle viel in letzter Zeit. Dabei sollte ich eine Stütze sein, ein Befürworter und Helfer, denke ich. Um das Weggehen geht es jeden Tag, immer konkreter und doch so wenig greifbar. Gestern hat sie ihr Zimmer präpariert, die Zwischenmieterin zieht morgen ein. Ich weiß nicht, wie ich mich vorbereiten soll. Wir werden voreinander stehen und dann ist er da der Moment, Abschied, vielleicht werde ich weinen müssen, vielleicht wird Nadja weinen, vielleicht macht es das einfacher. Die Headsets haben wir schon getestet. Man hört sich sehr klar, nur das Bild ist etwas pixelig. Das wird an unseren Webcams liegen. Die tollsten Computer haben wir nicht. Es fällt uns noch schwer, ein richtiges Gespräch über Skype zu führen. Die meiste Zeit gucken wir uns an, winken oder ziehen nette Gesichter, die den anderen zum Lachen bringen sollen. Ein bisschen ekelig ist das schon, würde meine Freundin Lisa sagen. Ich finde es schön. Eklig wird es erst, sobald man es nicht mehr für sich behält. Ich bin gespannt, ob das anders wird, ob wir es schaffen, über Skype unsere Lebenswelten zu teilen, wenn sie dann wirklich weg ist. Wahrscheinlich wird sie beim ersten Gespräch mit dem Computer in der Hand durch die neue Wohnung laufen und mir so alles zeigen. Dann habe ich mehr als nur eine Vorstellung, dann weiß ich, wie es bei ihr aussieht, wenn sie weg ist. Manchmal denke ich, am besten wäre es, sie wäre ganz weg, also so richtig, Funkstille, ein halbes Jahr. Und dann schüttle ich den Kopf. Blödmann, denke ich dann. Das ist neu: Gedanken über Zeitspannen, habe ich sonst nicht, nicht in dieser Größenordnung. Stunden, Tage, Wochen, das ist man gewöhnt, das kenne ich, aber ein halbes Jahr, das ist komisch, schwer einschätzbar. Ich denke nie weit voraus. Ein halbes Jahr – so lange trage ich ein und dasselbe Paar Schuhe. Wenn ich mir neue kaufe, werde ich sie auch vor die Webcam halten und sagen: Schau ich habe neue Schuhe. Schön, kann sie dann sagen, oder: gefallen mir nicht. Eigentlich wie immer. Freunde von mir sagen, dass man sich mindestens alle sechs Wochen sehen müsse, damit eine Beziehung funktioniert. Ich weiß nicht, ob ich genug Geld haben werde, um sie besuchen zu können. Alle sechs Wochen schon mal gar nicht. Nadja

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich erwische mich oft dabei, wie ich Pläne für März mache. Im März werde ich zurücksein. Oder ich prüfe, wie lang mir die Zeit von März bis jetzt vorkam, weil das genau die Zeitspanne ist, die ich in Amman sein werde. Manchmal fühlt es sich wirklich nicht lang an. Und manchmal sehr, sehr lang. Wenn ich mit Freunden spreche, sage ich: „Ein halbes Jahr, das ist ja nichts, manchmal hab ich das Gefühl, ich bin fast schon wieder da, obwohl ich noch gar nicht weg bin“, weil ich möchte, dass sie sagen: „Ja, das stimmt, das vergeht wie im Flug.“ Die meisten sagen das auch. Viele sagen: „Seche Monate, das ist wirklich machbar, ein Jahr, das wäre was anderes…“. Meine liebste Beruhigungsrechnung ist: Sechs Monate sind ein Sechstel der Zeit, die wir jetzt zusammen sind, also überwiegt unsere gemeinsame Zeit diese Zeit der Trennung ja bei weitem. Das wirkt jetzt alles so, als wolle ich nicht weg. Dabei will ich weg. Aber ich bin ja auch in der besseren Position: Für den, der weggeht, ist es immer leichter. Ich bin wahnsinnig aufgeregt und alles wird neu und spannend sein. Ich gehe weg und mein Alltag bleibt zu Hause. Und Dorian bleibt zu Hause. Und sein Alltag bleibt zu Hause. Aber ich, ein Teil seines Alltags, ich fehle dann. Das ist traurig und ich will nicht, dass Dorian traurig ist. Das klingt jetzt natürlich fürchterlich abgedroschen, aber eine meiner wichtigsten, mit selbstgesetzten Aufgaben ist doch schließlich, dafür zu sorgen, dass Dorian nicht traurig sein muss. Nicht, dass ich nicht traurig sein werde. Ich weiß, dass er mir schrecklich fehlen wird. Das Gute ist, dass man auf Kommunikation nicht verzichten muss. Ich werde ihm weiterhin alles berichten können und er mir auch. Aber die längste Zeit, die wir uns am Stück nicht gesehen haben, seit wir zusammen sind, waren drei Wochen. Das ist weniger als ein Siebtel der Zeit, die ich jetzt weg sein werde. Er kann dann nicht neben mir sitzen oder mir gegenüber und er wird einfach nie in der Küche stehen und im Topf rühren, wenn ich vom Supermarkt zurückkomme und ich werde auch nicht hören können, dass er gerade duscht und ich werde immer – und ja, ich weiß, dass auch das sehr abgedroschen ist – alleine einschlafen müssen. Manchmal, wenn ich bei ihm bin und alles schön ist, dann denke ich mir: „Wieso sollte ich weggehen? Es gibt doch keinen besseren Platz auf der Welt als diesen hier.“ Aber dieser Gedanke würde mich natürlich nie wirklich davon abhalten, zu gehen. Er sagt mir nur, dass es das richtige ist, mit Dorian zusammen zu sein und vor allem: zu bleiben. Nicht da zu bleiben, sondern zusammen zu bleiben.

Text: nadja-schlueter - Illustration: Katharina Bitzl

  • teilen
  • schließen